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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0259.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

stehen. Am Ende der einen Tafel knipsen zwei Altgediente beim „Tiddledy Winks“, einem auch auf den Schiffen beliebten Gesellschaftsspiel, um die Wette, während den olivgrün verhängten Fenstern gegenüber in der dort etablierten überaus gemütlichen Sofaecke ein Schreibersgast von der Kommandantur just seinem Partner und Kollegen ein triumphierendes Schach und Matt bietet.

Stiller noch als im Lesesalon geht’s im anstoßenden Schreibzimmer her. Hier sehen wir eine der zweckmäßigsten Einrichtungen im Seemannshaus, die begreiflicherweise besonders stark benutzt wird. Auf den Schiffen ist es für den einzelnen Mann nicht immer leicht, ein Eckchen zu finden, in welchem er seine Gedanken zwecks Stilisierung eines Briefs in Ruhe sammeln kann, hier aber wird ihm das für eine Seemannsfaust ohnehin schwierige Stück Arbeit so leicht und bequem gemacht wie nur irgend möglich. Im hell erleuchteten Zimmer liegen auf breitem, langem Tisch, den ein Dutzend bequemer Armstühle umgiebt, ebensoviele Schreibmappen mit den übrigen, zur Briefstellerei erforderlichen Utensilien, als da sind Federhalter und Federn, breitfüßige, unumstößliche Tintenfässer, Briefpapier und Couverts, mit dem Reichsadler und dem Herkunftsstempel „Seemannshaus in Kiel“ geschmückt. Da können dann die Eltern daheim oder die Braut gleich sehen, daß der Sohn oder Bräutigam in der sittenverderbenden Seestadt an den Sonntagnachmittagen gut aufgehoben ist. Und das eben war ja der Zweck bei der Gründung des ersten Seemannsheims unserer Marine. Uebrigens sind hier nicht alle mit der Schriftstellerei beschäftigt. Denn dort hinten in der Ecke beim Ofen buchstabieren drei „Mariners“ an dem riesigen, über einen Meter Durchmesser haltenden Erdglobus; der eine mit dem suchenden Finger mitten im Stillen Ocean, der andere mit den Augen in der Gegend von Sansibar, je nach dem Ziel der letztgemachten oder demnächst auszuführenden Reise. Der dritte aber sucht vergeblich in Centralasien sein heimatliches Pommerland, an dessen Fischerstrand er im nächsten Herbst, wann die Dienstzeit vorüber, zurückkehren wird.

Die im Parterre gelegenen Säle und Gemächer, zu denen noch im Souterrain drei höchst komfortable Badestuben mit Wannenbad, Douche, Badeofen etc. gehören, bilden den eigentlich charakteristischen Teil des Kieler Seemannshauses. Da, wie bereits bemerkt, jeder dienstliche Zwang peinlichst vermieden werden soll, so wurden die Klubräume für die Unteroffiziere, von denen der Mannschaften vollständig getrennt, in den ersten Stock gelegt. Eine Reihe wie unten eingerichteter, aber kleinerer, gemütlicher Zimmer, in deren einem uns ein prächtiger, dunkelgrüner Majolika-Kachelofen auffällt und die, mit eigenen Büffetten und eigener Bedienung versehen, durch einen Speisenaufzug direkt mit der Küche verbunden sind, bieten den Maaten und Obermaaten Gelegenheit, sich nach Belieben mit Lesen, Schreiben, Spielen, Essen, Trinken, Plaudern zu beschäftigen; eine willkommene Ergänzung finden die Räume in einem eleganten, mit allem Zubehör ausgestatteten französischen Billardsalon, in welchem Queue und Bälle selten Ruhe haben. Im allgemeinen brauchte man für die Unteroffiziere nicht in gleichem Umfange wie für die Mannschaften Sorge zu tragen, da sie einerseits in Kasernen und auf den Schiffen besondere Aufenthaltsräume, sogenannte „Messen“, haben und anderseits zumeist sich ihrer bekanntschaftlichen Beziehungen zu den eigenen verheirateten Kameraden und zu der Bürgerschaft der Stadt erfreuen. Den Heimatlosen ein Heim! lautet die Devise für das Seemannshaus.

Von dem Billardsalon oder, wenn man will, direkt vom oberen Korridor aus treten wir in den Hauptsaal des Stockwerks ein, in welchem seiner Zeit die Eröffnung des Hauses durch den Prinzen Heinrich stattgefunden hat. Ueber dem Mannschaftsrestaurant gelegen und diesem an Umfang gleich, ist der Raum für allerlei ernste und humoristische Vorträge, Konzerte, Deklamationen und kleinere Aufführungen bestimmt und wird in der Regel nur an den Sonntagen benutzt werden. Heute findet just eine lustige Vorlesung aus Fritz Reuter statt, die auf die Lachmuskeln der vor dem Podium lauschenden Matrosenschaft ihre Wirkung nicht verfehlt. Wie wir uns im Umschauen überzeugen, ist in dieser „Aula“ auf die dekorative Ausstattung noch etwas mehr Gewicht gelegt als in den übrigen Räumen. Die Wände, auf gelbem Grunde mit goldenen Reichsadlern schabloniert, zeigen über den Thüren Sprüche, die auf den Beruf des Seemanns Bezug nehmen; sein Licht erhält der Raum am Tage seitwärts durch drei hohe Fenster und von oben durch die Decke, bei Abend durch vier besonders vornehm ornamentierte Glühlichtkronen. Weit sorgfältiger als in den übrigen Räumen sind hier die in violettem Ton gehaltenen Kacheln des Ofens mit Schiffstypen alter Zeiten, dazwischen mit einem sauber ausgeführten Bilde des Königlichen Schlosses zu Kiel bemalt; kurzum etwas besonders Festliches zeichnet den Saal aus. Hinter ihm sind noch ein paar weiß und gold getäfelte Zimmer jahrhundertalten Stils reserviert, um den Geschäftsführern, Mitgliedern des Aufsichtsrats und der verschiedenen hilfreichen Ausschüsse ruhige Räume zu ungestörter Beratung zu bieten.

Während wir nach Besichtigung des Stockwerks die Hintertreppe hinabsteigen, hören wir von außen lebhaftes Rufen, lautes Sprechen, lustiges Lachen und dazwischen in kurzen Zwischenräumen dumpfes Rollen und plötzliches Poltern. Wir treten durch die Hofthür und finden nicht bloß eine komplette, funkelnagelneue doppelte Kegelbahn, die, solid erbaut und bequem heizbar, unseren Blaujacken auch zur Winterszeit Gelegenheit giebt, sich nach Herzenslust auszutoben, sondern auch noch einen ganz ansehnlichen Biergarten, der, sauber mit Kies bestreut, mit Linden bepflanzt ist. „Jung di! Hinnerk, dat’s fein hier, wat?“ hören wir, an der Straßenpforte angelangt, einen „Kuli“ vom „Kurfürst Friedrich Wilhelm“ zu seinem Landsmann von der „Württemberg“ sagen. „Wat schull dat wol ni fein wesen,“ meint der andere, „kannst man glöwen, Franz, wenn’k tokamen Sünndag keene Wach’ ni heww un ni uppe Back up un dal loopen mut, denn so kam ick säker wedder. Dat Büfstück het mi to fermos smeckt.“

Und wir glauben schon, daß Hinnerk wiederkommt und viele andere mit ihm.



Blätter und Blüten.


Otto Roquette, der Dichter von „Waldmeisters Brautfahrt“, ist am 18. März in Darmstadt, wo er seit Jahren am Polytechnikum als Professor der Litteratur wirkte, einem Schlaganfall erlegen. In ihm hat die Nation einen Dichter von reinstem Streben und edelstem Charakter verloren, mit dessen Namen der dauernde Ruhm verknüpft bleibt, in Zeiten stürmischer politischer Erregung, die selbst die Dichter in ihren Dienst zwang, den heiteren Daseinsmächten, der naiven Freude an der Natur und ihren Gaben in der deutschen Poesie wieder zum Rechte verholfen zu haben. Sein frühlingsduftiges Rhein-, Wein- und Wandermärchen „Waldmeisters Brautfahrt“, das er als Gabe seines Heidelberger Dichterlenzes im Jahre 1851 erscheinen ließ, sowie die frischen volksliedmäßigen Trink- und Wanderlieder seines „Liederbuchs“ haben darin ihre litterarhistorische Bedeutung, und daß diese anmutigen Blüten der Nachromantik jener Tage auch heute noch immer aufs neue ihre herzerfrischende Wirkung ausüben, ist der beste Beweis ihres unmittelbaren poetischen Werts. Der Lebenslauf des Dichters, dem die Litteratur auf dem Gebiete des Lieds, der Novelle, des Dramas und des romantischen Epos noch gar manche sinnige und formvollendete Gabe zu danken gehabt hat, wir erinnern besonders an den „Tag von St. Jakob“ und „Hans Haidekuckuck“, ist erst vor zwei Jahren bei Gelegenheit des siebzigsten Geburtstages Roquettes Gegenstand einer ausführlichen Darstellung in der „Gartenlaube“ gewesen, welche gleichzeitig (Jahrg. 1894, S. 268) auch sein Bildnis veröffentlicht hat. Wie reich des Dichters Leben an geistiger Arbeit, an interessanten Begegnungen mit bedeutenden Zeitgenossen, an unentwegter Bethätigung seiner idealen Gesinnung gewesen, läßt sich, wie aus seinen poetischen Werken auch aus der Lebensbeschreibung entnehmen, die er unter dem Titel „Siebzig Jahre“ zu eben jenem Geburtstag der Nation als Geschenk dargebracht hat.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0259.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2020)
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