verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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müssen. Und immer geschah es wieder, daß all’ die Versprechungen, all’ die Schwüre ewiger Freundschaft von der Scheidenden vergessen wurden und weder eine Einladung noch ein Brieflein das trostlose Malchen in ihrem Schmerze tröstete. In gerechter Wut über die erbärmliche Undankbarkeit des menschlichen Geschlechtes, hing sie dann flugs ihr Herz an den nächsten „Stern“ der Hofbühne, sich für die erlittene Kränkung und Zurücksetzung dadurch schadlos haltend, daß sie der neuen Freundin alle Toilettengeheimnisse, Liebesabenteuer und Familienverhältnisse der Treulosen preisgab. Hierauf war sie wieder ganz Aufopferung und Beflissenheit, nahm alle Unannehmlichkeiten, die der Künstlerin widerfuhren, für persönliche Beleidigungen und wußte noch im allerletzten Moment Rats für eine verunglückte Toilette, mit der sie zu Frau von Feldern rannte.
Diese hatte, seit sie Malchen protegierte, zwei Nähmädchen in ihrer Schlafstube sitzen und immer vollauf zu thun. Aber auch Malchen fand ihre Rechnung bei dem Verkehr; im ganzen Theater wußte man: Malchen ist des Sonntags bei „Vons“, Malchen hatte ihren Familienanschluß, mochten ihr noch so viele Freundinnen untreu werden, Malchen ist niemals verlassen!
Auf dem Theetisch der Frau von Feldern befand sich am Empfangstag eine zweite Theekanne mit wirklichem Thee und ein silbernes Brotkörbchen mit wirklich belegten Butterbrötchen.
Frau Müller saß kaum an ihrem Platz, so erkundigte sie sich auch schon nach dem fehlenden Eduard, dem sie aus purem Widerspruch und Frau von Feldern zum Trotz ihre Vorliebe geschenkt hatte.
Als ihr die Antwort wurde, Edu sei wieder in der Strafe wegen seiner entsetzlichen Ungebärdigkeit, verschluckte sich Frau Müller fast – sie hatte immer den Mund zu voll – mit solchem Eifer nahm sie sich des Abwesenden an.
„Immer ist der arme Bub’ in der Straf’ – warum denn? Weil er einen eigenen Kopf hat – nun ja, Sie werden noch an mich denken – aus dem wird was, das sag’ ich, die Müllern – Buben müssen Buben sein und keine Affen, ich für meine Person kann diese geschniegelten kleinen Affen nicht ausstehen!“
Frau von Feldern wechselte einen Blick mit Malchen; man verstand die Anspielung, aber man schwieg; Frau Müller war es nämlich einmal begegnet, ihr Butterbrot mit der Butterseite auf das Tischtuch fallen zu lassen. Nun gab es im Feldernschen Hause kein größeres Verbrechen als das Beschmutzen eines Tischtuches. Kunochen war deshalb über diese Unthat so entsetzt gewesen, daß er in die Worte ausbrach: „O Du Schweinchen, Du Schweinchen!“
Seither konnte Frau Müller den kleinen flachshaarigen Buben nicht mehr ausstehen, um so mehr, als sie bemerkte, daß er ihr fortwährend auf die Finger sah und sie auf diese Art zwang, auf sich acht zu haben.
Frau von Feldern, immer beflissen, erziehlich zu wirken, suchte der Unterhaltung eine geistreiche Wendung zu geben.
„Ich bin doch sehr glücklich, daß sich endlich der Zeitgeist der Frau bemächtigt und wir in unserer geistigen Bedeutung nunmehr gewürdigt werden.“
„Ja,“ sagte Malchen, „Gott sei Dank, daß es jetzt nicht mehr Mode ist, sich zu schämen, wenn man ledig ist, sondern im Gegenteil!“
Frau Müller lachte laut auf.
„Ich thät mich doch schämen, nein, das macht mir niemand weis, daß ledig sein keine Schand’ sei – ich war zweimal verheiratet und hätt’ zum drittenmal geheiratet, wenn mir nicht gerade noch schnell mein erster Mann mit der Zipfelkapp’ erschienen wär’! ‚Frau,‘ hat er gesagt und hat nur mit dem Finger gedroht; Jesses Gott, hab’ ich gedacht, am End’ holt er dich – und hab’s Heiraten bleiben lassen.“
Frau von Feldern rümpfte die Nase. „Wie mag ein gebildeter Mensch an Spuk glauben.“
„Glauben Sie vielleicht, ich thu’s; ’s fällt mir nicht ein,“ ereiferte sich Frau Müller, „ich glaub’ ganz gewiß an keine Gespenster, aber das eine Mal hab’ ich eins gesehen, und da beißt keine Maus den Faden ab.“
„Aber nicht wahr,“ wandte sich Malchen an Frau von Feldern, „wenn auch Frau Müller in der Hauptsache recht hat, ein lediges tugendhaftes Mädchen ist trotzdem eine ehrenhafte Person?“
„Das ist sie,“ unterbrach sie Frau von Feldern, „den Wert der Frau bestimmt weder das viele Heiraten noch das Ledigsein; unsere Auszeichnung liegt in uns selbst, und es giebt tausend Ehen, in denen der Mann gar nichts ist und die Frau alles –“
Malchen fiel Frau von Feldern um den Hals. „Sie sind immer so geistvoll!“
Herr von Feldern betrachtete angelegentlich seine Manschetten, und Kunochen, der von der ganzen Unterhaltung nichts verstanden hatte, rief vergnügt aus:
„Die Mama hat doch immer recht!“
Er wurde von Malchen abgeküßt und ein geniales Kind genannt, und schon im nächsten Augenblick stand er mitten im Zimmer und deklamierte den „Handschuh“.
„Jesses Gott, wenn ich doch nur die Viecher nimmer aufspazieren hören müßt’,“ murmelte Frau Müller, und ihre verzweifelten Blicke flogen von einem Gegenstand des Zimmers zum andern. Sie sprang auf, als Kunochen eben Atem schöpfte, um die „Bürgschaft“ anzufangen, allein Frau von Feldern drückte den Gast mit Gewalt auf seinen Stuhl nieder:
„Ich bitte Sie, Schillers Gedichte, Frau Müller – sollten Sie für das Höchste auf Erden, für die Poesie, kein Interesse haben?“
So etwas konnte man doch nicht auf sich sitzen lassen: Frau Müller hörte mit innerlichem Knirschen die „Bürgschaft“ an und dann noch den „Gang nach dem Eisenhammer“. Herr von Feldern schnarchte dazu, und allmählich wirkte das sanfte Geräusch auch beruhigend auf das erregte Gemüt der Witwe.
Als sie, nachdem sie sich so schnell als möglich nach den stattgehabten Genüssen verabschiedet hatte, vor das Haus trat, sah sie den Herrn Schneider vor seiner Ladenthür stehen und rauschte mit einem „Hol Sie der Teufel, grüß Sie Gott, Herr Schneider!“ auf den Mann zu.
„Warum soll mich denn der Teufel holen?“ fragte er.
„’s muß halt wo ’naus,“ gab sie zur Antwort, „denn wenn ich von da drin komm’, ist mir’s zu Mut wie einer Lokomotiv’, und ich möcht’ schnaufen und fauchen und alles in Grund und Boden ’nein rennen; o Herrgott, ist das alle Sonntag eine Tortur!“
„Ja, warum gehen Sie denn immer wieder hin?“ fragte Herr Schneider.
„Aber ich bitt’ Sie, was soll ich denn sonst mit meinem Sonntagnachmittag anfangen, daheim bleiben kann man doch nicht! und dann, schauen Sie, hat’s auch sein Guts – jetzt freu’ ich mich wieder die ganze Woch’ über meine Natürlichkeit, und daß ich mich nimmer anzustrengen brauch’ wie eine Prinzeß. Ach Gott, wenn ich’s ihr doch einmal sagen könnt’, wie mir’s auf der Seel’ sitzt – wenn ich sie einmal niederdonnern könnt’ –!“
„Aber wer hält Sie denn davon ab,“ unterbrach sie Herr Schneider, „so thun Sie’s doch ins Kuckucks Namen!“
„So, ja hopsa, daß sie mich beim nächsten Kleid in allen Ecken und Enden einpreßt und mir am End’ die neueste Mode unterschlägt! So ’was ist schon dagewesen, und wenn ich alles vertrag’, das vertrag’ ich nicht! Leben Sie wohl, Herr Schneider, und das ist gewiß, wir zwei verstehen sich und dabei soll’s bleiben!“
Kunochen hatte eines Tages den Bruder dabei entdeckt, wie er sich zur Vesperzeit bei Herrn Schneider gütlich that. Erst drohte er damit, Eduard bei der Mutter zu verklagen, dann aber gingen die Brüder einen Handel miteinander ein, indem Eduard versprach, dem Bruder die Schulaufgaben als Entgelt für die Wahrung des Geheimnisses zu machen.
Kunochen mußte nämlich die Eigenschaften, welche die Mutter so sehr an ihm rühmte – daß er wie ein Vogel aß und all’ seine freie Zeit bei ihr in der Stube verbrachte, mit einem vollkommenen Mangel an Kräften büßen; daher, welch willkommene Gelegenheit, dem Bruder seine Aufgaben zuschieben zu können! Er brachte seitdem bessere Noten mit nach Hause, nur für das Mündliche blieben sie schlecht; allein Frau von Feldern lief immer wieder in die Schule, um den Lehrern, deren Schrecken sie war, begreiflich zu machen, daß, wenn Kunochen schlecht antworte, dies nur an seiner Schüchternheit liege. Er habe das von ihr, auch sie habe in der Schule, sobald eine Frage an sie gestellt wurde, den Kopf verloren, obwohl sie mehr gewußt habe als die ganze Klasse.
Kunochen machte sich das unglückliche mütterliche Erbteil sofort zu nutze und spielte so trefflich den Bestürzten und Fassungslosen, daß er die Lehrer wirklich damit täuschte und sie ihn für befähigter hielten als seinen Bruder.
Eduard gab nie unverständige Antworten, aber er lernte schwer auswendig und seine Aufgaben waren hudelig und schlecht
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0064.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)