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Seite:Die Gartenlaube (1895) 879.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Besitz eines Mannes niemals haben kann, sondern aus Achtung vor der Kraft seines Wesens!

Auch begriff sie weiter, daß ein Mann, der mit sicheren, stolzen Schritten einem großen Ziele zustrebt, nicht immer sorgsam zusehen kann, ob sein Fuß da und dort zarte Keime zertritt. Und daß solche Wanderer manchmal heißeren Durst haben als die, welche in der Ebene wandeln, und daß die Ausblicke von den Höhen, auf denen sie stehen, sie manchmal das Kleine, Naheliegende, Alltäglichmenschliche übersehen lassen.

Ob dies Werk sich nun als ein vollkommenes oder als ein verfehltes erweisen würde: immer bewies es die Willenskraft seines Schöpfers, immer die männliche Ueberlegenheit eines Geistes, der durch Versuchung und Schuld, durch Leichtsinn und widrige Schicksalsverkettungen unbeirrt seine Bahn verfolgte!

Er war einer von den Männern, die sich in ihrer Arbeit völliger aussprechen als in ihrer Liebe. Magda fühlte es mit Schmerz und Wonne. Mit Schmerz, weil ihr offenbar ward, daß das Glück eines Weibes immer mit einem Zusatz von Entsagung erstritten und behauptet wird, mit Wonne, weil sie von heißem Stolz erfüllt war auf diese seine Arbeit.

„Und willst Du,“ fragte René ernst, „mutig auch eine Niederlage mit mir tragen?“

„Eine Niederlage? Dein Werk? Als ob das möglich wäre – hier!“ rief sie. Sie löste sich von ihm und nahm die Partitur in ihre Hände und sah erwartungsvoll hinein, als könnte sie aus den schwarzen Noten Leben und Klang herauslesen. „Gewiß, es wird rasenden Beifall geben – haben sie nicht sogar die ‚Zenobia‘ beklatscht?“ fuhr sie fort.

„Liebes Kind, denkst Du denn, ich habe keine feinen Ohren – könne nicht Leopoldsburger Lokalerfolge von dem echten, großen, dauernden unterscheiden? Spektakel und Lorbeeren genug wird es geben. Aber ob das Werk wirklich etwas Wert ist, das können nur Zwei wissen,“ sagte er.

Sie legte den Band wieder hin, doch hielt sie die Hand darauf gestützt. Ihr war, als müßte sie das Werk in Schutz nehmen gegen die Zweifel seines Schöpfers. „Nur Zwei? Wer?“

„Du und ich!“ sprach er und sah sie nachdenklich an.

„Ich,“ sagte Magda verwirrt, „ich verstehe doch so wenig … gar nichts vom Technischen ... wie soll ich ..?“

„Aber Du hast die feinen klugen Ohren der Liebe, den brennenden Ehrgeiz für mich, die Todesangst, ich könnte unter meinem Ziel geblieben sein. Du vor allen Menschen stellst die höchsten Anforderungen an mich. Wo das Publikum jubelt, wirst Du noch denken: das können andere auch. Nur wo ich Höchstes, Neues, Erschöpfendes, Ergreifendes bringe, wirst Du vergessen, daß Du mein bist, daß ich Dich liebe. Und das mußt Du vergessen, wenn Du das Kunstwerk als solches empfinden sollst! Ich kenne Deine Liebe zu mir wohl, Magda, und weiß, wie sie geartet ist, Du hast in Zorn und Schmerz zu oft meine Fehler und Menschlichkeiten in Deinen Gedanken durchgenommen, zu oft vor der Frage gestanden, Dich von mir loszulösen, als daß ich denken sollte, Deine Liebe sei blind. Sie ist streng und richtet mich, und weil sie zu genau meine Schwächen als Mensch erkennt, fordert sie tausendfach Höheres vom Künstler. Darin allein findet sie für mich Sühne und Entschuldigung. Und wie Deine Liebe ist, ist sie mir recht. Denn ich weiß, wenn ich ihr genug thue, habe ich wahrhaft etwas geleistet. Und darum sollst Du, Magda, mein Richter sein!“ Er hatte in schwerem Ernst gesprochen, als ein Mann, der auch gefaßt ist, eine Niederlage zu ertragen.

Magda fiel ihm um den Hals. Sie war sprachlos vor Glück.

Aus seinen Worten klang ihr wie ein beseligendes Geständnis entgegen, daß er sie in unbegrenzter Achtung ehre, und daß er nicht von ihr in blinder Sklavinnenliebe angebetet sein wolle. Daß er in ihr wahrhaft sah, was sie zu sein begehrte: die Genossin seines Lebenskampfes. Und alles, was sie in der vergangenen Zeit gelitten, trat noch einmal vor sie hin. Sie übersah es wie etwas, das nun außer ihr stand und das sie klar zu beurteilen vermochte. Sie hob das Haupt und schaute den Geliebten an. „Darf ich versuchen, Dir zu erklären, wodurch ich so gelitten habe?“ fragte sie lebhaft.

Er fürchtete, sie möchte auf seine Treulosigkeit zurückkommen. Helle Röte stieg in sein Gesicht.

„Laß das Vergangene,“ bat er.

„Nein,“ sprach sie und legte beide Hände mit einer beredten bittenden Gebärde ineinander, mit leuchtenden Augen zu ihm aufschauend. „Wenn es gesagt ist, ist es ganz überwunden. Du kannst mich später, wenn mir der Hang wiederkäme, dann an das erinnern, was ich Dir erklären will. Ich muß jetzt immer an die Sage von Amor und Psyche denken, und daß es Psyche verboten war, ihn zu sehen. Sie aber beschlich ihn nachts mit der Lampe, und als sie ihn gesehen hatte, entfloh er. Siehst Du, ich meine, der Sinn ist so: wir Frauen vertragen kein Geheimnis, kein Unbegreifliches. Wir wollen immer ergründen; jede Handlung des geliebten Mannes, jeden seiner Gedanken, jede seiner Stimmungen, jedes seiner Worte wollen wir verstehen und bis auf die tiefste Wurzel der Gründe bloßlegen. Das gelingt uns nicht, eine Mannesseele und ein Mannestemperament sind für ein Frauenherz nie ganz zu verstehen. Und weil uns manchmal Ueberraschungen werden und weil wir manchmal vor Rätseln stehen, kommen wir schließlich dazu, auch das Einfache, Bedeutungslose, nur obenhin Gesagte als Deckmantel für ein Geheimnis anzusehen. So, mein René, so bin ich immer mit der Lampe der Psyche an Dich herangeschlichen und beinahe wäre mir darüber die Liebe entflohen. Seit heute aber weiß ich es gewiß: die Liebe muß sein wie der Glaube: stark, auch wo man nicht sieht und nicht versteht. Und darum darf ich erst jetzt wirklich sagen, ich liebe Dich! – Ich liebe Dich!“ rief sie mit hinreißendem Feuer aus.

Von einem dankbaren Glücksgefühl ohnegleichen überwältigt, zog René die Geliebte an sich.

Von diesem Tag an begann eine Zeit froher Unruhe für Magda. Sie sah den Geliebten fast jeden Tag, obschon er so in der Arbeit saß, daß die Minuten ihm wertvoll waren. Oft aß er bei ihr, weil diese kurze Stunde sich noch am leichtesten für Magda aufbewahren ließ. Magda gewöhnte sich deshalb an eine frühere Speisestunde und daran, für ihren Vater, der immer stiller und schwächer ward, eine besondere Tagesordnung innezuhalten. Sie sah mit Ueberraschung, daß sich beide Pflichten, die gegen René und die gegen den Kranken, sehr gut vereinen ließen.

René hingegen, immer Feuer und Flamme von dem, was er am Morgen gethan, oder für das, was er am Abend noch zu thun hatte, beachtete den alten Mann kaum mehr. Er empfand weder Abneigung, noch Störung seiner Fröhlichkeit. Ruhland saß auch immer sauber, friedlich und viel schlummernd in seinem Stuhl; die feindseligen Anwandlungen gegen Fremde waren verschwunden.

Die Leopoldsburger hatten unendlichen Gesprächsstoff. Daß René Flemming und Magda Ruhland sich nun doch verloben würden, war stadtbekannt. Die einen sagten, es solle Weihnacht veröffentlicht werden, die andern, nach der Aufführung des „Filippo Lippi“. Als das Weihnachtsfest vorüberging, ohne daß in der „Leopoldsburger Zeitung“ die beiden Namen untereinander gestanden hatten, schienen die zweiten recht zu bekommen.

Ueber die Gründe der Verzögerung und den vorausgegangenen Roman wurden die ungeheuerlichsten Sachen erzählt. René habe erst gar nicht gewollt, aber da sei Hortense von Eschen ihm mit Magda Ruhland in die Wohnung gerückt und habe ihm das Ehrenwort abgenommen, das Verlöbnis zu halten. Er habe erstens überhaupt noch nicht heiraten wollen und dann sich auch an der Geisteskrankheit der alten Excellenz gestoßen, so was sei doch erblich. Unsinn sagten die andern, die Excellenz habe Gehirnerweichung und das sei niemals erblich, hingegen habe René Flemming, der ein notorischer Don Juan sei, noch irgendwo eine Braut sitzen gehabt, von der er sich erst frei machen mußte.

Und Schulden habe René Flemming! Das würde eine schöne Wirtschaft geben, besonders da Magda Ruhland wenig oder gar nichts besitze. Dann hieß es mit einem Male, der Herzog habe alle Schulden bezahlt, zehntausend, nein zwanzig-, dreißigtausend Mark. Und die reiche Frau von Eschen, die doch auch ein bißchen in René Flemming verliebt war, schenke Magda eine märchenhafte Aussteuer. Auch solle René Flemming am Abend der Aufführung seines „Filippo Lippi“ eine ganz besondere Auszeichnung haben, einen schönen Titel oder gar den Sternenorden, da er das Hauskreuz schon besitze. Ja, die Schwäche des guten Herzogs ging eben ein bißchen weit!

Die Thatsachen waren in Wirklichkeit sehr erheblich einfacher, als die Leopoldsburger sich dachten.

Es widerstrebte Magda, sich schon vor aller Welt ihres Glückes zu freuen, so lange Sibylle noch an einem Krankenbett zu wachen hatte. Wenn René und sie ihre Verlobung jetzt veröffentlichten, mußte Magda ihn im Lenzowschen Hause vorstellen. Sie wollte

Sibylle diese Begegnung ersparen. Walfrieds Genesung schritt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 879. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_879.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)
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