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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0066.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

gemacht. Daran war außer dem Umstand, daß er zu viel Zeit an die Aufgaben seines Bruders verwenden mußte, noch etwas anderes schuld: Eduard wollte aus dem Gymnasium heraus.

Er war durch und durch angesteckt von den Gesinnungen des Herrn Schneider, der den Bürgerstand als den einzig richtigen in der Welt pries, in dem allein wirklich freie und unabhängige Männer zu gedeihen vermöchten.

„Ich kann thun, was ich will,“ sagte er zu dem begierig an seinen Lippen hängenden Knaben, „ich habe keinen Vorgesetzten, nach dem ich meine Meinung, meine Gesinnung zu richten brauche; der Beamten- oder Offiziersstand aber, was ist das anderes als Schulzwang bis ins graue Alter!“

Nicht auf einmal, so nach und nach hatte Herr Schneider des Knaben Sinn mit dergleichen Redensarten gefangen genommen; allemal wenn Frau von Felderns Hochmut den hitzigen Mann wieder in Harnisch gebracht, schwiegen dessen Gewissensbisse; er sprach von neuem in den Knaben hinein und freute sich, mit anzusehen, wie so ganz anders sich der kleine Mann entwickelte, als es seiner Mutter lieb sein mochte. Edu war ein gesunder kräftiger Bursche geworden, der nicht mehr von seinem knurrenden Magen abhing, sondern schon sein Lebensziel im Auge hatte. Er wollte Kaufmann werden: sein Ideal war die ungezwungene Fröhlichkeit und Behagen atmende Häuslichkeit des Kaufmanns Schneider; er gehörte längst dazu und saß vergnügt bei der Abendmahlzeit, wenn seine Mutter ihn im Bett vermutete.

Bei Schneiders standen Teller und Schüsseln, alle mehr oder weniger zerstoßen oder gesprungen, auf einem blau und gelb karrierten Wachstuch; es fielen keine Bemerkungen über die wenig schöne Art, wie jeder Messer und Gabel handhabte; man schmatzte lustig drauf los, sprach mit vollem Munde, und der Herr Schneider oben am Tisch gab kein besseres Beispiel. Eduard hatte es anders gelernt, allein wie er sich einstens seiner neuen Mützen und Kleider geschämt hatte, so schämte er sich jetzt seiner besseren Manieren und gab sich die erdenklichste Mühe, es den anderen gleich zu thun. Mitten aus diesem Beginnen riß ihn eines Tages die kleine Gustl:

„Du mußt nicht meinen, daß Du auch so wüst thun mußt, es ist viel schöner anders.“

Eduard wurde dunkelrot und merkwürdigerweise erfaßte diese Scham wie eine ansteckende Krankheit auch sämtliche Anwesende, Herrn Schneider an der Spitze, und alle sahen stumm und betreten nach der kleinen Sprecherin hin, die fein zierlich ihre Gabel in der Hand hielt, kerzengerade da saß und mit geschlossenen Lippen kaute.

Niemand wußte, wie es kam, aber die vielen sich bisher auf dem Tisch stoßenden Ellbogen waren plötzlich von der Oberfläche verschwunden, man hörte kein Schmatzen, man sah keine schmutzigen Hände mehr. Nur Herr Schneider schlürfte nach wie vor seine Suppe hinunter und gab sich die erdenklichste Mühe, gegen die neue Ordnung der Dinge stand zu halten, indem er verdrossen in sich hinein fluchte: „Will ich die Feldernschen Manieren an meinem Tisch? Hol’ sie der Teufel!“

Aber er holte sie nicht, sondern der gute Herr Schneider mußte eine Erfahrung machen, auf die er nicht gefaßt gewesen war – nämlich, daß in gleichem Maße, wie er der Mutter den Sohn abspenstig machte, ihm sein Kind abspenstig gemacht wurde – und zwar durch eben diesen Eduard. Er, der Vater, war nicht länger das Ideal seines Augapfels und hatte aufgehört, für sein Kind im Glanze der Unfehlbarkeit zu wandeln – den ganzen Tag mußte er hören:

„Vaterle, so macht man das nicht, der Eduard macht’s ganz anders –“

„Vaterle, warum hast Du nur immer so viele Flecken an Deinem Rock, siehst Du nicht, wie sauber der Eduard ist?“

Der hatte in der That aufgehört, länger seine gnte Erziehung verleugnen zu wollen; sah er sich doch unausgesetzt von Gustls großen Augen beobachtet, und er hatte nicht Lust, sich einer zweiten Rüge aus dem Munde des Kindes auszusetzen.

Er war am Ende des Schuljahres aus dem Gymnasium geschickt worden; seine Mutter hatte zwar etliche Anstürme versucht und es bei den Lehrern durchsetzen wollen, daß man den Sohn im Gymnasium behalte, allein Eduard hatte den alten Sprachen gegenüber so gründlich den Verstockten gespielt, daß von einer Wiederaufnahme keine Rede sein konnte.

Obgleich er nun im Realgymnasium ein vortrefflicher Schüler wurde und die besten Zeugnisse nach Hause brachte, so hatte er doch durch seinen Austritt aus dem Gymnasium die Liebe seiner Mutter völlig verscherzt. Er war in ihren Augen gesunken, hatte sich für immer um sein Anrecht auf den Umgang mit Hochstehenden gebracht. Sie sagte: „Ich kann mich für ein Kind mit gewöhnlichen Instinkten nicht interessieren; ich sehe mich um die Ernte gebracht, die Du mir schuldig warst!“

Eduard kränkten diese Worte mehr, als er sich’s selbst gestand; er beschloß in seinem Innern: „Ich werd’s der Mutter zeigen, ich werd’s ihr schon noch eines Tages zeigen, daß man sich meiner nicht zu schämen braucht!“

Darauf kam er immer wieder zurück, wenn er sich gegen Herrn Schneider aussprach. Mochte der Bruder ein feiner Herr werden und nur mit Adeligen umgehen, er wollte inzwischen tüchtig werden und reich und angesehen, und hoffentlich war’s dann ihm, nur ihm und nicht dem Bruder, vorbehalten, der Mutter ein sorgenloses Alter zu bereiten!

Das war immer das Endziel seiner Wünsche, und zum großen Aerger des Herrn Schneider war auch Gustls Phantasie fortwährend mit dieser Frau beschäftigt. Es drängte sie immer wieder, eine Gelegenheit zu suchen, Frau von Feldern entweder unter dem Thorweg des Hauses oder auf der Gasse zu begegnen, und eines Tages plagte sie die Neugier so stark, daß sie dem Gespielen ins Ohr sagte: „Du, ich möcht’ gar so gern einmal sehen, wie’s bei Euch ist –“

Eduard nahm sie bei der Hand. „Komm mit!“

Er hatte zwar die feste Ueberzeugung, daß die Sache nicht gut ausfallen würde, aber warum sollte er nicht ebensogut ein Recht haben, sein Kamerädchen mit in die Stube zu bringen, wie Kuno, der jetzt sehr oft Besuch bekam, welchen die Mutter nicht genug auszeichnen konnte.

So trat er, Gustl, der das Herz bis an den Hals schlug, am Händchen nach sich ziehend, in die Eßstube; Frau von Feldern saß wie immer am Nähtisch; Kunochen hatte einen Kameraden bei sich; die beiden Knaben waren dabei, Bleisoldaten aufzustellen und gegeneinander marschieren zu lassen.

Dies geschah, nachdem Kuno über zwei Stunden mit dem Hilfslehrer gearbeitet hatte, den Frau von Feldern für ihren Jüngsten nun zu halten gezwungen war; er war in seiner Klasse sitzen geblieben, da sein Bruder ihm nicht länger die Aufgaben hatte machen können.

Eduard und die Kleine hatten sich draußen in der frischen Herbstluft getummelt und traten nun mit hochroten Wangen und zerzausten Haaren in den friedlichen Kreis, einen vollen Gegensatz bildend zu dem abgearbeiteten Kunochen, das schweigend seine Bleisoldaten hin und her schob.

Frau von Feldern blickte erstaunt auf; es war ihr unbegreiflich, wie Eduard es wagen durfte, die kleine unerzogene Tochter des Herrn Schneider mit hereinzubringen. Sie reichte nichts destoweniger dem kleinen Gast die Hand, freilich mit einiger Vorsicht, indem sie hinzufügte: „Man muß sich immer hübsch waschen und sauber kleiden, bevor man Besuche macht … Kunochen,“ setzte sie hinzu, „warte der Kleinen von dem Zwieback auf –“

Dies geschah. Allein Kunochen stand schon eine ganze Weile mit seinem Teller vor Gustl, sie nahm nichts; der kalte, strenge Blick der Frau von Feldern lähmte das Kind vollständig; es hatte seine sonnenverbrannten, allerdings nicht ganz saubern Händchen unter der Schürze versteckt, atmete hörbar und war dem Weinen nahe. Eduard stand an ihrer Seite mit einem Gesicht, als wartete er nur auf den Augenblick, um seine kleine Freundin gegen die feindlichen Mächte zu verteidigen, die sie beängstigten. Da kam auch schon die Gelegenheit.

„Ist die aber dumm!“ rief Kunochens Freund vom Tisch her.

Im nächsten Augenblick hatte er seine Ohrfeige weg und lag brüllend mit dem Gesicht auf den Bleisoldaten.

„So ist es immer,“ sagte Frau von Feldern, streckte die Hand aus und zog Eduard kräftig am Ohr. „Du brauchst nur zu kommen, so geht der Unfriede los. Wenn Du denn schon ein Gassenjunge bist, so bleibe auch auf der Gasse, wenn man Dich nicht ruft.“

Eduard, der keine Miene verzog, obwohl sich sein Ohr unter den harten Fingern seiner Mutter blaurot gefärbt hatte, Eduard nahm seine kleine Gefährtin bei der Hand und zog sie zur Thür hinaus. Im Hofe riß sich Gustl von ihm los und flog, kaum die Erde mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0066.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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