verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Stille, Einsamkeit – das habe ich nun nachgerade bis zum Ueberdruß gehört. Doch wir wollten ja von Ihnen sprechen! Der Doktor sagt mir, Sie würden nicht nach Afrika zurückkehren, sondern in Europa bleiben, er habe Ihnen das zur unabweisbaren Pflicht gemacht. Werden Sie denn ein ruhiges Privatleben aushalten?“
„Ich werde es wohl müssen. Man fügt sich schließlich immer der eisernen Notwendigkeit, und die Früchte meiner zwanzigjährigen Arbeit da drüben, das, was ich für mein Vaterland erreicht und errungen habe, das ist ja nicht verloren. Es bleibt freilich noch viel zu thun übrig, aber ich habe es in starke, kühne Hand gelegt. Ich habe mir ja in Reinhart einen Nachfolger erzogen.“
Sonnecks Blick streifte wie unwillkürlich das Gesicht der jungen Frau, als er den Namen aussprach, aber sie stäubte ruhig die Asche von ihrer Cigarette und fragte kühl: „Reinhart? Wer ist das?“
„Erinnern Sie sich des Namens nicht mehr? Mein junger Gefährte, der mich damals auf meinem Zuge begleitete. Er ist seitdem oft und viel genannt worden in der Oeffentlichkeit – Reinhart Ehrwald!“
„Ah so! Nun, der Name ist freilich bekannt genug. Man kann ja keine Zeitung in die Hand nehmen, wo von Afrika die Rede ist, ohne auf diesen Herrn Ehrwald zu stoßen. Er wird auf eine Weise in den Vordergrund gestellt, die beinahe kränkend ist für Sie und Ihre Verdienste. Sind Sie nicht eifersüchtig?“
„Auf meine Freunde bin ich nie eifersüchtig,“ versetzte Lothar ruhig, „und Reinhart ist mir ein Freund geworden, wie man ihn selten findet. Ich wußte es freilich schon damals, als ich ihn mit nach Kairo nahm, daß mein Schüler mich dereinst überflügeln werde, aber es geschah schneller, als ich dachte. Damals war ich noch sein Mentor, der den jungen Tollkopf zügeln und bändigen mußte; sobald jedoch der Ernst an ihn herantrat, zeigte er sich als Mann. Ich verdanke es nur seiner Energie und Aufopferung, daß ich lebend von jenem Zuge zurückkehrte.“
„Sie erkrankten damals schwer, ich weiß,“ warf Zenaide ein.
„Ja, es war der erste schwere Anfall jenes Leidens, das mich seitdem nie ganz verlassen hat. Es war mir noch vergönnt, das Ziel zu erreichen und die Entdeckung und ihre Früchte dem deutschen Namen zu sichern. Aber nun handelte es sich um die Rückkehr, auf einem Wege, den vor uns noch kein Europäer gezogen war, durch Gebiete, wo die Gefahren nur so aus dem Boden emporwuchsen. Als ich mich dafür entschied, wußte ich, daß ich meine ganze Kraft und Erfahrung einzusetzen hatte, und da gerade warf mich die Krankheit nieder und hielt mir monatelang Geist und Körper in Bann. Ich konnte nichts leiten, nicht einmal mehr Rat geben, denn das Fieber machte mich größtenteils besinnungslos, ich mußte alles in Reinharts Hände legen.“
Er hielt einen Augenblick inne, als erwartete er irgend eine Aeußerung, die aber nicht erfolgte, und fuhr dann mit steigender Wärme fort: „Da führte er, der damals Sechsundzwanzigjährige, der sich auf dieser Reise erst die Sporen verdienen sollte, die ganze Expedition allein zurück. Er regierte mit eiserner Hand unsere Leute, die nach Art der Eingeborenen mehr als einmal in Meuterei ausbrechen wollten, als sie sahen, daß ich nicht mehr an der Spitze stand; er bezwäng jede Gefahr, warf jedes Hindernis nieder, und das alles mit dem Hemmnis eines Totkranken, den er mit sich führte. Wie oft hat er seine und des ganzen Zuges Sicherheit preisgegeben, nur um mich zu schützen, wie oft das Unglaublichste geleistet, um mir die nötige Hilfe und Erquickung zu schaffen! Er brachte mich glücklich zurück zur Küste, wo ich genas. Was das heißen will unter solchen Verhältnissen, das weiß ich allein! Wenn man ihn jetzt wirklich in den Vordergrund stellt, selbst gegen mich – bei Gott, er hat es verdient!“
Es geschah vielleicht nicht ganz ohne Absicht, daß Sonneck so viel von dem Manne sprach, den er einst als jungen unbekannten Fremdling in das Osmarsche Haus eingeführt hatte. Sein Auge ruhte noch immer forschend auf dem Antlitz der jungen Frau, aber die unausgesprochene Frage fand keine Antwort. Zenaide hatte sich in die Kissen des Diwans zurückgelehnt und blies langsam blaue Rauchwölkchen aus ihrer Cigarette. Sie hörte zu, aber mit einer Miene, als erzählte man ihr die gleichgültigsten Dinge.
„Nun, jedenfalls haben Sie ihm den Weg zur Höhe geebnet,“ sagte sie endlich mit einem leichten Achselzucken. „Er hat vermutlich nur eine Schuld der Dankbarkeit abgetragen. In welchem Teile Afrikas weilt er denn jetzt?“
„Augenblicklich ist er in Europa und auf dem Wege hierher.“
Die junge Frau richtete sich plötzlich auf. „Hierher – nach Kronsberg?“
„Allerdings. Er geht nach Berlin, um persönlich mit der deutschen Regierung zu verhandeln, die ihm eine Stellung im Kolonialdienst angeboten hat. Da wir uns seit Jahresfrist nicht gesehen haben, so wird er mich zuerst hier aufsuchen. Sein letzter Brief kam aus Genua, ich kann ihn jeden Tag erwarten.“
Es trat eine augenblickliche Pause ein, dann warf Zenaide ihre Cigarette fort und sagte ebenso kühl wie vorhin: „So? Nun, das ist für Sie ja sehr erfreulich. Doch nun zu einer Frage, die mir – verzeihen Sie – für jetzt interessanter ist. Kronsberg war ja der Ort, dem ich damals meinen Liebling, die kleine Elsa von Bernried, abtreten mußte. Das Kind war mir ans Herz gewachsen, ich hätte es so gern behalten, aber der Großvater verlangte es mit aller Entschiedenheit. Er hieß ja wohl Helmreich?“
„Allerdings,“ bestätigte Sonneck, erstaunt über dies treue Gedächtnis, das nur in einem einzigen Punkte zu versagen schien – wenn es sich um „diesen Herrn Ehrwald“ handelte, dessen Vornamen man nicht einmal mehr kannte.
„Der alte Herr ist vermutlich längst tot. Wissen Sie, was aus seiner Enkelin geworden ist? Ich wollte schon in den nächsten Tagen Erkundigungen einziehen, aber Sie können mir jedenfalls die beste Auskunft geben.“
„O ja, das kann ich,“ versetzte Lothar lächelnd. „Und da komme ich auch endlich zu einer Mitteilung, die ich die ganze Zeit schon auf dem Herzen habe. Professor Helmreich ist nicht gestorben, wie Sie voraussetzen. Er wohnt eine halbe Stunde von hier und seine Enkelin lebt in seinem Hause.“
„Wie, klein Elsa ist hier? Ich kann sie sehen?“
„Gewiß, aber aus klein Elsa ist ein großes, schönes Mädchen geworden, das Sie schwerlich wiedererkennen würden und das seit acht Tagen – meine Braut ist!“
Zenaide fuhr auf und blickte ihn in grenzenloser Ueberraschung an. „Ihre Braut? Unmöglich – Sie scherzen!“
Ueber Lothars eben noch so strahlende Züge legte sich ein Schatten und in seiner Stimme klang eine leise Bitterkeit, als er erwiderte: „Ist das Ihr Urteil über meine Verlobung?“
„Nein, nein!“ fiel die junge Frau hastig ein. „Sie mißverstehen mich! Mein Erstaunen galt nur Ihrem Entschluß, sich überhaupt noch zu vermählen.“
„Und Sie meinen, daß dieser späte Entschluß eine Thorheit ist und vielleicht auch ein unverzeihlicher Egoismus, wenn es sich dabei um ein achtzehnjähriges Mädchen handelt? – Vielleicht haben Sie recht!“
„Ich meine, daß Ihr Weib glücklicher sein wird als ich es gewesen bin an der Seite eines Mannes, dessen Jahre den meinigen entsprachen,“ sagte Zenaide ernst. „O, darin liegt das Glück nicht, ich habe es erfahren! Meine herzlichsten, innigsten Wünsche für Sie und Ihre junge Braut!“ Sie streckte ihm in der That mit vollster Innigkeit die Hand hin, die er bewegt an seine Lippen zog.
„Ich danke Ihnen für diese Worte. Zenaide, glauben Sie mir, ich bedarf der Ermutigung!“
„Weshalb?“ fragte sie neckend. „Vielleicht weil mein süßer kleiner Trotzkopf es Ihnen angethan und sie so ganz erobert hat? Ja, Sie werden nicht so sehr leicht mit ihm fertig werden! Klein Elsa hatte schon damals einen sehr entschiedenen Willen und wußte ihn nachdrücklich durchzusetzen. Nehmen Sie sich in acht! Ich fürchte, ich fürchte, der große Afrikaheld beugt sich ganz dem Scepter seiner jungen Frau.“
Es lag etwas unendlich Liebenswürdiges in ihrer Neckerei, in der Art, wie sie ihm mit dem Finger drohte, aber Sonneck schüttelte leise den Kopf.
„Sie sind im Irrtum. Elsa ist ein ernstes, stilles Mädchen geworden, das weder Trotz noch Uebermut mehr kennt. Der Großvater hat da mit einer allzu strengen Erziehung viel oder vielmehr alles geändert. Doch Sie werden das ja selbst sehen.“
Er stand auf, um sich zu verabschieden, und verhieß, in den nächsten Tagen mit seiner jungen Braut wiederzukommen. Lady Marwood entließ ihn mit der ganzen Herzlichkeit und Vertraulichkeit der früheren Zeit, aber Lothars Stirn war umwölkt, als er das Haus verließ. Er dachte an jene Warnung, die er damals gegen Osmar ausgesprochen hatte, und die nicht gehört worden war. Es war gekommen, wie er es vorhergesagt, wie er es gefürchtet hatte!
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0207.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)