verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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wilde, verzweifelte Sehnen und Ringen nach Liebe und Glück. Ich habe danach gesucht all’ die Jahre lang und Habe es nie gefunden! Ich weiß es ja, daß der Trank vergiftet ist, daß er verzehrt; doch was fragt der Verschmachtende in der Wüste danach, er trinkt sich zu Tode an dem vergifteten Quell!“
Das klang in der That so wild und verzweifelt, daß es den Zuhörer erschrecken konnte; allein hier hatte es die entgegengesetzte Wirkung, Die leidenschaftliche Frau hatte sich wie immer von ihrer Stimmung fortreißen lassen und darüber ganz vergessen, zu wem sie sprach; aber Elsa, die sich der schmeichelnden Zärtlichkeit gegenüber so spröde gezeigt hatte, schien jetzt auf einmal Vertrauen zu fassen, sie sagte leise und bittend: „Zenaide!“
„Ah, endlich!“ rief diese beinahe jubelnd. „Muß man Dir erst Schmerz und Verzweiflung zeigen, wenn man den Weg zu Deinem Herzen finden will? O, habe mich lieb, meine süße Elsa, Du ahnst nicht, wie ich mich danach sehne, wie arm ich an Liebe bin, wie bettelarm!“ Und damit zog sie das junge Mädchen in ihre Arme und küßte es leidenschaftlich.
Da schlug Wotan draußen an, aber diesmal mit freudig winselndem Gebell. Elsa horchte auf.
„Das ist Lothar,“ sagte sie. „Er wollte heute seinen Freund mitbringen.“
„Ah so – Herrn Ehrwald!“ Lady Marwood richtete sich plötzlich auf und ließ das junge Mädchen aus ihren Armen. „Nun, da kann ich ja gleich eine alte Bekanntschaft erneuern. Geh’, mein Kind, empfange Deinen Verlobten!“ Und als Elsa zögerte, drängte sie ungeduldig: „Geh’, Du sollst mich nicht als einen fremden Besuch betrachten! Begrüße Deinen Bräutigam, ich bitte Dich!“
Es schien fast, als wollte sie einige Minuten allein sein, denn als das junge Mädchen nun wirklich ging, sprang sie auf und trat an das Fenster. Dort blieb sie unbeweglich stehen und blickte hinaus, den Kommenden entgegen.
(Fortsetzung folgt.)
Der „heilige Herr“ zu Offenbach.
In schöner landschaftlicher Lage, am Ufer des breiten Mainflusses erhebt sich in dem gewerbereichen Offenbach ein altes Schloß, das, in edlem Renaissancestil errichtet, noch heute das Auge des kunstsinnigen Beschauers entzückt. In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges wurde auch dieser Prachtbau, wie so viele andere, zu einer halben Ruine. Die Fürsten von Isenburg verließen ihn, um in Birstein ihre Residenz aufzuschlagen. Lange Zeit hindurch stand das Schloß öde und verlassen da, bis es gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts für kurze Zeit zum Schauplatz einer glanzvollen, aber höchst eigenartigen Hofhaltung wurde.
Aus dem fernen Osten, von Polen her, kam im Jahre 1786 ein vornehmer Herr nach Offenbach, um mit Erlaubnis des damals regierenden Fürsten Wolfgang Ernst des Zweiten von Isenburg-Birstein in dem alten Schlosse Wohnung zu nehmen. Schon die Art und Weise, in welcher der Fremde seinen Einzug in das Land hielt, war geeignet, die Einwohner in Staunen zu versetzen und deren Neugierde zu reizen. Ein berittener Herold, umringt von einer Schar von Pagen in grünen goldgestickten Uniformen, eröffnete den Zug; darauf folgte eine Abteilung der bewaffneten Leibgarde des Fremden, schmucke Ulanen und Husaren; nun erst kam eine lange Reihe von Wagen, in welchen die Hofleute, Damen und Kinder saßen, und achtzig Soldaten bildeten den Schluß des vornehmen Hofzuges. Mit neugierigen Blicken beobachtete die tausendköpfige Zuschauermenge das bunte schillernde Schauspiel und bewunderte den fremden Herrn, der in einem der Wagen saß; er war in ein rotes Gewand gekleidet, trug eine hohe Pelzmütze und einen Hermelinkragen, während auf seiner Brust ein Brillantenstern leuchtete. Der würdige Mann, dem sein Gefolge mit der größten Ehrfurcht begegnete, war ein schneeweißer durch die Last der Jahre gebeugter Greis. Nicht mindere Bewunderung erregte die Tochter des Fremden, ein schon älteres Fräulein, das noch nicht alle Reize der orientalischen Schönheit eingebüßt hatte, in deren vollem Antlitz ein dunkles Äugenpaar glühte und auf deren himmelblauem Seidenkleide ein reicher Schmuck von Diamanten und Perlen funkelte.
„Baron Frank“ hieß der Fremde und seine Tochter nannte man Fräulein Eva. Der alte Herr mußte über große Reichtümer verfügen; denn er lebte auf großem Fuße, umgab sich mit fürstlicher Pracht und unterhielt einen Hof, der an Männern, Frauen und Kindern mehrere hundert Köpfe zählte. Blickte man durch das Thor in das Innere des Schlosses hinein, so sah man, daß die Treppen mit weißen goldverbrämten Teppichen ausgelegt waren; aber es war niemand erlaubt, die Gemächer zu betreten, Bewaffnete in der bunten polnischen Nationaltracht bewachten den Zugang. Die Offenbacher hatten selten Gelegenheit, den alten Herrn zu sehen, denn er verließ das Schloß nur dann, wenn er in geschlossenem Wagen, von einer glänzenden Eskorte umgeben, nach dem nahen Bürgel fuhr, um dort in der katholischen Kirche die Messe zu hören. Fräulein Eva trat dagegen in nähere Berührung mit den Einwohnern Offenbachs, denn sie pflegte freigebig reichliche Gaben an die Armen der Stadt und der Umgegend zu verteilen. Wenn man bedenkt, daß auch die Kaufleute durch den Zuzug so vieler Fremden, die flott lebten und ihre Bedürfnisse bar bezahlten, gute Geschäfte machten, so wird man leicht begreifen, daß man mit den Fremden zufrieden war und ihnen die eigenartige, abgesonderte Stellung, die sie inmitten der Bevölkerung einnahmen, nachsah. Da sie in der Stadt nichts, was gegen die Gesetze des Landes verstieß, unternahmen, ließ auch die Behörde den fremden Baron innerhalb seines Schlosses nach Belieben schalten und walten, ohne in dasselbe einzudringen.
So begann das Geheimnisvolle um den alten Prachtbau der Fürsten zu Isenburg seine eigenartigen Reize zu spinnen. Wer war dieser Baron Frank? Woher war er gekommen und warum hielt er sich in Offenbach mit einem so großen Gefolge auf? Im Volksmund hieß er der „Polackenfürst“, denn seine Untergebenen trugen zumeist die polnische Nationaltracht und sprachen polnisch. Es verlautete wohl, daß alle diese Leute getaufte polnische Juden seien, und man versicherte, der alte Frank sei das Haupt einer neuen, unter den Juden entstandenen Sekte. Aber diese Erklärung genügte nicht den biederen Bürgern, die in ihrem absonderlichen, so steinreichen Gaste etwas Höheres erblicken wollten. Die Leute aus seinem Gefolge waren ja gute Katholiken, besuchten die Kirche, gingen zur Beichte und nahmen das Abendmahl. Sollten das Sektierer sein? Nein, ein anderes Geheimnis mußten sie zu bewahren suchen; denn befragt um die Herkunft ihres Herrn und des mildthätigen Fräuleins Eva, gaben sie ausweichende Antworten oder ließen rätselhafte Andeutungen fallen. Zweifellos war dieser Baron, dem schier unermeßliche Geldmittel zur Verfügung standen, ein Mann sehr hoher Abkunft, der zu irgend einem regierenden Hofe in nahen Beziehungen stand, und die Phantasie begann, einmal angeregt, weiter ihre bunten Fäden zu spinnen: in Fräulein Eva sah man nur einen Schützling des Alten und munkelte, sie sei in Wirklichkeit eine russische Prinzessin, eine verfolgte Kaiserstochter.
Am 10. Dezember 1791 verbreitete sich in der Stadt die Kunde, daß der alte „Polackenfürst“ seine Augen zur ewigen Ruhe geschlossen habe, drei Tage darauf wurde er mit großem Pomp begraben. Ein katholischer Geistlicher hielt an dem Sarge die Trauerandacht. Die Wände des großen Saales, in dem die Leiche aufgebahrt wurde, hatte man mit kostbarem Sammet ausschlagen lassen; der Sarg selbst war mit weißem Atlas ausgekleidet, mit kostbaren Spitzen und goldenen Quasten geschmückt. In ihm lag der Verblichene in dem weiten rotseidenen Gewande, im Hermelinkragen und mit dem großen Brillantenstern auf der Brust. In den gefalteten Händen stak ein goldenes, mit Brillanten besetztes Kreuz und rings um die Bahre standen Kandelaber mit brennenden Lichtern. Am oberen Ende des Sarges knieten die Kinder des Toten, Fräulein Eva und zwei Söhne, umringt von Pagen, die weiß gekleidet waren. Zu Füßen des Toten betete ein katholischer Geistlicher und der Sargdeckel war mit vergoldeten königlichen Kronen geschmückt!
Unter zahlreicher Beteiligung der Bevölkerung wurde die Leiche auf dem Friedhof der Stadt beigesetzt. Den Trauerzug eröffnete eine hundertköpfige Schar von Frauen und Kindern, die alle, in weiße Gewänder gekleidet, weiße Bänder in ihr Haar geflochten hatten und brennende Lichter trugen. Hinter ihnen schritt
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0246.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)