verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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unterdrückte sie aber; er konnte den alten tyrannischen Mann doch nicht vor seiner Enkelin anklagen, und so sagte er ernst: „Zu mir dürfen Sie von ihm sprechen, Elsa. Ich war der Jugendfreund Ihres Vaters, er ist mir einst sehr teuer gewesen und ich stand auch an seinem Sterbebette. Das Leben hatte ihm in den letzten Jahren viel Bitteres gebracht und es gab nur eins, was ihn hier zurückhielt – sein Kind, das er nun allein und frendlos zurücklassen mußte. Ich konnte die schwere Sorge nicht von ihm nehmen, denn ich hatte ja keine Heimat und stand unmittelbar vor meinem großen Zuge in das Innere Afrikas, der jahrelang dauerte – es hat mir damals wehe genug gethan!“
Elsa hatte die Hand an die Stirn gelegt, als wollte sie sich auf etwas besinnen, doch gelang es ihr offenbar nicht und sie fragte nur leise: „Mein Papa ist schon lange, sehr lange tot? nicht wahr?“
„Seit zehn Jahren, und zwei Monate später traten Sie die Reise nach Deutschland an. Erinnern Sie sich gar nicht mehr der großen fremden Stadt auf afrikanischem Boden? Der schönen, jungen Dame, zu der ich Sie nach dem Tode Ihres Vaters brachte? Des breiten, mächtigen Nilstroms mit den hohen Palmen und der fernen Wüste? Sie waren doch damals bereits acht Jahr und in dem Alter pflegt man sonst schon Eindrücke aufzunehmen.“
Das junge Mädchen hörte aufmerksam zu, aber es war nur jene Aufmerksamkeit, mit der man einem fremden wundersamen Märchen lauscht. Sonnecks Worte berührten augenscheinlich keine Saite in ihrer Erinnerung. „Ich habe das alles wohl noch gewußt, als ich hierher kam,“ erwiderte sie wie entschuldigend. „Hofrat Bertram sagt es wenigstens: ich bin jedoch einmal lange und schwer krank gewesen, und als ich wieder gesund wurde, hatte ich alles vergessen – alles!“
Das klang nicht bitter und nicht traurig, sondern nur gleichgültig. Sonneck unterdrückte einen Seufzer.
„Nun, so wollen wir es auch ruhen lassen,“ entgegnete er. „Ihr Großvater erträgt es ohnehin nicht, wenn von den alten Erinnerungen die Rede ist, und wir haben allen Grund, ihn zu schonen. Sie wissen es ja längst, Elsa, daß seine Krankheit ernster Natur ist, und wenn auch keine nahe Gefahr droht, so fühlt er es doch selbst am besten, daß ihm keine lange Lebensdauer mehr beschieden ist. Er hat vorhin ausführlich mit mir darüber gesprochen und wünscht für den Fall seines Todes, Sie meinem Schutze zu übergeben – sind Sie damit einverstanden?“
Es flog etwas wie ein heller Schein über die Züge des jungen Mädchens und ohne Zögern und Bedenken antwortete sie: „O gewiß, Herr Sonneck! Sie sind immer so gut gegen mich gewesen.“
Lothar nahm ihre Hand und schloß sie fest in die seinige, seine Stimme gewann einen weichen bebenden Klang, als er weiter sprach: „Und wenn ich dies Recht nun für immer in Anspruch nehmen wollte – für das ganze Leben? Wenn ich Ihnen jetzt sagen würde, was mir damals verwehrt war, als ich die kleine Waise aus den Armen des toten Vaters nahm. Komm an mein Herz! Ich will Dich schützen und behüten bis zu meinem letzten Atemzuge. Du sollst das Glück, der Sonnenschein meines Hauses sein, und alles, was ich bin und habe, soll Dein sein! – Was würden Sie mir antworten?“
Er beugte sich in atemloser Erwartung vor, aber die Antwort klang seltsam kühl und ernst auf die leidenschaftliche Frage.
„Ich würde Ihnen gewiß sehr dankbar sein und mir alle Mühe geben, Ihre Güte zu verdienen. Ich habe ja so manches gelernt und führe den Haushalt des Großvaters schon seit Jahren, da könnte ich mich gewiß auch in Ihrem Hause nützlich machen.“
Lothar ließ plötzlich ihre Hand fallen und stand heftig auf.
„Nützlich machen? Glauben Sie denn, daß ich eine Haushälterin aus Ihnen machen will? Kind, Sie verstehen mich nicht!“
Die großen Augen des Mädchens hingen wieder fragend und erstaunt an seinem Gesichte. Sie verstand ihn in der That nicht und begriff seine unwillige Abwehr so wenig wie vorhin seine hervorbrechende Zärtlichkeit. Sonneck sah, daß er deutlicher sprechen mußte.
„Sie sind im Irrtum, Elsa,“ sagte er, an ihren Stuhl tretend, und legte leise den Arm auf die Lehne desselben. „Sie sehen in mir nur den väterlichen Freund, der Ihnen eine Zuflucht in seinem Hause bietet – es ist etwas anderes, was ich von Ihnen fordere, etwas ganz anderes. Freilich, Sie halten es wohl nicht für möglich, daß der Mann, dem die Jugend längst versunken ist, es noch wagt, um Glück und Liebe zu werben, um ein holdes junges Wesen zu werben, das erst eintreten soll in das Leben. Es ist eine Thorheit, ich weiß es und habe den ganzen Winter lang mit mir gekämpft, ob ich überhaupt nach Kronsberg zurückkehren, Sie wiedersehen solle, allein die Sehnsucht war mächtiger als alle Vernunft. Komme was da will, ich muß wenigstens Gewißheit haben!“
Elsa schien jetzt endlich zu begreifen, um was es sich handelte, sie machte eine Bewegung, aber es war ein vielleicht unbewußtes, scheues Zurückweichen. Lothar sah das, seine Hand glitt langsam von der Lehne des Sessels nieder und er trat zurück.
„Soll ich schweigen? Sagen Sie ein Wort und – ich gehe für immer.“
„Nein, nein! Es war nur – ich wollte Sie nicht beleidigen, gewiß nicht!“ Das klang fast wie die Abbitte eines Kindes. Sonneck lächelte flüchtig und traurig.
„Beleidigen! weil Sie erschrecken, wenn ein Mann mit grauen Haaren Ihnen von Liebe spricht? Ich hätte freilich früher daran denken sollen, aber in den Jahren, wo die Jugend noch schwärmt und träumt, da verließ ich bereits Europa und ging hinaus in ein Leben, das mir gar keine Möglichkeit ließ, an ein häusliches Glück zu denken. Ein halbes Menschenalter lang bin ich umhergeschweift da draußen in der weiten Ferne, mein Frühling und mein Sommer sind darüber vergangen und Liebe und Glück sind mir ferngeblieben. Jetzt, im Herbst meines Lebens, tauchen sie endlich vor mir auf – zu spät! Ist es wirklich zu spät, Elsa? Das sollst Du mir sagen. Ich stelle trotz alledem die entscheidende Frage an mein Schicksal, an Dich! Willst Du mein Weib sein, mein geliebtes, angebetetes Weib? Sprich – ich lege mein ganzes Geschick in Deine Hände.“
Es war keine stürmische, leidenschaftliche Werbung, aber aus jedem Worte sprach eine grenzenlose Zärtlichkeit und Innigkeit. Elsa hörte zu mit einem starren, ungläubigen Staunen, sie konnte es noch immer nicht fassen, daß der Mann, der ihr stets so hoch und fern gestanden hatte, zu dem sie nur mit scheuer Ehrfurcht aufblickte, ihr jetzt von Liebe sprach, daß er sie zum Weibe begehrte. Als er geendet hatte, saß sie noch immer da, die verschlungenen Hände im Schoße, und regte sich nicht.
„Hast Du kein Wort für mich?“ mahnte er endlich in bebender Unruhe. „Sprich, und wenn es ein Nein ist, ich will es tragen, aber gieb mir Gewißheit!“
Elsa hob das Auge zu ihm empor, nur eine Sekunde lang, dann streckte sie die Hand aus und legte sie wortlos in die seinige.
„Heißt das – Ja?“ fragte er in aufflammender Hoffnung.
„Ja!“ sagte das junge Mädchen ruhig und einfach.
Da leuchtete es auf in den Zügen Lothars, ein Strahl unendlichen Glückes brach daraus hervor. Er schloß seine junge Braut in die Arme und nun strömte eine Flut von Zärtlichkeit über sie hin, die das so einsam und liebeleer aufgewachsene Mädchen wie ein Traum umfing. Sie sah es jetzt zum erstenmal, daß diese tiefen grauen Augen, die ihr immer bisher so düster erschienen, sehr schön waren; freilich leuchteten sie auch heute zum erstenmal in diesem sonnenhellen Glanze. Das ganze Wesen des sonst so ernsten, ruhigen Mannes war wie verklärt von Glück.
„Meine Elsa!“ sagte er leise, und seine Stimme zitterte in tiefster Bewegung. „Habe Dank für dieses Ja, tausendfachen Dank – Du ahnst es nicht, wie unaussprechlich glücklich Du mich gemacht hast!“
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Professor Helmreich hatte sich weiter in sein Manuskript vertieft und alles andere darüber vergessen, als Lothar Sonneck mit seiner jungen Braut am Arme eintrat und sie zu dem Großvater führte. „Herr Professor, Sie haben mir vorhin erklärt, daß Sie Elsas Zukunft mit vollem Vertrauen in meine Hand legen,“ sagte er. „Ich nehme Sie beim Wort und bitte um Ihren väterlichen Segen für meine Braut und mich.“
Helmreich fuhr vom Stuhle auf und starrte die beiden an, als traute er seinen Augen und Ohren nicht. „Lothar, ich glaube, Sie haben den Verstand verloren!“ rief er in seiner rücksichtslosen Art.
„Sie meinen, weil der Altersunterschied zwischen uns so groß ist?“ fragte Lothar mit ruhigem Ernst. „Den kenne ich am besten, aber er geht nur meine Elsa allein an, und sie hat mir trotzdem ihr Jawort gegeben. Wir warten nur auf das Ihrige, das Sie uns doch wohl nicht verweigern?“
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0186.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)