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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0203.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

und künstlerischer Kleinigkeiten, die überall aufgestellt waren, gaben dem Raume ein ebenso vornehmes wie behagliches Ansehen. Sonneck fand aber nicht viel Zeit, sich umzublicken, er war kaum eingetreten, als sich eine Seitenthür öffnete und Lady Marwood erschien.

„Herr Sonneck, welche unverhoffte Freude!“ rief sie, ihm beide Hände entgegenstreckend. „Sie sind auch in Kronsberg, und hier, in dem fernen deutschen Alpenlande, sehen wir uns wieder!“

„Nach zehn Jahren!“ ergänzte er, die dargebotenen Hände mit vollster Herzlichkeit ergreifend. „Sie sehen, ich mache von einem alten Rechte Gebrauch und überfalle Sie gleich am ersten Tage Ihres Aufenthaltes, Mylady.“

„Um Gotteswillen, nur nicht diesen Titel!“ wehrte sie heftig ab. „Für Sie bin und bleibe ich Zenaide, wie Sie mir der alte teure Freund bleiben. Aber nun kommen Sie, lassen Sie uns plaudern! Was führt Sie nach Kronsberg? Sind Sie der Kur wegen hier? Ich las es in einer Zeitung, daß Sie eines hartnäckigen Leidens wegen nach Europa zurückgekehrt seien, ist das wahr?“

Sie that all diese Fragen hastig nacheinander, ohne eine Antwort abzuwarten, zog ihn neben sich auf den Diwan nieder und begann ein lebhaftes Gespräch, in das Lothar ebenso lebhaft einstimmte; allein sein Auge hing dabei fragend und forschend an dem Antlitz der schönen Frau, die er nicht wiedergesehen hatte seit jener Stunde, wo er in Luksor von ihr Abschied genommen.

Aus dem schlanken Mädchen mit den sanften, träumerischen Zügen war eine blendende, siegesbewußte Schönheit geworden, und die einst so elfenhaft zarte Gestalt hatte sich zum vollsten, üppigsten Reiz entwickelt. Der herrliche Kopf mit dem bläulich schwarzen Haar wurde jetzt so hoch und stolz getragen, als wollte er die ganze Welt herausfordern, und jenes orientalische Element, das trotz ihrer deutschen Abkunft schon damals, wenn auch verschleiert, in der Erscheinung Zenaidens lag, trat jetzt schärfer und deutlicher hervor. Es war, als ob etwas von dem glühenden Hauch ihrer Heimat sie umschwebte und durchflammte, und jenes Feuer, das einst halb verborgen in den großen tiefdunklen Augen schlief, war heraufgestiegen aus der Tiefe und loderte heiß und verzehrend in dem Blick.

Lady Marwood war schöner, viel schöner als Zenaide von Osmar es je gewesen, doch jener eigenartige, halb schwermütige Reiz, der das junge Mädchen umgab, war verschwunden, die glänzende Weltdame zeigte keine Spur mehr davon. Ihre Unterhaltung war sprühend lebendig, aber es lag etwas Ruheloses, Unstetes darin. Sie sprang ganz unvermittelt von einem Gegenstande zum andern über und ihr ganzes Wesen verriet eine nervöse Ueberreiztheit.

„Ja, ich bin so eine Art Zugvogel geworden,“ sagte sie lachend. „Immer auf der Wanderung, von einem Ort zum andern! Ich war in Deutschland und Italien, in Frankreich und der Schweiz, gelegentlich auch einmal wieder in Kairo, und nun haben mich die Aerzte eines Nervenleidens wegen nach Kronsberg geschickt, das ja jetzt Mode geworden ist und aller Welt helfen soll. Ich hätte auch gar nichts dagegen gehabt, die Saison hier zuzubringen, aber welch ein Einfall, mich schon im Mai hierherzuschicken, wo der Ort noch wie ausgestorben ist und das Gebirge noch halb im Schnee begraben liegt! Ich wollte von Rom, wo es nachgerade unerträglich heiß wurde, noch auf sechs Wochen nach Paris gehen und dann herkommen, allein die Aerzte sind Tyrannen. Sie schreckten mich mit allerlei düsteren Prophezeiungen, bis ich nachgab und in die eisige Verbannung ging.“

„Die Verbannung ist so schlimm nicht,“ versetzte Sonneck lächelnd. „Der Frühling zieht ja endlich auch hier ein, wenn auch spät genug, und die Umgebung ist wunderschön, ein großartiges, mächtiges Alpenpanorama.“

„Aber keine Menschen! kein Leben! keine Bewegung! Und das alles brauche ich.“

„Wirklich? Sonst liebten und suchten Sie gerade die Einsamkeit –“

„Sonst, ja sonst!“ unterbrach sie ihn ungeduldig. „Das ist eben anders geworden. Jetzt kann ich die Einsamkeit nicht ertragen und gerade dazu wollen die Aerzte mich verurteilen. Nur deshalb allein haben sie mich nicht nach Paris gelassen. Ruhe! Ruhe! Darauf läuft ja ihre ganze Weisheit hinaus. Ein abscheuliches Wort – ich werde schon krank, wenn ich es nur höre!“

Sie sprang auf und begann hastig und ruhelos im Zimmer hin und her zu gehen. Sonneck sah es jetzt erst, wie krankhaft das Wesen der jungen Frau war, deren Bild er so ganz anders in der Erinnerung hatte. Als er damals von seinem Zuge in das Innere Afrikas zurückkehrte, war Zenaide mit ihrem Gemahl in England gewesen, und auch bei seinen späteren Besuchen in Kairo hatte er sie niemals getroffen, obwohl sie oft monatelang bei dem Vater weilte.

„Sie sind seit drei Jahren nicht in Kairo gewesen,“ hob er wieder an. „Ich hörte es, als ich auf meiner Rückkehr nach Europa wieder dort rastete. Ihr Haus stand verschlossen und verödet.“

„Jawohl, verödet!“ wiederholte sie mit Bitterkeit. „Das ist es für mich immer seit dem Tode meines Vaters gewesen, selbst wenn ich es bewohnte. Seitdem liebe ich Kairo nicht mehr, es ist mir, als hätte ich mit ihm meine Heimatsrechte dort verloren. Und unseren Landsitz am Nil habe ich verkauft. Ich mochte nicht wieder den Fuß dorthin setzen, mochte überhaupt nicht mehr daran erinnert sein!“

„An Luksor, wo Ihre liebsten Kindheits- und Jugenderinnerungen wurzeln?“

„Und wo das Unglück meines Lebens seinen Anfang nahm – ich hasse Luksor!“ Sie schleuderte das Wort mit einer wilden Energie heraus. Lothar schwieg, er wußte ja, daß sie sich dort mit Marwood verlobt hatte, und kannte auch den Tag, an dem es geschehen war, er ahnte längst den Zusammenhang. Zenaide blieb plötzlich stehen und richtete finster das Auge auf ihn.

„Wozu denn dies rücksichtsvolle Schweigen? Sie wissen ja doch alles, mein Vater hat Ihnen später oft genug sein Herz ausgeschüttet. Mein armer Vater! Er klagte sich so bitter an, weil diese Heirat sein Wunsch gewesen war, und doch hat er mich nicht dazu gedrängt, nicht einmal überredet. Ich war es, die freiwillig den Entschluß faßte, die Schuld trifft mich allein!“

„Ihre Ehe war keine glückliche, ich weiß es,“ sagte Sonneck halblaut. Die junge Frau lachte grell und höhnisch auf.

„Wie rücksichtsvoll Sie sich ausdrücken! Nein, sie war in der That nicht glücklich, das ist jetzt auch der Welt kein Geheimnis mehr! Ich liebte Marwood ja nicht, darüber täuschte ich mich auch nicht einen Augenblick, als ich ihm die Hand reichte; aber ich glaubte mich geliebt, weil er so beharrlich um mich warb und sich durch keine Kälte, keine Ablehnung zurückschrecken ließ. Schon in den ersten Wochen meiner Vermählung sah ich klar: es war Eitelkeit, Eigensinn gewesen, die Hartnäckigkeit eines Charakters, der gerade das Versagte erzwingen will. Die träge kalte Natur dieses Mannes ist ja überhaupt keiner Liebe fähig, und nun war ich an ihn gekettet und sollte mein Leben lang die Kette tragen, die mir ein Unheil, ein Fluch geworden war!“

„Zenaide, Sie regen sich furchtbar auf mit diesen Erinnerungen,“ mahnte Lothar in dem Wunsche, sie abzulenken. „Wir wollen sie ruhen lassen, wenigstens in den ersten Stunden des Wiedersehens.“

„Nein, nein!“ unterbrach sie ihn ungestüm. „Ich muß mich endlich einmal aussprechen, ich bin ja immer nur von Dienern und Fremden umgeben! Wie konnte mein Vater es zulassen, daß Marwood mich nach England führte? Er kannte es ja doch; mir hatte man es in den glänzendsten Farben geschildert, aber als ich zum erstenmal die Küste betrat, in Reif und Nebelgrau, da fror ich bis ins innerste Herz hinein. Ich, deren Heimat das Sonnenland war, sollte in Kälte und Nebel atmen. Ich war an den freien großen Verkehr im Hause meines Vaters gewöhnt und nun dies Leben, das wir in London und auf unseren Gütern führten! Abgeschlossen von allem, was nicht zur englischen Hocharistokratie gehörte, denn mein Herr Gemahl war ungemein exklusiv in diesem Punkte! Es war immer derselbe tödlich langweilige Kreislauf von Jagden und Dinners auf dem Lande, von Routs und Bällen in der Stadt, die Menschen um mich nur Marionetten, von lächerlichen Vorurteilen wie von einer chinesischen Mauer umgeben, kein Schritt unbewacht, kein Atemzug frei – ich erstickte in diesem Leben!“

Sie preßte beide Hände gegen die Brust, als fühlte sie noch jetzt dies Ersticken, und fuhr dann in steigender Erregung fort: „So lange mein Vater lebte, schreckte ich noch vor dem Aeußersten zurück. Er litt schon so schwer unter dem inneren Zerwürfnis meiner Ehe, er sollte sie nicht auch noch öffentlich beklatscht und in den Staub gezerrt sehen. Als er jedoch tot war, als ich nicht mehr zu ihm flüchten konnte, da war es vorbei mit meiner Fähigkeit zum Ertragen, da zerriß ich die Ketten und wurde frei – frei! Die Freiheit hat mich freilich viel gekostet, meinen Glauben an Gott, an die Menschen, an mich selbst – ich habe nichts mehr auf der Welt!“

Die letzten Worte erstickten fast in einem krampfhaften, thränenlosen Schluchzen; die junge Frau warf sich stürmisch in

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0203.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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