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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0263.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Elsa blieb die Antwort schuldig, ihre Augen hingen an der schönen Frau, die ihr mit jeder Minute rätselhafter wurde. Sie hatte sich vorhin fast gar nicht an der Unterhaltung beteiligt, aber mit immer größerem Erstaunen zugehört. War das noch dieselbe Frau, die vor einer Viertelstunde neben ihr gesessen hatte, aus deren Innern es hervorbrach wie ein Aufschrei der tiefsten Qual und Verzweiflung und die nun so übermütig lachte und spottete? War denn diese Zenaide ein Doppelwesen? Sie lachte auch jetzt und brach mitten darin ab, um beide Hände gegen die Brust zu pressen, als fehlte ihr auf einmal der Atem. Dabei wurde ihr Gesicht totenbleich und sie lehnte sich wie halb ohnmächtig gegen die Wand.

„Um Gotteswillen – was ist das?“ rief Elsa erschrocken, indem sie beide Arme um die Wankende legte.

„Nichts, nichts!“ murmelte Zenaide. „Aengstige Dich nicht – es geht vorüber!“

Ihr Haupt sank auf die Schulter des jungen Mädchens und ein heißes, halbersticktes Schluchzen rang sich aus ihrer Brust hervor. Elsa fragte nicht und rief nicht um Hilfe, sie fühlte instinktmäßig, daß man da drinnen nichts ahnen durfte von diesem Zufall.

Er dauerte freilich nur wenige Minuten, dann richtete sich Zenaide auf und versuchte zu lächeln, aber ihre Lippen zuckten, als sie abgebrochen sagte: „Ein nervöser Anfall, nichts weiter – ich habe wieder zuviel gesprochen, mich zu sehr erregt – der Hofrat hat mich ja gewarnt davor. Sage den beiden Herren nichts davon, ich bitte Dich darum – und nun leb’ wohl, wir sehen uns ja morgen wieder!“

Das junge Mädchen fühlte noch einen heißen Kuß, dann riß sich Lady Marwood los und eilte, jede fernere Begleitung abwehrend, davon. Hassan stand bereits da und öffnete seiner Herrin den Wagenschlag; sie winkte noch einen Gruß zurück, dann brauste das Gefährt davon und die gläuzende Erscheinung war verschwunden, so schnell und blitzähnlich wie sie gekommen war.

Eine halbe Stunde später schritten die beiden Herren durch den Garten. Sie waren in lebhaftem Gespräche, aber zwischen Ehrwalds Brauen stand eine tiefe Falte und in seiner Stimme klang eine unverkennbare Gereiztheit, als er sagte: „Gieb Dir doch keine Mühe, Lothar, das abzuleugnen! Ich werde nun einmal nicht zu Gnaden angenommen bei Deiner Braut, ich dächte, das hättest Du so gut gesehen wie ich.“

Die Bemerkung mußte wohl Grund haben, denn Sonnecks Antwort verriet einige Verlegenheit.

„Elsa ist eben eine spröde, eigenartige Natur, die langsam gewonnen sein will. Ueberdies hat sie nie mit Menschen verkehrt, da ist es doch am Ende natürlich, daß sie sich scheu und zurückhaltend zeigt.“

„Ob es gerade Scheu ist, was mir Fräulein von Bernried zeigte? Ich habe es für Abneigung gehalten und das sollte mich eigentlich nicht überraschen. Sie duldete ja schon als Kind von mir nicht die geringste Liebkosung, während sie die Deinigen ruhig hinnahm, und als ich das erzwingen wollte, strafte mich die kleine Hand in sehr nachdrücklicher Weise. Ich habe auch jetzt nicht das Glück, ihr zu gefallen, aber Du wirst mir zugeben, daß die Schuld diesmal nicht auf meiner Seite liegt. Ich habe alle Register verbindlicher Artigkeit gezogen, allein umsonst.“

„Und das hast Du verwöhnter Herr natürlich sehr übelgenommen,“ scherzte Lothar. „Ich glaube freilich, es ist das erste Mal, daß Dir dergleichen passiert. Aber im Ernst, Reinhart, Du hast immer noch das trotzige, eigenwillige Kind von einst im Gedächtnis. Die Jahre und die Erziehung haben aus Elsa etwas ganz anderes gemacht, das solltest Du doch sehen.“

„Glaubst Du denn wirklich, daß solche Naturanlagen sich vernichten lassen?“ fragte Ehrwald mit leisem Spott. „Sie können unterdrückt, gebannt werden, vielleicht auf Jahre hinaus, und Deine Elsa steht auch unter solch einem Bann. Dies Starre, Leblose, das in ihrem ganzen Wesen liegt, ist geradezu unheimlich bei einem Mädchen von achtzehn Jahren. Hältst Du das etwa für ihre wirkliche Natur? Laß nur einmal den Sonnenschein hereinbrechen in ihr Leben, gieb ihr nur einmal Glück und Freiheit zu kosten – und sie wird erwachen!“

„Da hört man wieder den alten Phantasten!“ rief Sonneck lachend. „Du hast ja schon damals in Kairo mir und Zenaide vorgeschwärmt von Deinen Bergsagen mit ihren gebannten Zauberwesen, die auf Erlösung harren, und der erlösende Held warst natürlich immer Du in Deinen Jugendträumen. Damals hättest Du den Traum vielleicht verwirklichen können, aber Du wolltest ja den Schatz nicht heben, der Dir so verheißungsvoll entgegenblinkte, und da ist er versunken. Zenaide wäre als Dein Weib eine andere geworden, als sie jetzt ist. Bei meiner Elsa müßte ich nun freilich das erlösende Wort sprechen, aber sie ist Gott sei Dank kein solches Rätselwesen, da ist alles klar und hell.“

Sie standen jetzt am Gitterthor, um Abschied zu nehmen, denn Sonneck wollte bis zum Abend hier bleiben. Vor dem Ausgange lag Wotan, der heute übler Laune war, weil er fortwährend zurückgehalten und zur Ruhe verwiesen wurde. Er wußte, daß er sich still verhalten mußte, wenn die Hausbewohner oder Sonneck mit jemand verkehrten, bei dem Nahen Ehrwalds jedoch erhob er sich, ließ ein zorniges Knurren hören und machte Miene, auf ihn loszugehen.

„Was hast Du denn, Wotan?“ fragte Lothar unwillig. „An den Herrn hier mußt Du Dich gewöhnen, es ist ein Freund.“

Er legte wie zur Bestätigung die Hand auf Reinharts Schulter. Das genügte sonst stets, um Wotan zur ruhigen Duldung eines Fremden zu veranlassen, aber diesmal half es nichts. Der Hund erkannte zweifellos den nächtlichen Eindringling wieder, dessen Hand ihn mit so eisernem Griff an der Kehle gepackt und fast erwürgt hatte. Er murrte dumpf und drohend und ließ sich offenbar nur durch Sonnecks Nähe von einem Angriff abhalten. Ehrwald lachte, aber seine Stimme klang fast schneidend, als er sagte: „Laß doch dem Tier sein Vergnügen! Es folgt ja nur dem Beispiel seiner Herrin, sie zeigen nur beide, wie wenig willkommen ich in Burgheim bin. Leb’ wohl, Lothar!“

Er reichte ihm die Hand, und sich rasch umwendend, schlug er den Weg ein, der in das Thal hinabführte.


Im Hochgebirge hatte der Frühling nun endlich seinen Einzug gehalten. Er war spät gekommen, nun kam er aber auch in seiner ganzen Herrlichkeit. Die Alpenmatten waren wie übersät mit goldenen Himmelsschlüsseln und tiefblauem Enzian, die Wälder standen in voller Lenzespracht, auf allen Höhen, an allen Felswänden grünte und blühte es, und von den Gletschern und Schneefeldern stürzten die Bäche, befreit von den eisigen Fesseln des Winters, mit brausendem Ungestüm zu Thal.

Einige Stunden oberhalb Burgheim lag auf weiter grüner Matte ein einsamer Hof, ein altes, wetterfestes Haus, mit steinbeschwertem Dache, dessen Besitzer eine kleine Bergwirtschaft eingerichtet hatten. Der Ort suchte allerdings an Schönheit seinesgleichen in der ganzen Umgegend. Tief unten lag das Kronsberger Thal, mit der Stadt und der alten Feste, ringsum standen die Berge mit ihren schroffen Wänden und düsteren Schluchten, und darüber hinaus hoben sich die Hochgipfel mit ihren schneegekrönten Häuptern.

Es war ein Blick in die Alpenwelt, der es an Großartigkeit mit den berühmtesten Aussichtspunkten aufnehmen konnte. Dennoch wurde der Ort nicht allzuhäufig besucht. Der Aufstieg war steil und beschwerlich und die Bewirtung sehr einfach. Das war nichts für die verwöhnte Badegesellschaft von Kronsberg, die ihre Ausflüge meist nur zu Wagen oder zu Pferde unternahm und dabei keine der gewohnten Bequemlichkeiten entbehren wollte.

Sonneck hatte im vorigen Sommer auf einer seiner Streifereien den Ort entdeckt und ihn jetzt wieder in Begleitung seiner Braut und seines Freundes aufgesucht. Sie waren am frühen Morgen aufgebrochen und wollten noch vor Abend zurück sein, Helmreichs wegen, der die Teilnahme seiner Enkelin an dem Ausfluge überhaupt nur sehr ungern zugelassen hatte. Am Nachmittage brach jedoch ein heftiges Gewitter aus, das mehrere Stunden anhielt und den an sich schon beschwerlichen Abstieg geradezu gefährlich machte. Es war nicht ratsam, den Weg in der Dunkelheit und in Begleitung einer Dame zurückzulegen. So entschloß man sich denn, oben zu bleiben und mit der sehr bescheidenen Unterkunft bis zum nächsten Morgen vorlieb zu nehmen. Professor Helmreich wußte seine Enkelin ja im Schutze der beiden Herren und erwartete sie gewiß heute abend nicht mehr.

Es war noch in der ersten Morgenfrühe und im Hause regte sich noch nichts, als Elsa aus der Thür trat. Ringsum lagerte dichter Nebel und über die Matte jagten feuchte Dunstwolken hin, das junge Mädchen kannte jedoch die Wetterzeichen hinreichend, um zu wissen, daß gerade dieser dicht verhüllte Nebelmorgen einen Sonnentag verhieß. Sie wandte sich der mächtigen alten

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0263.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)
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