verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Im Seemannshaus zu Kiel.
Das am 1. November vorigen Jahres in Kiel eröffnete erste Seemannshaus der deutschen Reichsmarine ist über Erwarten schnell aus der Sphäre frommer Wünsche herausgetreten und zur fertigen Thatsache geworden. Denn der Gedanke, derartige gesellschaftliche Heimstätten für die Unteroffiziere und Mannschaften unserer Marine einzurichten, wurde erst im Herbst 1894 vom Korvettenkapitän Harms, dem rastlosen Begründer zahlreicher Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen auf den Torpedodepots der Seefestung Friedrichsort, angeregt und von dem Prinzen und der Prinzessin Heinrich von Preußen mit lebhaftem Interesse aufgegriffen; unter ihrer Führung konnte der alsbald gebildete konstituierende Ausschuß im Mai vorigen Jahres die ersten, das Werk praktisch angreifenden Beschlüsse fassen. Korvettenkapitän Harms wurde nach England entsandt, um dort das Wesen der Seemannshäuser zu studieren; Prinz Heinrich kaufte, noch ehe eine sichere finanzielle Grundlage für das Kieler Unternehmen geschaffen war, auf seinen Namen das soeben von dem Oberlandesgericht der Provinz Schleswig-Holstein verlassene Gebäude, und mit Hilfe der reichlich gespendeten Privatmittel wurde es, ohne irgendwelche Unterstützung durch Reich und Staat, binnen wenigen Monaten zum gastlichen Gesellschaftshaus umgewandelt, in welchem Maate und Matrosen sich immer heimischer fühlen, je öfter sie darin Einkehr halten.
Wer etwa glauben möchte, daß die Schnelligkeit, mit welcher der Gedanke, das Haus herzustellen, in die That umgesetzt wurde, der Solidität und Vollständigkeit seiner Einrichtungen Abbruch gethan habe, der dürfte sich beim Besuche der Anstalt angenehm überrascht sehen. Vor Zeiten der alten holsteinischen Adelsfamilie von Bülow-Bothkamp gehörig, ist das Haus eins jener würdigen, Jahrhunderte alten und doch noch heute in sich festgefügten Gebäude Kiels, in denen der Adel des Landes Wohnung zu nehmen pflegte, wenn Geschäfte oder Lustbarkeiten ihn von seinen Gütern in die Holstenstadt riefen. Von solchem Alter zeugen noch heute das starke, kompakte Gemäuer und der trotz wiederholt erfahrener Abänderungen erhalten gebliebene altmodische Grundtypus der inneren Baueinrichtung. Von den Zwecken freilich, denen das äußerlich unauffällig in die Häuserzeile der Flämischen Straße eingereihte Gebäude als Heimstätte des obersten Gerichtshofs der Provinz während der letzten Jahre gewidmet gewesen, ist nichts mehr zu spüren; der Aktenstaub der Gerichtsstuben ist gründlich ausgekehrt worden; blank und sauber, hell und luftig, praktisch und bequem mutet den Besucher alles an; und wo vor zwei Jahren noch in tiefem Ernst gerechtet wurde und gerichtet, da mischt sich heute das Klappern der Bierseidel und Billardbälle in das Plaudern und Lachen der dienstfreien Blaujacken.
In kaum drei Minuten erreichen wir von den Landungsbrücken der Marine aus das im Hafenrayon der Stadt gelegene Seemannshaus, dessen Straßenfront von keinem Eingang durchbrochen wird. Vielmehr treten wir seitlich durch die Pforte einer kurzen, starken Hofmauer und gelangen mit wenigen Schritten durch neu angepflanzte Boskette hindurch an die links zum Portal emporführenden wenigen Stufen und über dieselben auf den Vorflur des Hauses. Hier gewinnen wir sofort den günstigsten Eindruck von dem guten Geschmack, mit dem sämtliche Räume sowohl nach der praktischen wie nach der dekorativen Seite hin ausgestattet worden sind. Gefällig gemusterte Mettlacher Fliesen bedecken den Estrich; die Decke ist mit zartfarbigem Blumen- und Blättergerank, in den vier Ecken mit bunten Marinestücken ausgemalt; aus der Mitte hängt ein aus Eisen und blankem Kupfer hergestellter dreiarmiger Kandelaber herab, dessen Lampen den Raum mit tadellosem, im ganzen Gebäude verwendetem Gasglühlicht taghell erleuchten. Zur Linken unterbricht eine von innen zugesetzte und daher unpassierbare Thür die einfach aber geschmackvoll mit Oelfarbe gestrichene Wand; zur Rechten blicken wir durch ein kleines Auslugfenster in den Bureauverschlag des Kastellans, bei welchem wir unsere Ankunft melden.
Dahinter führt die breite Treppe, mit ihrem altmodischen, dunklen Geländer eins jener Erbstücke aus vergangener Zeit, zum ersten Stockwerk empor. Geradeaus aber lesen wir an der Wand in wappenartig umrissenem Felde den Willkommensgruß:
Auf dem Meer
Geht’s stürmisch her.
Ruh’ drum aus
Im Seemannshaus!
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0257.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2020)