verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Festung nach Belieben umherspazieren; seine Frau Chana und seine Tochter, das Fräulein Eva, erhielten die Erlaubnis, bei ihm zu leben, ja mit der Zeit sammelte sich um ihn eine kleine Schar der treuesten Frankisten. So durfte der „Herr“, wie die Jünger den Meister nannten, sich wiederum die Wonne des Herrschens erlauben, war wieder von Schwestern und Brüdern umgeben, die er in der stillen Abgeschiedenheit zur vollsten sklavischen Unterwürfigkeit erzog, – durch Sendboten konnte er auch mit den durch die polnischen Lande zerstreuten Anhängern der Sekte in reger Verbindung bleiben.
In der Abgeschiedenheit, zu der Frank verurteilt war, hatte er Muße, seine Lehre zu vertiefen; er selbst konnte nicht schreiben, aber einige seiner Jünger notierten die Worte des „Herrn“, der oft in einer blumigen Sprache im Geschmacke des Orients sich gefiel. In den Aussprüchen, deren Aufzeichnungen sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben, finden sich einige schöne Betrachtungen, edle Lehrsätze, die zum moralischen Lebenswandel auffordern, und auch viel Unverständliches, Mystisches, daneben aber begegnet man sehr oft Aussagen, die in schroffstem Widerspruch zu den guten Offenbarungen stehen und geradezu verwerflich sind.
Mit der Annahme des Christentums, so etwa lehrte der Prophet, war die höchste Stufe der Vollkommenheit nicht erreicht; diese könnten nur diejenigen erlangen, die ihm, dem Meister, blindlings folgten und seinen Befehlen und Wünschen rückhaltlos sich fügten. Das höchste Glück, das er ihnen als Lohn versprach, war teils himmlischer, teils irdischer Natur; in letzterer Hinsicht verkündete er der Schar seiner Auserwählten, daß sie Reichtum und Macht erwerben würden, die er ihnen in überschwenglicher Weise ausmalte.
Die getauften Frankisten hatten im Gegensatz zu den ihrem Glauben treu gebliebenen polnischen Juden beachtenswerte soziale und politische Vorteile errungen. Das verdankten sie ihrem Führer Frank, und es war durchaus nicht wunderbar, daß auch diejenigen, die dem Meister fern standen, ihn mehr oder weniger hochschätzten und sich ihm auch erkenntlich erwiesen, indem sie Beiträge zur Bestreitung seiner Bedürfnisse sowie der frankistischen Agitation zahlten. So kam Frank in die Lage, seine männliche und weibliche Leibgarde zu kleiden und zu ernähren. Auch in den Dörfern in der Nähe von Czenstochau ließen sich Frankisten nieder, die ihren „Herrn“ eifrig besuchten.
In der Nähe von Czenstochau liegt Olschtyn, ein Name, der vermutlich aus dem deutschen Hohlstein entstanden ist; in der Umgegend befinden sich zahlreiche Höhlen mit schönen Stalaktiten. Frank versäumte nicht, die geheimnisvolle, von Fabeln und Sagen umwobene Höhlenwelt für seine Zwecke zu verwerten. Der Prophet erzählte von einem mächtigen Geist, der dort sieben unermeßliche Schätze hütete. Der Schatz sollte sich nach seiner Aussage auf zehn Milliarden Dukaten belaufen und es sollte einmal die Zeit kommen, da die treuen Gläubigen den Riesenschatz würden heben dürfen. Vorderhand dienten die Höhlen zur Begräbnisstätte der Frankisten und in einer derselben wurde auch Chana, die Frau des Propheten, die der Tod in Czenstochau ereilte, beigesetzt. Mit den Verheißungen des großen Schatzes wanderten Sendlinge des Propheten durch das Polenland und sammelten Beiträge in klingender Münze bei den Getreuen.
Während seiner Haft begann Frank für die Zukunft seiner Tochter, die damals zu einem hübschen Mädchen sich entwickelt hatte, zu sorgen. Sie sollte die Erbin seines Einflusses sein und er schuf für sie eine ähnliche Garde von Brüdern und Schwestern wie die, mit der er sich selbst umgeben hatte. Seit jenen Tagen spielt der Kultus der „Jungfrau“, wie Eva fortan in dem engeren Zirkel der Sektierer genannt wurde, in der Umgebung Franks eine besondere Rolle.
Am 19. August 1772 wurde Czenstochau durch russische Truppen besetzt und General Bibikow schenkte dem Propheten die heißersehnte Freiheit.
Während Frank in der Haft von Czenstochau gehalten wurde, führten die Besten und Gebildetsten der Frankisten einen ernsten Kampf um Gleichberechtigung mit der eingeborenen Bevölkerung, in der sie in vollem Ernst und mit gutem Willen aufgehen wollten. Mit ihnen konnte der freigelassene „Herr“ nichts mehr anfangen, diese ehrlichen Leute hatten ihren eigenen Weg eingeschlagen, sich aus den Lehren des Propheten nur das Gute angeeignet und wiesen alle Heuchelei und Verwerflichkeit von sich zurück. Frank, der selbst aus der ungebildeten Masse des Volkes durch Mutterwitz sich zu seiner besonderen Stellung emporgeschwungen hatte, sah wohl ein, daß er nur die Masse der Unwissenden und Abergläubischen durch seine Redensarten blenden und ausbeuten konnte. Das mußte ihm aber um so besser gelingen, je mehr er sich selber mit äußerem Glanz umgab. Es schien ihm, daß seine zur Schönheit erblühte Tochter seine Zwecke am besten fördern könnte; die Verehrung der Jungfrau mußte seiner mystischen Lehre einen besonderen Reiz verleihen, und so beschloß er denn, Fräulein Eva, die in der Czenstochauer Feste doch nur ein Naturkind geblieben war, auszubilden; sie sollte fremde Sprachen und feines Benehmen lernen, und zu diesem Zwecke zog der Freigelassene nach Brünn, wo er unter den mährischen Juden viele Sabbatianer wußte.
Auf zwei Wagen, in Begleitung von 18 Personen, langte Frank in der mährischen Hauptstadt an, wo ihm die Behörden anfangs mit Mißtrauen begegneten. Da er sich aber gut aufführte, alles, was er brauchte, bar bezahlte, ließ man ihn gewähren. Befragt über seine Vermögensverhältnisse, gab er den Behörden die lügnerische Auskunft, daß er in Polen dreißig Meilen hinter Czernowitz große Rindviehherden und in Smyrna Güter besitze. In Wirklichkeit lebte der „Herr“ von den überaus reichlichen milden Gaben seiner Anhänger. In der Petersburger Gasse richtete er ein vornehmes Haus ein, für die „Jungfrau“ besorgte er einen sechsspännigen Landauer und ein Reitpferd, aus seinen Anhängern aber bildete er damals zum erstenmal eine Leibgarde, die in Husaren-, Ulanen- und Kosakenuniformen paradierte, und seine Jünger folgten ihm, als er ihnen erklärte, sie müßten jetzt militärische Waffenübungen vornehmen. Fräulein Eva hatte eine Gouvernante, die sie im Französischen und im Klavierspiel unterrichtete, sie ritt wie eine Amazone an der Spitze der väterlichen Husaren und begann die Rolle einer Hellseherin zu spielen. Dieses Auftreten öffnete der Familie Frank die ersten Häuser Brünns, und als man ihn und seine Tochter zu Gesellschaften einlud, folgte er dem Rufe. Vor seinen Jüngern entschuldigte er sich aber: „Gott will es, daß ich in Gesellschaften gehe – das ist zwar für mich eine tiefe Erniedrigung, aber ich muß seinem Willen gehorchen.“
All das genügte jedoch nicht dem Ehrgeiz des alten Frank; er ging nach Wien, um dort in Beziehungen zum kaiserlichen Hofe zu treten. Fräulein Eva begleitete ihren Vater, und da sie im sechsspännigen Wagen, umringt von Ulanen und Kosaken, durch die Straßen der Kaiserstadt dahinfuhr, machte sie nicht geringes Aufsehen. Für Frank lagen in jener Zeit die Verhältnisse am Hofe insofern günstig, als Kaiser Josef II. gerade mit der Frage der Judenemancipation sich befaßte; es war darum dem Führer der getauften Juden Polens nicht schwierig, eine Audienz sowohl bei dem Kaiser wie bei seiner Mutter Maria Theresia zu erlangen. Fräulein Eva nahm an derselben gleichfalls teil und die leidenschaftliche Orientalin soll auf den verwitweten Kaiser einen tieferen Eindruck gemacht haben. Vater Frank wußte diese Gelegenheit auszunutzen; da er nun mit seiner Tochter öfter beim Kaiser, namentlich im Lager, erschien, glaubten seine Anhänger, daß er wirklich als eine höher stehende Persönlichkeit behandelt und ausgezeichnet werde. Nun lebte der Prophet bald in Brünn, bald wieder in Wien und sein Ansehen bei den slavischen Juden wuchs immer mehr; denn sehr häufig kamen für ihn „Fässer voll Goldes“ an, Abgaben, welche die Dummheit dem Schwindler zahlte und die ihm unter bewaffneter Eskorte seiner Miliz zugeführt wurden. Diese Einnahmen waren jedoch unsicher, manchmal blieben die Geldsendungen aus und dann mußte Frank Schulden machen. In Brünn kam er auch auf den Einfall, den Gläubigen in Polen ein Universalheilmittel, das unter dem Namen „goldene Tropfen“ bekannt wurde, zu senden. Zur Bereitung dieses Geheimmittels richtete er ein besonderes Laboratorium ein, was natürlich den Dunst, der ihn bereits umgab, vermehrte und sein Ansehen bei der abergläubischen Menge noch steigerte. Trotzalledem geriet er in immer größere Geldverlegenheit und beschloß endlich, Kaiser Josef um Hilfe anzugehen. Er ließ sich zur Ader, um elender vor dem Herrscher zu erscheinen. Josef gab ihm aber den praktischen Rat, die vielen Diener zu entlassen und einfach zu leben. Einige Zeit darauf mußte auch Frank zu diesem Mittel greifen; er schickte sein Gefolge fort, bezahlte in Brünn seine Verbindlichkeiten und zog nach Wien, wo er sich in einfache Verhältnisse fügte. Aber diese „Entbehrung“ währte nicht lange; nach einigen Wochen bereits war er im Besitz so großer Geldmittel, daß er von neuem nahe an hundert Ulanen und Husaren equipieren konnte, mit denen er sich nach Süddeutschland wandte. Er ging zuerst nach Frankfurt am Main und von hier sandte er eine Deputation an Wolfgang Ernst II., Fürsten zu
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0250.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2020)