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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0202.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

und trieb sie unter lautem Hallo mit der Peitsche an. Das ging um Tisch und Stühle herum, gelegentlich auch darüber hinweg, und es war ein Lachen und Jauchzen ohne Ende.

In diesen Lärm hinein gerieten nun die Eltern, die aus dem Wohnzimmer kamen und von der wilden kleinen Gesellschaft beinahe umgerannt wurden. Wenn Bertram selbst nur etwas stattlicher geworden, aber im großen und ganzen doch derselbe geblieben war wie vor zehn Jahren, so hatte sich seine Gattin um so auffallender verändert. Niemand würde in dieser kleinen blühenden Frau, die von Gesundheit förmlich strahlte, das zarte, blasse und schmächtige Wesen von früher wiedererkannt haben, das vor Schüchternheit kaum die Augen aufzuschlagen wagte und überhaupt nur sprach, wenn die gestrenge Schwägerin es erlaubte. Die Frau Hofrätin war noch immer eine sehr anmutige Erscheinung, wenn ihre Gestalt auch etwas zur Fülle neigte, und das zierliche Spitzenhäubchen auf dem blonden Haare, der moderne und geschmackvolle Anzug standen ihr jedenfalls besser als damals die dunkle Trauerkleidung. Von ihrer Schüchternheit schien auch nicht viel übrig geblieben zu sein, denn sie fuhr mitten unter ihre Sprößlinge mit einer Energie, die nichts zu wünschen übrig ließ.

„Wollt Ihr wohl Ruhe halten, Ihr Jungen! Das ist ja ein Höllenlärm, den Ihr da vollführt, man kann sein eigenes Wort nicht verstehen!“

„Ruhe!“ kommandierte jetzt auch Bertram. „Achtung – Stillgestanden – Richt’ Euch!“

Das Kommando wurde pünktlich befolgt, die Jungen standen wie die Mauern und der älteste salutierte mit der Peitsche.

„Brav gemacht!“ lobte der Vater. „Ihr wißt wenigstens Order zu parieren.“

„Auf zwei Minuten,“ fiel Selma ein. „Dann geht die wilde Jagd von neuem los. Du läßt den Knaben zu viel Freiheit, sie sind schließlich gar nicht mehr zu bändigen in ihrer Wildheit.“

„Nun, Du bändigst sie schon, sie haben vor Dir ja mehr Respekt als vor mir,“ meinte der Hofrat. „Aber jetzt lauft hinüber in den Stall, Jungen, sagt dem Sepp, er solle anspannen und an der Gartenseite vorfahren – marsch!“

Der Auftrag wurde mit einer förmlichen Begeisterung aufgenommen, die drei Knaben stürzten in den Garten und unternahmen dann einen Wettlauf nach dem Stallgebäude, Bertram blieb mit seiner Frau allein.

„So, jetzt haben wir Ruhe!“ sagte er. „Ich will zu Lady Marwood fahren. Ich habe um zwölf Uhr meinen Besuch angesagt und bin neugierig, was aus dem zarten schönen Mädchen geworden ist, das wir damals in Luksor sahen. Erinnerst Du Dich noch ihrer, Selma?“

„O gewiß. Ich sah sie bereits gestern bei ihrer Ankunft, als sie hier vorbeifuhr; aber sie trug einen dichten Schleier, so daß ich die Züge nicht unterscheiden konnte. Glaubst Du, daß sie ernstlich leidend ist?“

„Es scheint so, da sie mich gleich am ersten Tage rufen läßt und sich für einen längeren Aufenthalt in Kronsberg eingerichtet hat, die Villa ist für den ganzen Sommer gemietet. Indessen, diese vornehmen Damen bilden sich oft ein, leidend zu sein, wenn sie Langeweile haben. Wir werden ja sehen, jedenfalls kann ich mich bei ihr mit einer willkommenen Nachricht einführen. Sie weiß es vermutlich noch nicht, daß Sonneck hier ist, er hat mir selbst gesagt, daß er seit Jahren nicht mehr in Verkehr mit ihr steht.“

Selma hatte sich niedergesetzt und stützte nachdenklich den Kopf in die Hand. „Was sagst Du eigentlich zu Sonnecks Verlobung?“

„Bravo!“ habe ich gesagt. „Es war das Gescheiteste, was er thun konnte, nun es entschieden ist, daß er in Deutschland bleibt, und die Elsa ist auch gescheit, daß sie ihn nimmt, denn einen besseren Mann bekommt sie überhaupt nicht.“

„Glaubst Du denn, daß sie freiwillig Ja gesagt hat? Der Großvater wird es wohl befohlen haben. Dieser Egoist bedenkt sich ja nicht einen Augenblick, sie dem alten Manne zu opfern, weil es sein Freund ist.“

„Dem alten Manne?“ wiederholte Bertram unwillig. „Nun, auf Sonneck paßt doch diese Bezeichnung sicher nicht, der ist interessanter als ein ganzes Dutzend unserer jungen Herren, zumal für ein Mädchen wie Elsa.“

„Aber sie ist achtzehn Jahre alt und er vierundfünfzig!“

„Nun dafür ist er eben Lothar Sonneck, bei dem machen die Jahre nichts aus. Elsa wird künftig einen weltberühmten Namen tragen und eine Stellung einnehmen, um die sie manches junge Mädchen beneiden dürfte.“

„Aber dann ist es eine bloße Vernunftheirat, lieben kann sie ihn doch unmöglich.“

„Warum denn nicht?“ rief der Hofrat ungeduldig. „Du meinst wohl, es müsse bei jeder Werbung so romantisch zugehen wie bei uns? Ich mußte Dich Deiner liebenswürdigen Schwägerin ja erst abkämpfen und ein förmliches Komplott mit Ehrwald schmieden. Weißt Du noch, wie er die unglückliche Ulrike eine volle Stunde lang mitten in den heißen Wüstensand setzte, nur damit ich Dir auf den Trümmern des Karnaktempels eine Liebeserklärung machen konnte? Ja, ja, mir ist es sauer genug geworden.“

„Die Liebeserklärung oder der Kampf?“ fragte die Frau Hofrätin mit einiger Schärfe.

„Beides, denn es war eine Erklärung mit Hindernissen,“ versetzte Bertram lachend. „Aber was schreibt Dir denn Ulrike eigentlich? Du erhieltest ja vorhin einen Brief aus Martinsfelde. Ist es nun endlich verkauft? Die Bahngesellschaft wollte ja Ernst machen und drohte mit dem Zwangsverfahren. Das hat hoffentlich gewirkt.“

„Ja wohl, der Verkauf ist vor acht Tagen abgeschlossen worden. Du weißt ja, Ulrike sträubte sich bis zum letzten Augenblick dagegen und hätte freiwillig nie ihre Zustimmung gegeben. Sie ist schließlich der Notwendigkeit gewichen, scheint aber ganz verzweifelt darüber zu sein.“

„Sie ist nicht gescheit!“ sagte der Hofrat ärgerlich. „Sie wird sich doch nicht bis in ihr spätes Alter hinein mit der Wirtschaft plagen wollen, und einen solchen Preis wie die Bahngesellschaft zahlt ihr niemand. Jeder andere würde diesen Verkauf als einen Glücksfall betrachten und sie lamentiert darüber!“

„Mir thut Ulrike leid,“ erklärte Selma. „So lange sie die Wirtschaft führte, hatte sie doch immer noch eine Beschäftigung, einen Lebenszweck. Jetzt ist das zu Ende und ein anderes Gut wird sie sich schwerlich kaufen, sie hing ja mit allen Lebensfasern an Martinsfelde, das schon ihren Eltern gehörte. Ihr herbes rücksichtsloses Wesen hat ihr nirgends Freunde geschaffen, nun steht sie ganz vereinsamt da und sieht einem öden, trostlosen Alter entgegen. Ihr Brief zeigt, wie tief sie das fühlt, er klingt ganz verzweifelt. Was meinst Du, Adolf, ich möchte sie für einige Wochen einladen. Ist es Dir recht?“

„Warum denn nicht?“ lachte Bertram. „Ich fürchte mich nicht vor Deiner gestrengen Schwägerin und es steht jawohl auch nicht mehr zu befürchten, daß Du wieder unter ihr Scepter gerätst. Treibt sie es gar zu arg, so komplimentiere ich sie mit der größten Liebenswürdigkeit zum Hause hinaus; Du weißt ja, das verstehe ich ausgezeichnet.“

Sie wurden unterbrochen, denn eben fuhr draußen der Wagen vor, geleitet von den drei Jungen. Nun gab es ein jubelndes Abschiednehmen von dem Vater und dann hing sich die ganze Gesellschaft an die Mutter und begleitete sie unter Lärmen und Lachen in das Wohnzimmer. Es ging immer sehr lustig zu im Hause des Hofrat Bertram.




Kronsberg hatte die Genugthuung, diesmal schon sehr früh einen vornehmen Kurgast zu begrüßen. Sonst pflegten um diese Zeit nur jene Familien zu kommen, die die hohen Preise der Hauptsaison scheuten. Es war ein Ausnahmefall, daß eine Persönlichkeit wie diese reiche englische Dame schon im Mai eintraf, und sie mußte sehr reich sein, das bewies ihr Auftreten.

Sie hatte nicht nur die schönste und teuerste Villa des ganzen Kurortes für sich allein gemietet, sondern auch einen Kammerdiener vorausgesandt, der alles nach ihren Wünschen und Gewohnheiten einrichten mußte. Ihm folgten Wagen und Pferde, dann traf die Dienerschaft ein und endlich erschien Mylady selbst. Die ganze Villa bevölkerte sich zum Dienste einer einzigen Frau und der Haushalt wurde auf einem Fuß eingerichtet, wie es sonst nur bei Fürstlichkeiten zu geschehen pflegt.

Es war um die Mittagsstunde, als Lothar Sonneck in das Haus trat und dem Diener, der ihn in Empfang nahm, seine Karte übergab. Die Villa war erst vor einigen Jahren entstanden, als Kronsberg bereits den Aufschwung zum Weltkurorte nahm, und konnte selbst einem verwöhnten Geschmack als Sommersitz für einige Monate genügen, aber die ganze innere Einrichtung war jetzt ergänzt und teilweise völlig umgestaltet worden, das zeigte sich schon in dem Salon, wohin der Gast geführt wurde. Kostbare Decken und Teppiche, reichgewirkte Vorhänge, die offenbar aus dem Orient stammten, eine Fülle von Blumen und eine Menge wertvoller

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0202.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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