Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1896) 0053.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 4.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Fata Morgana.

Roman von E. Werner.

     (3. Fortsetzung.)


Zenaide hatte in der That mit Sonneck und Ehrwald den besprochenen Ausflug unternommen. Es war ein ziemlich langer Weg gewesen, denn die Moschee lag weit draußen, im arabischen Teile der Stadt, und erst nach mehr als halbstündiger Fahrt erreichten sie den in einer engen Gasse ziemlich versteckten Eingang. Es war ein altes arabisches Bauwerk, eins der ältesten und mächtigsten, das Kairo aufzuweisen hatte, aber es diente längst nicht mehr religiösen Zwecken. Halb zur Ruine geworden, bildete es nur noch eine Sehenswürdigkeit für die Fremden, denn die mehr als tausendjährigen Mauern trotzten noch immer der Zeit. Der weite Hof war überflutet von dem letzten Sonnenglanz des scheidenden Tages. Durch die hufeisenförmigen Fenster des Sanctuariums fielen die Strahlen in rötlich zuckenden Lichtern und spielten auf zerbröckelnden Marmorsäulen, auf uralten Mosaiken und halb verwischten Inschriften. Ueberall Verfall und Verödung! Keine Schar von Gläubigen belebte mehr Hof und Hallen, kein Gebetsruf ertönte von dem Minaret. Tiefes Schweigen ringsum, nur eine Schar weißer Tauben, die in den Arkaden nistete, flatterte auf bei den Fußtritten der Nahenden. Sie war das einzig Lebende in diesen Mauern, die lärmende, staubaufwirbelnde Stadt lag wie versunken hinter ihnen.

Sonneck saß am Fuße einer der Säulen, das Skizzenbuch auf den Knien, und zeichnete den Brunnen, der sich in der Mitte des Hofes erhob. Er lag auch schon fast in Trümmern, nahm sich aber äußerst malerisch aus mit seinem verfallenen Kuppeldach. Drüben zwischen den Arkaden des Sanctuariums wurden von Zeit zu Zeit das helle Gewand Zenaidens und die hohe Gestalt Reinharts sichtbar. Sie schienen den Raum nach allen Richtungen zu durchwandern. Der Zeichnende störte sie nicht, bis sie endlich aus der dämmernden Halle in den sonnendurchleuchteten Hof hinaustraten und sich ihm nahten.

„Nun, Zenaide,“ sagte er, sich der Anrede bedienend, die er in seinem väterlich vertraulichen Verkehr mit der Tochter seines Freundes stets gebrauchte, „hatte ich nicht recht, daß diese alte, halbverfallene Gâma eines Besuches wert sei? Sie birgt eine Fülle des Malerischen wie keine andere. Sie und Reinhart haben sich auch nicht satt daran sehen können, wie es scheint.“

„O, das trifft nur bei mir zu,“ versetzte die junge Dame lachend. „Herr Ehrwald hat allerdings ritterlich bei mir ausgehalten, aber ich fürchte, er hat sich dabei sträflich gelangweilt, denn er teilt meine Bewunderung durchaus nicht. Ich habe da arge Ketzereien mit anhören müssen.“

„Ich habe nur erklärt, daß ich nicht viel Sinn habe für eine tote Vergangenheit,“ verteidigte sich Reinhart. „Mich reizt nur das Lebendige, wo sich noch alle Kräfte regen. Aber wir haben Sie wohl gestört bei Ihrer Arbeit?“

„Nein, ich bin fertig,“ erklärte Sonneck. Er wollte das Buch schließen, aber Zenaide streckte die Hand danach aus.

Das Denkmal des Malers Emil Schindler zu Wien.
Nach dem Entwurf von E. Hellmer.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0053.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)
OSZAR »