verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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„Nun, wir wollen sehen!“ sagte Ulrike verheißungsvoll, und zu Selma gewendet, fügte sie leise hinzu. „Man kann solches Zeug doch hoffentlich hier in Eurem Nest kaufen? – Aber nun macht, daß Ihr hinauskommt, Ihr Jungen, ich will auspacken!“
Die drei Herren waren am Fuße der Treppe zurückgeblieben und Sonneck sagte, zu dem Arzte gewandt: „Wir wollen nach Burgheim, der Professor hat sich ja so ziemlich wieder erholt und ich möchte Reinhart nun endlich meiner Braut vorstellen. Aber ich fürchte, lieber Hofrat, Sie und Ihre Frau haben sich mit dieser Einladung eine arge Rute aufgebunden. Fräulein Mallner scheint noch unliebenswürdiger zu sein als früher.“
„Ja, Bertram, ich bewundere Ihren Mut, diesen Drachen ins Haus zu nehmen,“ fiel Ehrwald ein. „Glauben Sie denn wirklich, daß Sie mit ihm auskommen werden?“
„Das überlasse ich meinen Jungen,“ sagte der Hofrat mit ruhiger Zuversicht. „Die werden mit allem fertig, auch mit der Tante Ulrike, vor allem der Hansel. Geben Sie acht, der macht sie zahm!“
In Burgheim war der alte Bastian im Garten beschäftigt und blickte mit grämlicher Verwunderung auf, als draußen ein Wagen vorfuhr. Sonneck kam gewöhnlich zu Fuß und es war auch nicht der Wagen des Hofrats Bertram, der vor dem Eingang hielt, sondern eine fremde Equipage, mit zwei prachtvollen Pferden bespannt. Vom Bock sprang ein ganz merkwürdiges Menschenkind, in seltsam bunter Tracht, mit tiefbraunem Gesicht, trat an den Schlag, aus dem sich eine Dame beugte, und läutete dann an der Pforte.
Die Fremden begehrten offenbar Einlaß, was Bastian natürlich für eine Unverschämtheit erachtete. Er verwies zwar den mit lautem Gebell herbeistürzenden Wotan, mit Rücksicht auf den kranken Hausherrn, zur Ruhe, aber es fiel ihm nicht ein, das Gitterthor zu öffnen. Er streckte nur die Hand hindurch, um eine Karte in Empfang zu nehmen, die, wie jener braune Bursche ihm in gebrochenem Deutsch erklärte, für Fräulein von Bernried bestimmt war, und trollte damit ab, ließ jedoch weislich den knurrenden Wotan zur Bewachung des Eingangs zurück.
Elsa trat gerade aus dem Schlafzimmer ihres Großvaters, als der Alte erschien und ihr die Karte übergab, auf der sie zu ihrer Ueberraschung den Namen: „Zenaide Marwood“ las. Bastian erhielt zu seinem höchsten Erstaunen und Mißvergnügen die Weisung, das Thor schleunigst zu öffnen und die Dame eintreten zu lassen. Wenige Minuten später schritt Lady Marwood durch den Garten und wurde von dem jungen Mädchen auf den Stufen der Terrasse empfangen.
„Meine Elsa, mein geliebtes Kind, da bin ich!“ begrüßte sie Zenaide. „Da Du Dein Versprechen nicht hältst, mich aufzusuchen, so komme ich zu Dir. Ich mußte Dich endlich wiedersehen!“
Elsa verneigte sich, offenbar in Verlegenheit gesetzt durch die vertrauliche Anrede. Sonneck hatte ihr ja alles Nähere über Lady Marwood mitgeteilt, aber die schöne Frau, die sie jetzt mit so stürmischer Zärtlichkeit in die Arme schloß, war ihr doch eine völlig Fremde.
„Ich war bisher wohl entschuldigt, Mylady,“ entgegnete sie. „Die Erkrankung meines Großvaters –“
„Ich weiß, mein liebes Kind, ich weiß!“ fiel Zenaide ein. „Sonneck hat es mir geschrieben und eben deshalb bin ich hier. Aber es kostete Mühe, bis zu Dir zu dringen, der grimmige alte Pförtner schien mir den Eingang verwehren zu wollen und der prächtige Hund da richtete sich so drohend auf, als wollte er seine junge Herrin auf Tod und Leben verteidigen. Du bist ja bewacht und behütet wie irgend eine verzauberte Prinzessin, und Deine Heimat hat auch etwas von dem Märchenhause im tiefen Wald.“
Sie blickte lächelnd auf den verwilderten Garten und die dichten, düsteren Tannen. Elsa stand noch immer in scheuer Befangenheit vor ihr, sie wußte jetzt freilich von ihrem Aufenthalt im Osmarschen Hause, von der liebevollen Güte, mit der man die kleine Waise dort aufgenommen, und der leidenschaftlichen Neigung, die Zenaide damals für ihren Schützling gefaßt hatte. Sonneck hatte ihr das alles ausführlich erzählt, als er sie auf den Besuch bei Lady Marwood vorbereitete, aber in ihrer Erinnerung antwortete nichts darauf und so fand sie denn auch jetzt keine Antwort, sondern bat ihren Gast nur, einzutreten.
Ueber die Schwelle des alten Hauses war wohl noch nie eine so blendende Erscheinung gerauscht. Zenaide sah in der Frühjahrstoilette von violettem Sammet und dem Hute mit den weißen Straußenfedern wie die verkörperte Vornehmheit und Eleganz aus, aber sie blickte sich betroffen um in den düsteren Räumen mit ihrer einfach nüchternen Einrichtung.
„Hier bist Du aufgewachsen?“ fragte sie mitleidig. „Armes Kind, hier atmet es sich ja wie hinter Gefängnismauern –! Jetzt begreife ich es freilich, daß mein süßer, kleiner Trotzkopf so ganz anders geworden ist, so ernst und still, so scheu und fremd. Aber das muß fallen zwischen uns. Erinnerst Du Dich meiner garnicht mehr?“
Elsa blickte stumm aber mit unverhohlener Bewunderung in das schöne Antlitz, das sich so vertraulich zu ihr neigte, doch die Erinnerung wollte auch jetzt nicht aufdämmern. Die glänzende Erscheinung, die blendend und blitzähnlich wie ein Meteor in die stille düstere Häuslichkeit brach, glich freilich nicht mehr der einstigen Zenaide von Osmar. Das junge Mädchen konnte sich offenbar nicht darin finden und entgegnete wie entschuldigend: „Ich war damals noch ein Kind, Mylady, und es ist so lange her –“
„Mylady?“ unterbrach sie diese unwillig. „Sonst nanntest Du mich Tante Zenaide. Die Tante werden wir freilich wohl fallen lassen müssen, aber das Du behalten wir. Sprich es aus, Elsa, ich will es auch von Deinen Lippen hören!“
Das klang halb zärtlich bittend, halb ungeduldig befehlend, allein das junge Mädchen verharrte in der scheuen Zurückhaltung. Dies stürmische Drängen nach Vertraulichkeit schien ihre Verschlossenheit nur noch zu steigern, sie gab eine ausweichende Antwort.
„Sie müssen Nachsicht mit mir haben, Mylady. Ich bin sehr einsam aufgewachsen und verstehe es noch nicht, Freundlichkeiten zu erwidern – lassen Sie mir Zeit dazu.“
„Nun, so lerne es, Du scheues Reh!“ sagte Zenaide lächelnd. „Ich sehe es wohl, daß ich Dir Zeit lassen muß, aber ich werde mir Deine Liebe schon zurückerobern. Den ersten Platz muß ich jetzt freilich einem anderen lassen, Du bist ja Sonnecks Braut. Hat der ernste Mann es wirklich verstanden, Dein Herz zu gewinnen, trotz seiner Jahre? Er scheint Dich grenzenlos zu lieben.“
Elsas Antlitz belebte sich und ihre Stimme gewann zum erstenmal einen warmen Klang, als sie entgegnete: „Lothar ist so unendlich gütig gegen mich. Er hat mir in den Krankheitstagen meines Großvaters so liebevoll, so aufopfernd zur Seite gestanden, daß ich es ihm nie genug danken kann.“
„Ja, er ist ein seltener Mensch,“ stimmte Lady Marwood bei. „Aber was weißt Du achtzehnjährige Einsiedlerin davon! Du kennst ja nur Deinen alten, kranken Großvater und Deinen Verlobten. Wenn Du freilich an seiner Hand in die Welt und in das Leben trittst, dann werden Dir die Menschen nicht wehe thun.“
„Wir werden gar nicht in der großen Welt leben,“ sagte das junge Mädchen ruhig. „Lothars Gesundheit legt ihm Schonung auf und er hat es mir ja gesagt, daß er nur ein stilles, häusliches Glück ersehnt.“
„Ein stilles, häusliches Glück?“ Es war ein halb schmerzlicher, halb spöttischer Ton, mit dem Zenaide die Worte wiederholte. „Nun, Euch beiden ist es vielleicht beschieden. Sonneck hat das Leben hinter sich und Du sollst es gar nicht erst kennenlernen an seiner Seite. O, er hat recht, wenn er Dich davor schützen will, ganz recht! Sehne Dich nie nach dieser Welt, Kind, die von ferne so blendend und berauschend erscheint und doch innerlich so schal und leer ist – schal bis zum Ekel!“
Elsa hörte betroffen zu, sie begriff nicht, wie die schöne, glänzende Frau zu dieser Bitterkeit kam. Sonneck hatte es in seinem Zartgefühl nicht über sich gewonnen, seiner jungen Braut das schwere, unheilbare Zerwürfnis zwischen Marwood und seiner Gemahlin zu entschleiern, er hatte nur angedeutet, daß die Ehe keine glückliche sei. Das junge Mädchen wagte daher nur die halblaute Bemerkung: „Und doch leben Sie in der großen Welt?“
„Ich?“ Zenaide lachte auf, aber es war ein herbes, höhnisches Lachen. „Nun ja, was soll ich denn sonst thun? Mich in die Einsamkeit vergraben? Das halte ich nicht aus, es ist fürchterlich, das Alleinsein, mit seinem Denken und Träumen! Da mache ich lieber die tolle Hetzjagd mit, von einem Vergnügen zum andern. Es ist doch wenigstens Bewegung und Zerstreuung und man kommt leichter hinweg über die endlosen Tage und Wochen. – Was siehst Du mich so fragend an mit Deinen großen Kinderaugen? Das sind Dinge, die Du nicht verstehst. Danke es Deinem künftigen Gatten, wenn er Dich rettet an seinen stillen Herd, da wirst Du nie erwachen aus dem Kindertraum, wirst es nie kennenlernen, das
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0244.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)