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Seite:Die Gartenlaube (1895) 871.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

mehr als vierzehn Tage ins Land, bis die freudige Angelegenheit in schönste Ordnung kam und goldgeränderte Verlobungskarten in jedem Hause zu finden waren, auf denen sich Karl Thiessen und Steuerrats Binchen als Verlobte dem allgemeinen Wohlwollen und dem allgemeinen Klatsch bestens empfahlen.

Steuerrats hatten zunächst, trotz aller Einverstandenheit mit der Geschichte, etwas gejammert, daß sie ihr Binchen, den Schmuck und das Krönchen ihres Hauses, überhaupt weg– und nun gar bis nach China geben sollten. Aber mitziehen konnten sie nun mal nicht, da der Papa Steuerrat sich auf seine alten Tage nicht mehr entschlossen haben würde, einen Zopf zu tragen, und so fanden sie sich in die an sich ja sehr erfreuliche Thatsache, und Binchen wurde, um der baldigen Trennung und der glänzenden Heirat willen, noch ein bißchen mehr verzogen als bisher, insofern das überhaupt möglich war.

Daß es das schöne Binchen verstehen würde, eine reiche Frau zu sein, das konnte bald ein Blinder mit dem Stocke fühlen, wie man so zu sagen pflegt.

Sie nahm alle die schönen fremdländischen und inländischen Geschenke, mit denen der Bräutigam sie überschüttete, so selbstverständlich hin, als wenn sie eigentlich noch viel anderes erwartet hätte. Sie bestand schon gleich zu Anfang darauf, daß man den ersten Lohnwagen der Stadt nahm und die Brautvisiten im Fahren zurücklegte, statt, wie es Karl gern gethan hätte, nachbarlich und freundschaftlich von Haus zu Haus zu gehen, so daß er sein schönes Bräutchen in den Strahlen der Herbstsonne und des Glückes hätte bewundern lassen können.

Auch bei Annchen Braun hatte das junge, fröhliche Paar seinen Besuch abgestattet. Sabine rümpfte zwar erst das Näschen bei dem Gedanken, in die bescheidene Dachkammer hinaufsteigen zu sollen, die die kleine Lehrerin innehatte – aber Karl, mit nicht ganz richtiger Beurteilung der Sachlage, bemerkte: „Wir wollen das gute Mädchen doch nicht auslassen – sie freut sich mit an unserm Glück und ist meine alte Jugendbekannte.“

Da hatte denn Binchen nachgegeben – im ganzen ein äußerst seltener Fall, der ihr denn auch von Karl mit doppelter Anbetung gelohnt wurde.

So stiegen die beiden hübschen glücklichen Menschen die enge Treppe hinauf und betraten das Stübchen, das Anna Braun bewohnte und in dem sie, als einzigen Schmuck, einen schönen Rosenstock pflegte, der eben in Blüte stand.

„Nun, Annchen, hier bringe ich Ihnen meine kleine Braut!“ hatte Karl in seiner herzlichen Weise gesagt, und Anna hatte ihm tapfer die Hand gedrückt und sie auch Binchen gegeben. „Gott segne Sie alle beide!“ sagte sie, und dann wandte sie sich rasch zum Fenster und pflückte die beiden schönsten Rosen von ihrem Rosenstocke ab. „Wollen Sie dies von mir annehmen?“

Binchen steckte mit einem leichten Nicken die Rose in den Gürtel ihres weißen Kleides und lächelte ein wenig dazu.

„Ein bißchen sehr gefühlvoll!“ sagte sie dann noch auf der Treppe zu ihrem Bräutigam, „hat sie Dich etwa selber gern gewollt?“

Karl Thiessen öffnete die Augen sehr weit. „Anna Braun? – mich? – ach, warum nicht gar!“ sagte er und erwies sich damit als vorzüglichen Beobachter und Menschenkenner. Dann lachte er laut und harmlos auf über den sonderbaren Gedanken – so gingen sie davon. – Und Anna Braun stand am Fenster und sah dem schönen Paar nach. „Der liebe Gott hat es also doch nicht gewollt!“ sagte sie einfach vor sich hin – dann ging sie zu ihrem Rosenstock und rückte ihn in die Sonne.


Karl Thiessens Brautzeit stand im ganzen und großen auch in der Sonne. Er war begeistert von Binchens Schönheit, Heiterkeit und Anmut. Er freute sich, sie mit Geschenken, mit golddurchwirkten Shawls und Seidenstoffen aus dem fernen China zu überschütten und zu schmücken, die ihr kindisches Entzücken erregten – und er freute sich darauf, „drüben“ mit ihr Staat zu machen, wie man zu sagen pflegt.

Aber manches kam doch auch so nach und nach zu Tage, was ihn, den Mann der gesunden Vernunft, veranlaßte und aufforderte, sich ganz bedeutend hinter den Ohren zu kratzen. Er wollte sich, wie er sattsam ausgesprochen und betont hatte, eine deutsche Hausfrau mitnehmen, und das zu sein oder zu werden, dazu hatte Binchen vorläufig verzweifelt wenig Lust oder Anlage.

Niemals sah man sie mit einem Strickzeug oder einer Näherei beschäftigt, sie stickte höchstens, nach damaliger schrecklicher Mode, Rosenbouquets auf Pantoffeln für ihren Zukünftigen oder nähte Perlen auf einen Ofenschirm – die Arbeiten ließ sie dann auch noch meist unvollendet liegen, bis die gutmütige Klara sie ihr heimlich fertig machte. Sie lag des Vormittags im Lehnstuhl und las Romane und ging des Nachmittags mit ihrem Bräutigam spazieren, worauf sie natürlich am Abend zu müde war, um die Hände noch besonders zu rühren.

Lobte Karl Thiessen einmal ein besonders gelungenes Gericht der schwiegerelterlichen Tafel – und wir wissen ja, daß Klara bei der Frau Verwalterin kochen gelernt hatte, können uns also denken, daß alles, was der Bräutigam zu kosten bekam, von erster Trefflichkeit war – lobte er also, wie gesagt, einmal die oder jene Speise und fragte dabei: „Hat Binchen das gekocht?“ dann begegnete er allenthalben lächelnder Verwunderung und mußte hören: „Binchen? Die braucht doch nicht zu kochen – sie wird ja eine reiche Frau!“

Als diese Bemerkung wieder einmal gefallen war – man saß noch am abendlichen Theetisch im Wohnzimmer beisammen – da faßte sich Karl Thiessen ein Herz und sagte mit einiger Bestimmtheit: „Liebe Schwiegermutter, mir scheint es besser, wenn ich einen kleinen Irrtum aufkläre!“

Die Frau Steuerrätin setzte sich in Positur – den Ton kannte sie ja noch gar nicht an ihrem zukünftigen Eidam.

„Sie sagen immer,“ fuhr Karl, zuerst etwas langsam, dann aber um so energischer fort, „Binchen braucht dies nicht im Hause zu thun und jenes nicht im Hause zu lernen – sie wird eine reiche Frau. Erstens muß eine reiche Frau sich auch um ihr Haus kümmern und die Küche verstehen, wenn sie nicht nur eine reiche, sondern auch eine rechte Frau sein will. Meine Frau soll es wenigstens ganz gewiß thun! Und dann – was man reich nennt, das bin ich doch gar nicht. Das möchte ich Ihnen ausdrücklich sagen! Ich habe ein sehr glänzendes Auskommen und kann es, mit Gottes Segen und gutem Glück, noch ’mal zu was bringen – aber doch immer erst mit der Zeit. – Ich habe von Hause aus gar kein Vermögen in meine Stellung mitgebracht, und daß man in sechs bis acht Jahren nicht vom armen Schlucker zum reichen Mann wird, wenn man es redlich anfängt, das wissen Sie wohl selber!“

Er hielt nach dieser kleinen Predigt inne und schöpfte tief Atem; es hatte auch niemand Miene gemacht, ihn zu unterbrechen.

Das schwiegermütterliche Antlitz war bei seinen Worten so lang geworden, als besähe sich die Eigentümerin in einem blanken Eßlöffel. Sie erwiderte kein Wort, sondern sah nur mit bedeutungsvoller Miene nach ihrem Mann hin, wobei sich ihre Nase spitzte wie der beste Faberbleistift.

Der Herr Steuerrat, seiner Pflicht als Hausherr und Vater eingedenk, sagte kein Wort, sondern hustete nur. Binchen schwieg auch und sah vor sich nieder; ein kleiner verdrießlicher Schatten auf ihrer weißen Stirn war Karl nicht entgangen.

Als man die unter solchen Umständen nicht allzu muntere Abendmahlzeit aufgehoben hatte und vom Tisch aufgestanden war, zog Karl seine kleine Braut mit sich ans Fenster.

„Binchen, kann Dich denn das traurig machen, daß ich nicht nur ein Spielzeug an Dir haben will?“ frug er herzlich und eindringlich und hob ihr reizendes Gesichtchen am Kinn in die Höhe, „willst Du nicht mir zuliebe Dich von morgen an ein bißchen um Haus und Küche kümmern? Deine Schwestern thun das ja doch auch, und wie freut sich Klara, wenn es uns allen schmeckt und sie kann sagen: ,Die Mehlspeise habe ich angerührt!‘ Nicht wahr?“

Binchen machte sich unwillig los.

„Nun, dann hättest Du Dir ja eine von den Schwestern aussuchen können, wenn sie Dir besser gefallen,“ sagte sie im Ton eines unartigen Kindes. „Um mich zu plagen und zu quälen, brauche ich nicht nach China zu gehen. Das kann ich hier auch thun, wenn ich Lust habe. Und ich habe keine Lust! Du hast doch immer gesagt, Du wolltest mich auf Händen tragen!“ fügte sie weinerlich hinzu.

„Und das will ich auch,“ sagte Karl fest, „das will ich ganz gewiß! Aber Du mußt Dich doch auch darauf vorbereiten, daß Du gehen kannst, wenn ich ’mal nicht da bin, um Dich zu tragen. Gerade dort in der Fremde muß eine Hausfrau doppelt am Platz und früh und spät auf den Füßen sein – siehst Du denn das nicht ein?“

Sie schüttelte stumm den Kopf und sah vor sich nieder, während sie mit dem zierlichen Füßchen das Muster des Teppichs nachzuzeichnen versuchte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 871. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_871.jpg&oldid=- (Version vom 25.5.2023)
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