Verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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Magda dachte an sein Werk und an die heißen Freuden, die er an demselben gehabt, an die stolzen Hoffnungen, die er auf dasselbe gesetzt. Alles dahin und verloren –
Die Hauptstunde des Tages war die, wo sie mit Sibylle zusammentraf und hörte, wie es Wallwitz gehe. Jede Einzelheit dieses Krankenlagers ward ihr bekannt. Sie lebte im Geist mit in dieser Krankenstube, über deren Schwelle einzutreten die Hoffnung immer noch zögerte.
Frau von Lenzow freute sich, daß Magda seiner Zeit den kühlen Ton in jenem Absagebriefchen offenbar gar nicht bemerkt hatte. Die Gunst der Herzogin, in diesem Augenblick so deutlich betont, wollte doch sagen, daß niemand an Magda Ruhlands Reinheit zu zweifeln habe. Wie peinlich, wenn man nun schon mit Magda gebrochen gehabt hätte! Sibylle bekam manches Lob zu hören, über ihre Anhänglichkeit an Magda. Auch war Frau von Lenzow, von einem echten Bedauern über ihre einmal geäußerte abfällige Meinung ergriffen, von Herzen liebevoll zu Magda und bat sie, ihren guten Einfluß auf Sibylle geltend zu machen. Denn Sibylle beharrte bei ihrem Vorsatz, sich mit Walfried an dessen Krankenbette trauen zu lassen. Ueber das Verlöbnis wurde jetzt offen gesprochen, man hatte es für klüger gefunden.
Die Notiz aus der „Leopoldsburger Zeitung“, worin Sibylle als „eine der reizendsten jungen Damen der hiesigen Gesellschaft“ bezeichnet worden war, hob sie wie ein Heiligtum auf. In all’ ihrem Gram hatte diese Bezeichnung ihr doch unendlich wohlgethan und sie gab das Blatt auch Lilly zu lesen, obschon sie sonst ja kein unnötiges Wort mit ihr sprach.
Sie fühlte sich in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt und glaubte sich darum auch verpflichtet, etwas ganz Außerordentliches zu thun.
Ihre Tante und Taufpatin, Baronesse Sibylle Zielendorf, eine ältere Cousine ihres Vaters, die inzwischen angekommen war, fand die Idee poetisch und rührend. Sie bestärkte Sibylle in allen Ueberschwenglichkeiten, und wenn bei dem jungen Mädchen der natürliche Jugendmut einmal durchbrach, war es die sentimentale Baronesse, die immer neu den Jammer und die hohen Opfergefühle in ihr weckte. So kam die kleine Sibylle aus den Aufregungen gar nicht heraus, und es war doch schon genug an der einen, an der steten Sorge um das teuere, gefährdete Leben.
„Was wird das auf René für einen Eindruck machen,“ dachte Magda geängstigt, „wenn er hört, daß Sibylle sich so an einen Sterbenden bindet!“ –
„Weißt Du, daß René Flemming hier ist und ruhig in seiner Wohnung sitzt? Warum sollte er auch abgereist sein? Keiner weiß was,“ sagte Sibylle ihr eines Tages.
Magda verfärbte sich. Er war hier? Ihr so nahe? Und schwieg?
Sie hatte sich gedacht, er wolle vielleicht vor jedermann, auch vor ihr, seinen Aufenthalt verbergen.
„Woher weißt Du das?“ fragte sie.
„Von Lieutenant Bohrmann. Der kommt jeden Tag, nach Walfried fragen. Mich plagte die Neugier, ich wollte doch ’mal so hinhören – ich glaub’ auch, Bohrmann ist dabei gewesen. Er kommt so oft, am meisten, und war vorher gar nicht so intim mit Walfried. Das ist verdächtig. Na, und da fragte ich denn ganz unbefangen, weshalb Flemming sich gar nicht um Walfried bekümmere, er habe doch immer so befreundet gethan.“
„Und Bohrmann sagte .. ?“
„Daß Flemming so sehr beschäftigt sei und übrigens innigsten Anteil nehme und täglich durch ihn von Walfried höre. Ich sagte noch, ich meine, in der Zeitung ’was von Urlaub gelesen zu haben. Und Bohrmann antwortete: ganz richtig, den verlebt er hier.“
Er war hier! Und kam nicht, sein Herz an dem ihren zu entlasten!
Ihr schien das ein voller Beweis, daß René sie dennoch nicht wahrhaft liebe. Er täuschte sich vielleicht über sich selbst, es gab in ihm Aufwallungen, die ihn zu ihr zogen. Oder er hatte zuviel Mitleid mit ihr, um ihr die Wahrheit einzugestehen. Er zeigte sie ihr so schweigend, um sie zu nötigen, ihrerseits ein Band zu lösen, das doch nie zum Glück führen könne.
Dann fiel ihr wieder ein, daß sie ja ihm habe entsagen wollen und daß er die Entsagung nicht angenommen habe.
Sie las auch seinen letzten Brief wieder und wieder und eine Stimme sagte ihr, daß er nicht der Mann sei, etwas zu schreiben, das nicht eine innere Gewißheit ihm diktiert habe.
„Es ist furchtbar,“ dachte sie, „jeden Augenblick fühle ich mich zu einer anderen Erregung hingerissen. Besser ein Ende als dies ewige Ringen nach Glauben und Zuversicht!“
Was sie am allermeisten an Renés Schweigen verletzte und wunderte, war dies: „Versteht er denn gar nicht, daß es mich trösten und beruhigen würde, um ihn sein zu dürfen? Hat er so wenig Gefühl und Sinn für das, was meinem Herzen wohlthäte, so muß ich mir doch sagen: es fehlt ihm an Verständnis für mich.“
Nicht verstanden werden, heißt, nicht geliebt zu werden, sagte sie sich. Sie wollte gekannt sein bis in die tiefsten Falten ihres Wesens von dem Manne ihrer Liebe. Nur so konnte ein wahrhaft inniges Zusammenleben erreicht werden.
Sie vergaß ganz, daß er sie gebeten hatte, ein starkes Weib zu sein, und daß es oft schwerer ist, stark zu sein, wo es gilt, einen Lebenden zu schonen und zu verstehen, als einen Toten zu beweinen.
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Bei ihrem lebhaften Verkehr mit Sibylle fiel es ihr gar nicht ein, daß sie sich einer Begegnung mit dem Wesen aussetze, dessen Anblick sie am wenigsten jetzt ertragen konnte. Sie dachte gar nicht daran, daß sie eines Tages Lilly von Wallwitz sehen und sprechen müsse. Sie glaubte, Lilly würde sich mit schlechtem Gewissen still und ängstlich zu Hause halten, und da Magda das Wallwitzsche Haus nicht betrat, so könnten sie sich nicht treffen. Aber Lilly, von jeder Gesellschaft, ja vom Theater ferngehalten, verging vor Langerweile und unternahm jeden Mittag einen Spaziergang über die halbe Ringstraße, den Kasernenweg und den Schloßplatz. Den konnte ihr niemand verdenken, er war für ihre Gesundheit durchaus nötig. Bei dieser Gelegenheit traf sie dann sehr viel Bekannte, plauderte hier und da und ließ sich ein Streckchen von teilnehmenden Kameraden Walfrieds begleiten. Es war die einzige Zerstreuung, die der endloslange Tag ihr brachte.
Eines Mittags ging Magda auf dem Schloßplatz hin und her. Das Wallwitzsche Haus lag an demselben, der Rückwand des Schlosses gegenüber. Magda wollte Sibylle erwarten, die um Eins zu kommen versprochen hatte, um mit der Freundin zusammen nach Hause zu gehen.
Ein blauer Himmel strahlte auf eine keusche Schneelandschaft hernieder. Der Fluß, nicht gefroren, wirbelte schwarz und blank unter der gewaltigen Brücke dahin, auf welcher die nackten mythologischen Gestalten mit Schneemützen auf den grauen Sandsteinlocken standen. Die Dächer trugen dicke weiße Schneelager auf sich, die feinen Aeste der Bäume waren von Rauhreif umkleidet, auf dem Rasen der Anlagen breitete sich eine hohe, lockere, weiße Decke. Dazwischen liefen aufgeworfene Wälle, die ausgeschaufelte Wege einfaßten; die Menschen, die da spazieren gingen, waren von weitem nur bis zu den Knieen sichtbar. Und alle Geräusche des Verkehrs, das Rollen der Räder, der Tritt der Pferdehufe, die Schritte der wandernden Menschen, erklangen gedämpft. Die winterliche Welt, die vordem etwas Kahles und Unausgefülltes gehabt hatte, schien mit einem Mal enger, stiller und traulicher geworden. Alle Leute machten vergnügte Gesichter, die kräftige Kälte hatte so etwas Gesundes, der frische Schnee so etwas heiter Anmutendes. Jedermann feierte bei seinem Anblick Kindheitserinnerungen und alte Leute standen und sahen mit lächelndem Neid den Knaben zu, die, auf kleinen Schlitten stehend, ihr Gefährt mit eisenbeschlagenen Stöcken vorwärtsstießen.
„So leuchtende Wintertage haben in ihrer Stimmung etwas von Frühling,“ dachte Magda. „Sie machen Mut. Wie merkwürdig wir von der Natur abhängig sind!“
Ihr war es, als müßte Sibylle heute mit besseren Nachrichten kommen.
Und da lief diese auch schon herbei, das Pelzbarett ein wenig schief auf dem dunklen Haar, mit schlangengleich sich windender Pelzboa um den Hals. Aber ihr Gesicht sah unglücklich drein wie alle Tage.
Sie blieb vor Magda stehen und sagte gleich: „Großmama will es nicht! Ist es nicht schändlich!“
„Was will sie nicht?“
„Ich soll mich nicht mit Walfried trauen lassen,“ erzählte sie und Thränen traten ihr sofort in die Augen. „Großmama findet es zu theatralisch. Ach, sie haben alle kein Gefühl!“
Sie hakte Magda ein und ging langsam mit ihr weiter.
„Und Großmama meint, es hieße Walfried zu verstehen geben, daß er bald sterben müsse.“
„Hat sie damit nicht recht?“ fragte Magda.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 859. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_859.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)