verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Die Gartenlaube.
Präsident Paul Krüger. Märchenhaft ist die wirtschaftliche Entwickelung, die sich im Laufe des letzten Jahrzehnts in dem einst so armen Transvaal vollzogen hat. Man hat in seinen Bergen das jüngste Dorado entdeckt, das nun jahraus jahrein die Welt mit einem Goldregen überschüttet.
Tausende und Abertausende unternehmender Menschen, Bergleute, Ingenieure, Kaufleute und Abenteurer, eilen aus Europa und Amerika dorthin, und in der unmittelbaren Nähe der Goldminen wuchs in kurzer Zeit die Stadt Johannesburg, die heute an 100000 Einwohner zählt, davon die Hälfte europäische Einwanderer sind. In Gold- und Silberminen pflegt es in der Regel nicht besonders ruhig zuzugehen; aber zu Ehren der Boers, der Herren des neuen Goldlandes, muß gesagt werden, daß sie, soweit es in Menschenmacht liegt, Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten wußten und durch weise Verordnungen die Entwickelung einer mit Riesenschritten wachsenden Minenindustrie ermöglichten.
Die Schätze ihrer Heimat erweckten aber von neuem den Neid ihrer Nachbarn, der Engländer, die schon so oft die Unabhängigkeit der Boers mit diplomatischen Künsten und mit Waffen in der Hand bekämpften. Englische Gesellschaften stellten das Verlangen, daß die „Ausländer“ („Uitlanders“), die jüngst eingewanderten Goldsucher und vorübergehend sich aufhaltenden Kaufleute dieselben politischen Rechte wie die eingesessene Bevölkerung erhalten sollen, und als die Boers nicht sofort ihren Nacken vor dem Wunsche der Fremden beugten, entsandten sie eine von Offizieren der britischen Armee geführte Freibeuterschar, die den vermeintlich Bedrückten in Johannesburg zu Hilfe eilen und in der „Südafrikanischen Republik“ die Fahne des Aufruhrs aufpflanzen sollte.
Der frevelhafte Räuberanfall wurde jedoch bald zurückgeschlagen, und die Mehrzahl der den Kampf überlebenden englischen Freibeuter wurde samt ihrem Rädelsführer Dr. Jameson in der Schlacht bei Krügersdorp gefangen genommen. Die Republik der Boers wurde gerettet, dank der Umsicht und Entschlossenheit, mit welcher der Präsident Paul Krüger ihre Geschicke leitet.
Der Name Krügers war in Deutschland schon seit lange wohlbekannt; hat er doch auch einst an der Spitze einer Boersdeputation in Berlin Kaiser Wilhelm I. besucht. Damals haben sich der greise deutsche Kaiser und der Bauernpräsident die Hände zum Freundschaftsbunde gereicht, und diese Freundschaft hat auch ungetrübt zwischen den stammverwandten Völkern bis auf den heutigen Tag bestanden. Unter den Staatsmännern der Neuzeit nimmt Paul Krüger eine besondere Stellung ein; er ist wohl der einzige unter ihnen, der keine wissenschaftliche Vorbildung, ja kaum eine nennenswerte Schulbildung besitzt. Am 10. Oktober 1825 als Sohn eines Farmers zu Rustenburg geboren, zeichnete er sich frühzeitig als tapferer Krieger aus. Die Geschichte von Südafrika weiß von seiner regen Beteiligung an den verschiedensten Kämpfen gegen feindlich gesinnte Negerstämme zu berichten. Der tapfere Boer wurde später zum Kommandantgeneral von Transvaal ernannt und zum Mitglied des „Vollziehenden Rates“ berufen. Hier erwies er sich als ein so gewiegter Staatsmann, daß er 1883 zum erstenmal zum Präsidenten der Republik gewählt wurde. Schon damals gelang es ihm, die Unabhängigkeit seines Vaterlandes englischen Ansprüchen gegenüber zu sichern. Er stand vor einer schwierigen Aufgabe, als die Goldgewinnung in Transvaal begann und überall neue Bedürfnisse auftraten und zu befriedigen waren. Daß er dieser Aufgabe gewachsen war, beweist das rasche Erblühen der Minenwerke und die Ordnung, die in der jüngsten afrikanischen Großstadt herrscht. Inmitten des Goldstromes, der sich über sein Land ergoß, hat Krüger seine Charaktertugenden bewahrt; ein einfacher Boer ist er geblieben; ehrenhaft und unbestechlich stellt er seine eiserne Thatkraft in den Dienst des Vaterlandes und hat sich die Achtung aller ehrlichen Zeitgenossen gesichert.
Der Marktplatz von Johannesburg. Johannesburg, die blitzschnell entstandene Hauptstadt der südafrikanischen Goldgräber, besitzt eine Reihe ganz besonderer Einrichtungen. Unter anderem kann sie sich des größten Marktplatzes von allen Städten der Erde rühmen. Daß derselbe so weitläufig angelegt wurde, hat seine guten Gründe. Wenn auch Johannesburg seit einiger Zeit durch Eisenbahn mit der Küste verbunden ist, so kann es doch durch diese allein nicht verproviantiert werden. Ein großer Teil der Lebensmittel für die hunderttausendköpfige Bevölkerung muß von den Farmen der Boers mit Hilfe der bekannten südafrikanischen Ochsengespanne herbeigeschafft werden. Diese Geschirre nehmen aber, wo sie halten, recht viel Platz in Anspruch, und zu Hunderten versammeln sie sich auf dem Markte von Johannesburg, welcher alsdann einen höchst eigenartigen Anblick bietet, den wenigstens zum Teil unsere nach einer Originalphotographie ausgeführte Abbildung dem Leser veranschaulicht. An dem Marktplatze befindet sich auch das riesige Postgebäude, das gleichfalls eine originelle Einrichtung besitzt. Johannesburg hat zahlreiche Straßen, aber eine Numerierung der Häuser ist noch nicht durchgeführt. Briefe werden darum nicht ins Haus bestellt, sondern auf dem Postamte abgeholt. Hier sind nun Tausende von Briefkästen aufgestellt, auf welche die Bewohner von Johannesburg abonnieren können und in denen die Abonnenten die für sie eingetroffenen Briefe vorfinden. Im Hintergrunde unseres Bildes ist das große Postamt sichtbar, das zur Belebung des Treibens auf dem Marktplatze nicht wenig beiträgt.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 68a. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0068_a.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2024)