verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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„Bitte, lassen Sie mich sehen! Wie schnell Sie das hingeworfen haben! Kairo hat Ihr Skizzenbuch wohl überhaupt sehr bereichert? – Ah, das ist reizend! Unsere kleine Elsa, wie sie leibt und lebt! Sehen Sie nur, Herr Ehrwald!“ Sie hatte in den Skizzen geblättert und hielt jetzt eine derselben dem jungen Manne hin. Es war in der That die kleine Elsa von Bernried, auch nur flüchtig mit dem Stifte hingeworfen, aber die Zeichnung gab das Köpfchen des Kindes in ungemein lebensvoller Auffassung wieder.
„Jawohl, der kleine Trotzkopf ist zum Sprechen ähnlich,“ bestätigte Reinhart. „Ich glaube, Herr Sonneck, wären Sie nicht zufällig ein berühmter Afrikaforscher, Sie wären ein berühmter Maler geworden.“
„Ein guter Zeichner vielleicht, weiter nichts,“ sagte Sonneck ruhig. „Was aber unseren kleinen Schützling betrifft, Zenaide, so treiben Sie Ihre Güte wirklich zu weit. Ich erbat nur auf acht Tage Ihre Gastfreundschaft für das Kind, nur bis zur Rückkehr des Doktor Walter, jetzt sind bereits drei Wochen verstrichen –“
„Und ich gebe es noch immer nicht heraus!“ ergänzte Zenaide scherzend. „Nein, meinen Liebling dürfen Sie mir nicht so schnell wieder nehmen. Das holde kleine Geschöpf ist mir so ans Herz gewachsen, daß Sie es mir durchaus lassen müssen bis zu seiner Abreise, und damit hat es ja noch Zeit.“
„Einstweilen – ja, denn dem Professor Helmreich verbieten Alter und Kränklichkeit die weite Reise hierher. Ich habe ihm aber das Versprechen gegeben, seine Enkelin nur unter sicherem Schutze heimzusenden, und dazu findet sich erst in einigen Wochen Gelegenheit. Ich sagte Ihnen bereits, daß dann einer unserer Missionäre, der gegenwärtig noch in Luksor weilt, nach Deutschland zurückkehrt und bereit ist, das Kind unter seine Obhut zu nehmen.“
„Ich weiß, und eben deshalb will ich Elsa mit nach Luksor nehmen. Auch mein Vater meint, es sei das beste, wenn wir sie dort dem geistlichen Herrn übergeben. Gern lasse ich sie freilich nicht fort, sie hängt an mir mit ihrem ganzen kleinen Herzen.“
„Sie verziehen sie aber auch nach Kräften, mein gnädiges Fräulein,“ warf Reinhart ein. „Es ist ja ein schönes Kind, aber auch der ausgemachteste Eigensinn, den ich kenne.“
„Nur gegen Sie allein, Herr Ehrwald,“ sagte Zenaide vorwurfsvoll. „Aber daran sind Sie selbst schuld. Sie necken und quälen das Kind ja fortwährend und lassen es nie in Ruhe.“
„Weil es mir Spaß macht, daß mir das kleine Ding den erzwungenen Kuß noch immer nicht vergessen kann! Sobald ich nur in Sicht bin, setzt es sich in Kriegsbereitschaft und gerade das reizt mich immer wieder, mit ihm anzubinden.“
„Ja, Dich reizt überhaupt nur der Widerstand, und wenn es der eines Kindes ist!“ entgegnete Sonneck. „Was Du mühelos erreichen kannst, weißt Du nicht zu schätzen. Uebrigens ist es wahr, die Kleine hat eine ungemein energische Empfindung, in der Liebe wie in der Abneigung. Was war das für ein leidenschaftlicher Ausbruch, als wir ihr klar machen mußten, daß der Vater gestorben sei. Das ging weit über ihr Alter hinaus. Doch ich denke, wir steigen jetzt auf den Turm hinauf, sonst geht uns der Sonnenuntergang verloren.“ Er deutete auf das Minaret, das an der Westseite aufragte, halb verfallen wie seine Umgebung, aber die gewundenen Treppen, die an der Außenwand emporführten, hielten noch stand. Sonneck schritt, zur Vorsicht mahnend, voran, die anderen beiden folgten und bald standen sie droben auf der Höhe, die einen weiten Ausblick über Nähe und Ferne bot.
Der rote Sonnenball stand schon tief am Horizont, aber er strömte immer noch Licht und Glut über die Erde hin. Tief unten lag die Stadt mit ihrem brausenden Leben, von dem nur einzelne verworrene Laute empordrangen. Dumpfe enge Gassen, wo eine wahre Menschenflut auf und nieder wogte, und weite offene Plätze, wo Wagen und Reiter sich wie im Fluge kreuzten. Die Häuser der Araber in ihrer ganzen Armseligkeit und Verkommenheit und dazwischen die ragenden Mauern und Kuppeln der Moscheen in ihrer ganzen Pracht. Schimmernde Paläste, von Palmengärten umgeben, und der mächtige Nilstrom, der langsam und majestätisch dahinzog – das alles war eingetaucht in die glühende Lichtflut, welche die kahlen gelben Höhenzüge des Mokattam, oberhalb der Stadt, mit tiefem Rot färbte und in dem Wasserspiegel des Nil flammte und blitzte. Dort aber, wo das Häusermeer endete, dehnte es sich weit und grenzenlos aus, eine unabsehbar öde Fläche – die Wüste! Und aus dem goldigen Dunst der Ferne ragten deutlich die Pyramiden auf, die tausendjährigen Wahrzeichen Aegyptens.
„Dorthin führt unser Weg!“ sagte Sonneck, indem er nach Süden deutete. „Wir gehen nilaufwärts bis zu den Katarakten und schlagen dann erst den Landweg ein.“
„Ja, aber wann – wann?“ fiel Ehrwald stürmisch ein. „Wir liegen ja hier wie festgekettet, schon seit Wochen, und von einem Tage zum anderen werden wir vertröstet und hingehalten – es ist zum Verzweifeln!“
„Fesselt Sie unser schönes Kairo so wenig?“ fragte Zenaide scherzend, aber es lag ein Vorwurf in der Frage und in dem Blick der schönen dunklen Augen. Doch Reinhart schien beides nicht zu verstehen. „Aber, mein gnädiges Fräulein, ich bin doch nicht hier, um die Schönheiten Kairos zu genießen,“ versetzte er unmutig. „Unser warten große kühne Aufgaben und eben darum ertrage ich nicht diesen erzwungenen Müßiggang. Ich begreife Herrn Sonnecks Geduld nicht, ich hätte längst einen Gewaltstreich gemacht und wäre trotz alledem aufgebrochen! Die Mittel sind uns ja bewilligt und zugesagt, man muß sie uns gewähren, und wenn wir nur erst unterwegs sind, kann und wird man uns nicht im Stich lassen.“
„Weißt Du das so genau?“ fragte Sonneck gelassen. „Ich dächte, Du hättest jetzt auch erfahren, mit welchen Schwierigkeiten selbst eine gesicherte Expedition zu kämpfen hat, ehe es wirklich zum Aufbruch kommt, ich kenne das längst. – Ja ja, Zenaide, ich habe meine Not mit diesem Heißsporn, der immer mit dem Kopf durch die Wand möchte. Er ginge am liebsten noch in dieser Stunde auf und davon und unternähme auf eigene Hand den Wüstenzug, ohne danach zu fragen, ob ich nachkomme!“
„Nein, so undankbar bin ich nicht,“ verteidigte sich Reinhart, „aber geträumt habe ich freilich oft davon, mich aufs Roß zu werfen und hineinzujagen in die Wüste, immer weiter und weiter, dem Glück entgegen, das dort in der Ferne liegt, das ich erringen und erjagen muß!“
„Und das Du nie erreichst!“ fiel Sonneck mit schwerem Nachdruck ein. „Nimm Dich in acht, es ist die Fata Morgana, der Du nachjagst! Kennst Du nicht die alte Wüstensage?“
„Fata Morgana!“ wiederholte Zenaide träumerisch. „Ich habe oft schon davon gehört. Hat sie sich Ihnen schon einmal gezeigt, Herr Sonneck?“
„O ja, mehr als einmal. Sie taucht ja selten genug auf, aber so ein alter Weltwanderer wie ich ist doch vertraut mit ihr. Du wirst sie auch noch kennenlernen, Reinhart, die lockenden, tückischen Geister der Wüste, die Djinns. Sie malen Dir fern am Horizont das Land Deiner Träume, ein Wunderland voll Glanz und Licht, aber noch hat keines Sterblichen Fuß es je betreten. Je mehr Du ihm nachjagst, desto weiter und weiter weicht es zurück, es bleibt ewig in endloser Ferne. Und wenn Du Weg und Steg verloren hast und verschmachtend zusammenbrichst, dann zerfließt das Trugbild höhnend vor Deinen Augen. Hüte Dich davor!“
Die Worte klangen tiefernst und der junge Mann mochte ihren geheimen Sinn wohl verstehen, aber mit seinem ganzen Uebermut warf er den Kopf zurück.
„Pah, ich fürchte mich nicht vor allen Djinns des Orients, ich nehme es auf mit ihnen! In unserer deutschen Märchenwelt wimmelt es ja auch von Hexen und Kobolden und von allerlei tückischem und dämonischem Geisterspuk. Als ich noch ein Knabe war, hat mich nichts so gereizt als die Sagen von den Drachen und Zauberwesen, die hoch oben auf steiler Felsenhöhe oder tief unten in Höhlen und Klüften hausen und Jedem Verderben drohen, der ihnen naht. Aber zuletzt kommt doch immer der Eine, der sie bezwingt, der zu ihnen dringt durch tausend Flammen und Gefahren und sie ohne Grauen fest in die Arme preßt. Dann sinkt die Hülle und die düstere Zaubergestalt verwandelt sich in ein leuchtendes Schönheitsbild. Dann ist der Bann gelöst und aus der Tiefe steigt das versunkene Reich in Pracht und Herrlichkeit – warum soll ich nicht dieser Eine sein?“
„Sehr bescheiden!“ spottete Sonneck. „Finden Sie das nicht auch, Zenaide? Er nimmt sich ohne weiteres die Rolle des Märchenprinzen!“
Zenaidens Augen hingen unverwandt an dem jungen Schwärmer, dessen Augen so feurig blitzten im kühnen Wagemut, und halblaut, wie unwillkürlich, sagte sie:
„Ich glaube, Herr Ehrwald wäre einer solchen Rolle gewachsen.“
„Sehr schmeichelhaft, mein gnädiges Fräulein,“ lachte Reinhart, indem er sich scherzend verbeugte. „Ich werde mir Mühe geben, die gute Meinung zu verdienen. An mir soll es nicht fehlen und
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0054.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)