verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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„Ehrwald? Ach so, der junge Landsmann, den Sonneck in Deutschland aufgegriffen hat und mitnehmen will auf seinem Zuge. Nebenbei gesagt, ein prächtiger Bursche – ja, der geht auch mit.“
In dem Gesichte des Herrn von Osmar malte sich eine sichtlich unangenehme Ueberraschung bei dieser Eröffnung. Er war zwar überzeugt, daß die eifersüchtigen Befürchtungen Lord Marwoods übertrieben seien, und glaubte nicht an eine ernstliche Neigung seiner Tochter, aber dieser Entschluß Sonnecks kam ihm doch äußerst ungelegen, denn er brachte den „kecken jungen Glücksritter“ aufs neue in die Nähe Zenaides. Für den Augenblick ließ sich indessen nichts thun, man mußte den tückischen Zufall hinnehmen.
Der Konsul brach deshalb ab, sprach von anderen Dingen und überließ nach einigen Minuten den Professor den deutschen Herren, während er sich zu Lieutenant Hartley wendete, der eben eintrat.
Reinhart Ehrwald verkehrte inzwischen ganz unbefangen in der Gesellschaft, wo er trotz seines kurzen Aufenthaltes in Kairo bereits heimisch geworden war. Der Sieg, den er damals beim Rennen gewann, und das tollkühne Reiterstück, das er dabei zum besten gab, hatten das allgemeine Interesse auf ihn gelenkt und seine Persönlichkeit war ganz danach, es dauernd zu fesseln. Er hatte entschieden Glück in diesen Kreisen, zumal bei den Damen, und gerade das Stürmische, Gewaltsame, das in seinem Charakter lag und das er nie ganz zu beherrschen vermochte, sicherte ihm seine Erfolge. Er war etwas so ganz anderes als die jungen Herren, denen man dutzendweise in den Salons begegnete, die frische Ursprünglichkeit seiner Natur gewann jeden und wußte jeden festzuhalten.
Er hatte bei seinem Kommen selbstverständlich Fräulein von Osmar begrüßt, zu einem längeren Gespräche aber keine Gelegenheit gefunden, da sie die Pflichten der Wirtin zu üben hatte, und überdies stand der langweilige Lord Marwood wie eine Schildwache an ihrer Seite. Reinhart bezeigte keine Lust, seine Unterhaltung mit der jungen Dame der Kontrolle Seiner Lordschaft zu unterbreiten, und wandte sich nach einigen Minuten der übrigen Gesellschaft zu, die sich jetzt zwanglos in die einzelnen Räume verteilte. Man fand sich in größeren oder kleineren Gruppen zusammen, man begrüßte sich und plauderte in allen Sprachen. Es war das gewohnte Treiben der Salons, nur daß es hier farbenreicher, vielgestaltiger und durch die Menge der verschiedenartigen Elemente auch interessanter erschien.
Die Glasthüren des großen Empfangssaales, die auf die Terrasse hinausgingen, waren der Hitze wegen weit geöffnet. Dort stand Sonneck im Gespräch mit dem Professor Leutold. Die beiden Herren waren seit langer Zeit befreundet. Sonneck hatte vor zwanzig Jahren als junger Student die Vorlesungen an der Universität gehört, wo der Professor schon damals wirkte, und wenn er inzwischen auch selbst zur Berühmtheit und zu einem Weltruf gelangt war, so bewahrte er dem verehrten Lehrer doch die alte Anhänglichkeit. Sie hatten von Deutschland gesprochen, von der Universität und den dortigen Bekannten, als Sonneck plötzlich fragte:
„Wissen Sie etwas Näheres von dem Professor Helmreich? Ich habe ihn nicht gesehen, als ich kürzlich in Europa war, denn auf meine briefliche Anfrage erhielt ich ein kurze, kühle Antwort, aus der ich herauslas, daß mein Besuch ihm nicht erwünscht sei. Infolgedessen unterließ ich es, ihn aufzusuchen.“
„Daran thaten Sie sehr recht,“ entgegnete Leutold. „Ich bin im vergangenen Sommer bei ihm gewesen, als ich einen Ausflug in die Berge machte; er ist aber so verbittert und menschenfeindlich geworden, daß das Zusammensein sehr unerquicklich war. Ich begreife überhaupt nicht, wie ein Mann von der Vergangenheit und dem Wissen Helmreichs sich in einen solchen Ort vergraben kann. Dies Kronsberg ist ein kleines abgelegenes Bergnest, das nicht die geringste geistige Anregung bietet. Freilich, er will ja auch keinen Verkehr, lebt einzig und allein seinen Studien und ist ganz außer sich darüber, daß sich in unmittelbarer Nähe der Stadt ein freilich noch sehr bescheidener Badeort entwickelt, weil ihn das in seiner Einsamkeit stört.“
„Sie wissen es ja, was ihn in die Einsamkeit getrieben hat,“ sagte Sonneck halblaut.
„Ja freilich, die Geschichte machte damals Aufsehen genug, aber deshalb giebt man doch nicht sein Amt und seinen ganzen Freundeskreis auf, wie Helmreich es that. Für ihn hatte alle Welt doch nur Mitleid und Teilnahme.“
„Und eben das ertrug sein Stolz nicht. Ueberdies – es war sein einziges Kind, das er bis dahin geliebt hatte mit der ganzen Kraft seiner herben Natur; daß der Schlag gerade von dieser Seite kam, konnte er nicht verwinden.“
„Nun, die Sache wurde aber doch durch die Heirat wieder ausgeglichen. Jeder andere Vater hätte sich da erweichen lassen und schließlich verziehen. Helmreich hielt seinen Groll fest bis über das Grab hinaus. Die junge Frau ist ja wohl gestorben?“
„Vor zwei Jahren! Und vor vier Wochen habe ich auch Ludwig von Bernried zu Grabe geleitet.“
„Hier in Kairo?“ rief der Professor überrascht. „Wie ist er denn hierher gekommen?“
„Wie so manche gescheiterte Existenz, die ihr Heil schließlich in der Fremde sucht. Es war ein ruheloses, verfehltes Leben, das ein jäher Tod endigte. Ich habe ihn erst auf dem Sterbebette wiedergesehen.“ Sonnecks Stimme bebte hörbar bei den letzten Worten, auch Professor Leutold war ernst geworden.
„Ich weiß, Sie waren befreundet mit ihm,“ sagte er. „Und er zog Sie in die traurige Geschichte mit hinein. Haben Sie Helmreich Nachricht von dem Tode seines Schwiegersohnes gegeben?“
„Ich mußte es wohl, denn Bernried hat ein Kind hinterlassen, ein kleines Mädchen von acht Jahren, das nun ganz verwaist ist. Es soll in einigen Wochen nach Kronsberg reisen.“
Der Professor schüttelte bedenklich den Kopf.
„Ein Kind in dem Hause und bei dem Manne, der vollständig zum Sonderling wurde! Ein trauriges Los für die Kleine.“
„Das fürchte ich auch,“ stimmte Sonneck bei. „Aber das Kind hat sonst keine andere Zuflucht und der Großvater nimmt es auch mit aller Entschiedenheit in Anspruch.“
Vor ihm tauchte das Bild des kleinen sonnigen Wesens auf, mit dem rosigen Gesichtchen und dem frohen Kinderlachen, mit den Augen, die so sehr denen des Vaters glichen, wenn sie im jähen Trotze aufflammten, und kaum hörbar setzte er hinzu: „Armes Kind, was wird aus dir werden in solchen Händen!“
„Jetzt wollen wir uns aber mit den alten trüben Geschichten nicht die heitere Gegenwart verderben,“ sagte der Professor jovial. „Hier schwimmt ja alles in Vergnügen und der junge Herr da plätschert nun vollends darin wie ein Fisch im Wasser. Ja, die Jugend mit ihrer beneidenswerten Genußfähigkeit!“
Die letzten Worte galten Ehrwald, der soeben herantrat und lachend erwiderte: „Man muß ja leider mit dem Strome schwimmen, Herr Professor.“
„Nun, so unangenehm scheint Ihnen diese Beschäftigung gerade nicht zu sein,“ spottete Leutold. „Sie spielen ja den Liebenswürdigen bei dem ganzen weiblichen Kairo und, so viel ich bemerken konnte, mit unleugbarem Erfolge.“
„Ja, man verwöhnt ihn hier in jeder Hinsicht,“ meinte Sonneck. „Und er nimmt das so unbekümmert hin, als ob es sich ganz von selbst verstände. Es ist Zeit, daß wir fortkommen, sonst verdreht man Dir noch vollständig den Kopf.“
„Glauben Sie, daß ich ihn mir so leicht verdrehen lasse?“ fragte der junge Mann mit spöttisch sich kräuselnden Lippen.
„Gönnen Sie es ihm doch heute noch,“ fiel Leutold ein, „die Herrlichkeit nimmt ja bald ein Ende. In Zukunft kann er nur noch den schwarzen oder kaffeebraunen Schönheiten den Hof machen, und das dürfte doch nicht ganz nach seinem Geschmack sein. Ihnen ist es wohl nicht recht, Herr Ehrwald, daß wir jetzt schon das glänzende Kairo hinter uns lassen? Ich kann es mir denken!“
„Mir?“ rief Reinhart aufflammend. „Wenn Sie wüßten, wie dankbar ich Ihnen bin, daß Sie Herrn Sonneck zum Aufbruch nach Luksor bestimmten! Es ist doch wenigstens eine Erlösung von dem thatenlosen Harren und Warten, das uns nachgerade zur Folter wird, wenigstens ein Schritt vorwärts auf unserem Wege!“
„Nun, der ‚Schritt‘ bedeutet immerhin fünf Tagereisen,“ sagte lächelnd der Professor, dem das ungestüme Vorwärtsdrängen des jungen Mannes zu gefallen schien. „Aber da ist Doktor Walter! Ich muß ein paar Worte mit ihm sprechen: ich möchte mir vor der Abreise das Deutsche Hospital ansehen. Kommen Sie, Sonneck!“
Die beiden Herren gingen und Ehrwald war im Begriff, ihnen zu folgen, blieb aber plötzlich stehen. Während er seine Artigkeiten überall verschwendete, hatte er es gar nicht gesehen, daß ein Paar dunkler Augen ihn suchte und immer wieder suchte. Jetzt sah er es und auch sein Blick hing minutenlang an der jungen Herrin des Hauses, die sich eben losmachte von dem Kreise, der sie mit Aufmerksamkeiten und Huldigungen aller Art umgab.
(Fortsetzung folgt.)
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0074.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)