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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0181.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 12.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Der erste Star.
Nach einer Originalzeichnung von Lothar Meggendorfer.

Fata Morgana.

Roman von E. Werner.

     (11. Fortsetzung.)

Es mochte etwa vierzehn Jahre her sein, daß sich Professor Helmreich in Kronsberg niedergelassen hatte, das damals noch ein ganz unbedeutendes Bergstädtchen war. Er hatte einen Sommer lang dort gewohnt, angeblich um seine Gesundheit in der Alpenluft zu kräftigen, und dann schon im Herbste die Besitzung Burgheim erworben, die gerade zum Verkauf stand.

Man erfuhr bald, daß er einen nicht unbedeutenden wissenschaftlichen Ruf besaß und an einer großen Universität einen philosophischen Lehrstuhl bekleidet, sein Amt aber schon vor einigen Jahren niedergelegt habe. Der Professor hatte beim Abschluß des Kaufes erklärt, er habe seine Stellung aufgegeben, um ganz seinen Studien zu leben und ein größeres wissenschaftliches Werk in ungestörter Ruhe zu vollenden. Weiter verlautete nichts, aber das erklärte auch vollständig die Zurückgezogenheit des Gelehrten, der sich hartnäckig von jedem Verkehr abschloß. Er widmete in der That seine ganze Zeit seinen Studien, die er mit einer wahren Leidenschaft trieb, und das Ergebnis derselben waren denn auch mehrere philosophische Werke, die in den betreffenden Kreisen sehr geschätzt, im Publikum aber kaum dem Namen nach bekannt waren.

Vor zehn Jahren hatte er dann seine Enkelin, nach dem jähen Tode ihres Vaters in Kairo, zu sich ins Haus genommen, aber die Ankunft des damals achtjährigen Kindes hatte nicht das Geringste an den einsiedlerischen Gewohnheiten des Großvaters geändert. Die Kleine wurde zu demselben Leben verurteilt, das er selbst führte, und grundsätzlich von jedem Umgange mit Altersgenossen ausgeschlossen. Helmreich hatte sie sogar selbst unterrichtet, nur um zu verhindern, daß sie in der Schule mit andren Kindern in Berührung kam. So wuchs denn die kleine Elsa heran, in dem alten düsteren Hause, ohne Spielgefährten, ohne Kinder- und Jugendfreuden, immer nur auf den Verkehr mit dem strengen, finsteren Großvater angewiesen, der nach und nach ganz zum Sonderling geworden war.

Sonneck hatte, als er sich von dem Hofrat trennte, den Rückweg nach Burgheim angetreten. Er erreichte eben das Thor und wollte es öffnen, als ein wütendes Gebell ertönte und ein riesiger Hund, der aus dem Garten hervorstürzte, sich drohend hinter dem Gitter aufrichtete, ihm den Eingang zu verwehren.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0181.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2023)
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