Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1896) 0183.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Ich glaubte, es handelte sich um einen Abschied, Bernried hatte mir sein Wort gegeben.“

„Und es dann gebrochen! Der ehrlose Verräter!“

Sonneck erhob sich plötzlich und trat dicht vor ihn hin.

„Nicht weiter, Herr Professor, wenn Sie mich nicht forttreiben wollen! Ludwigs Wortbruch hat mich damals schwer genug getroffen, viel schwerer als Ihre Vorwürfe, aber er hat gebüßt mit einem verfehlten Leben und einer bitteren Todesstunde. Der Tod löschte seine Schuld – ich dulde es nicht, daß er noch im Grabe geschmäht wird!“

Die Worte wurden mit einer solchen Entschiedenheit gesprochen, daß der alte verbitterte Mann davor verstummte, er lehnte sich finster in seinen Stuhl zurück.

„Nun so lassen Sie auch die alten Erinnerungen,“ murrte er. „Sie wissen es ja, ich kann sie nicht vertragen.“

„Habe ich diese Erinnerungen wachgerufen? Sie sind es, der sich in unaufhörlicher Selbstquälerei damit martert. Brechen wir ab davon, Sie wollten ja schon gestern etwas Wichtiges mit mir besprechen, waren aber zu unwohl, um eine längere Unterhaltung zu führen.“

„Ganz recht, und der Anfall hat mir gezeigt, daß ich nicht mehr viel Zeit zu verlieren habe, wenn ich Verfügungen treffen will. Meine Tage sind gezählt.“

„Der Hofrat meint, daß eine nahe Gefahr nicht vorhanden sei,“ warf Sonneck ein, indem er wieder seinen Platz einnahm. Der Professor zuckte verächtlich die Achseln.

„Jawohl, das hat er mir auch gesagt, er wollte mich wahrscheinlich trösten damit. Lächerlich! Als ob es ein Vergnügen wäre, diesen elenden, gebrechlichen Körper noch ein paar Jahre länger mit sich herumzuschleppen. Und was das Leben selbst betrifft, dies erbärmliche Dasein, das nichts als Not und Elend bringt, das habe ich schon seit zwanzig Jahren satt. Ich möchte nur mein letztes großes Werk noch abschließen und das ist in ein paar Monaten gethan, dann mag die Geschichte ein Ende nehmen, je eher desto besser!“ Es lag eine so herbe Bitterkeit in dem Ausbruch, daß man wohl sah, dem Manne war es ernst mit seiner Verachtung des Lebens.

Lothar wußte das längst und hatte es auch längst aufgegeben, dagegen anzukämpfen, jetzt aber mahnte er in vorwurfsvollem Tone: „Und Ihre Enkelin?“

„Elsa? Ja, darüber wollte ich eben mit Ihnen reden. Burgheim ist immerhin etwas Wert, besonders seit der – berühmte Weltkurort da drüben seine Arme immer weiter ausstreckt. Es ist schuldenfrei und wird, wenn es nach meinem Tode verkauft wird, Elsa ein bescheidenes Los sichern. Aber wohin mit dem Mädchen? Ich stehe mit niemand mehr in Verkehr und habe all meine früheren Beziehungen abgebrochen.“

Sonneck hatte schweigend zugehört, ohne ihn zu unterbrechen, jetzt fragte er ruhig: „Wollen Sie mir Elsas Zukunft anvertrauen?“

„Ihnen?“ Helmreich sah ihn erstaunt an. „Ich denke, Sie gehen nach Afrika zurück, sobald Sie völlig wiederhergestellt sind?“

„Nein, ich bin entschlossen, in Deutschland zu bleiben, wenn auch der Entschluß kein freiwilliger ist. Hofrat Bertram hat mir keinen Zweifel darüber gelassen, daß ich das Tropenklima ein für allemal meiden muß, wenn ich überhaupt noch auf Leben und Gesundheit rechnen will. Ich besitze ja keine Reichtümer, aber doch immerhin genug, um ganz unabhängig leben zu können. Ich werde mich also irgendwo in Deutschland niederlassen.“

Das finstere Gesicht des Professors hatte sich bei dieser Erklärung mehr und mehr aufgehellt und jetzt richtete er sich mit ungewohnter Lebhaftigkeit auf.

„Da nehmen Sie mir eine drückende Sorge vom Herzen, Lothar; auf diesen Ausweg hatte ich gar nicht gehofft. Jetzt kann ich bei meinem Tode alle Verfügungen in Ihre Hände legen und meine Enkelin Ihrer Vormundschaft übergeben. Sie sind ja alt genug, um ihr Vater sein zu können – nun erschrecken Sie nur nicht, ich meine das nicht buchstäblich! Ich werde Ihnen selbstverständlich nicht zumuten, sich eine solche Last aufzubürden.“

Lothar hatte in der That bei dem Worte „Vater“ eine ablehnende, halb unwillige Bewegung gemacht, jetzt aber flog ein Lächeln über seine Züge, während er halblaut wiederholte: „Eine Last? Halten Sie es wirklich dafür?“

„Ein Mädchen ist immer eine Last!“ sagte Helmreich in herbem Tone. „Denken Sie etwa, daß es mir leicht geworden ist, in meinem Alter noch ein Kind, ein heranwachsendes Mädchen in das Haus zu nehmen und da noch den Erzieher zu spielen? Mir blieb keine Wahl, denn erzogen mußte das kleine Geschöpf doch werden; aber Sie sollen natürlich kein Opfer bringen, sondern nur dafür sorgen, daß Elsa in irgend einer stillen bescheidenen Familie untergebracht wird. Ich werde sofort meinem Testament die nötigen Bestimmungen wegen Ihrer Vormundschaft hinzufügen und Ihnen unbeschränkte Vollmacht geben, dann ist die Sache erledigt.“

In den Worten lag keine Spur von Herzlichkeit oder wirklicher Fürsorge, sie zeigten deutlich, daß der Großvater seine Enkelin in der That nur als eine Last betrachtete. Er war offenbar froh, einer Sorge überhoben zu sein, die ihn weit mehr gestört und geärgert als bekümmert hatte. Sonneck erhob sich und seine Stimme verriet den kaum verhehlten Unwillen, als er entgegnete: „Herr Professor, Sie haben sehr wenig Herz für Ihre Enkelin, sie hat es von jeher bei Ihnen büßen müssen, die Tochter ihres Vaters zu sein.“

„Nur keine Predigten, das verbitte ich mir!“ fuhr Helmreich gereizt auf. Dann lenkte er ein und sagte milder: „Wollen Sie etwa schon wieder fort? Ich wollte Ihnen erst noch eine Stelle aus meinem neuesten Kapitel vorlesen.“

„Später – möchte ich bitten. Jetzt will ich Elsa aufsuchen, ich habe mit ihr zu sprechen.“

„Worüber denn?“ grollte der Professor. „Es soll wohl wieder allerlei Verhaltungsregeln für mich geben, die dieser Hofrat ausgeheckt hat? Der Mensch ist mir unerträglich mit seiner ewigen Rechthaberei!“

Lothar antwortete nicht, sondern wandte sich mit einem kurzen „Also auf Wiedersehen!“ nach der Thür und verließ das Zimmer, während Helmreich zur Feder griff und an dem Manuskripte, das vor ihm auf dem Schreibtische lag, mit der Durchsicht fortfuhr.

Elsa befand sich im Wohnzimmer; sie saß am Fenster, mit einer Handarbeit beschäftigt, als Sonneck eintrat und einen Augenblick lang auf der Schwelle stehen blieb. Das düstere Gemach sah heute an dem trüben Sturmtage noch düsterer und unwohnlicher aus als sonst, das einzig Lichte war der blonde Kopf des jungen Mädchens, der sich über die Arbeit beugte.

„Bleiben Sie sitzen, Elsa,“ sagte Lothar, rasch zu ihr tretend, als sie sich erheben wollte. „Ich habe etwas Ernstes mit Ihnen zu besprechen, wollen Sie mich anhören?“

Elsa sah ihn groß und erstaunt an, sie war es nicht gewohnt, daß man etwas mit ihr besprach, und noch weniger daß man erst fragte, ob sie es auch hören wolle. Sie verriet aber nicht die mindeste Neugier, sondern neigte nur bejahend das Haupt und wartete schweigend auf eine Erklärung.

Es vergingen jedoch einige Sekunden, ehe Sonneck sprach. Der Mann, der die halbe Welt kannte und gewohnt war, mit den verschiedensten und bedeutendsten Persönlichkeiten zu verkehren, schien seltsamerweise hier befangen zu sein. Er suchte offenbar nach einer Einleitung, aber die helle Röte in seinem Antlitz, der gepreßte, etwas unsichere Klang seiner Stimme verrieten eine mühsam niedergehaltene Erregung, als er endlich begann: „Ihr Großvater ist recht leidend gewesen in der letzten Zeit und darunter müssen auch Sie leiden, nicht wahr? Er ist eben krank, und ein Kranker quält oft wider Willen seine ganze Umgebung, selbst das, was ihm lieb ist.“

„Der Großvater hat mich nicht lieb,“ sagte das junge Mädchen herb.

„Elsa!“

„Nein, Herr Sonneck, er hat mich nie lieb gehabt, auch damals nicht, da ich als kleines Kind zu ihm kam, und mein Papa –“

Sie brach plötzlich ab und preßte die Lippen zusammen, als sei ihr das Wort wider Willen entflohen.

„Nun?“ fragte Sonneck nach einer Pause. Das Mädchen schwieg und beugte sich wieder über die Arbeit.

„Sie wollten von Ihrem Vater sprechen, Elsa. Erinnern Sie sich seiner noch?“

Sie schüttelte langsam verneinend den Kopf. „Nein, bisweilen ist es mir wohl, als wollte sein Bild auftauchen, allein es ist ganz nebelhaft und unbestimmt, und wenn ich versuche, es festzuhalten, dann zerfließt es ganz. Sprechen durfte ich ja nie von dem Papa und auch niemals nach ihm fragen; der Großvater hat mich stets hart gescholten und gestraft, wenn ich das that.“

„Gestraft? Wenn ein Kind nach seinem Vater fragt! Das ist ja –“ Lothar hatte eine sehr harte Aeußerung auf den Lippen,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0183.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
OSZAR »