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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0274.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

aufbürden konnte. Freilich war er der studierte Mann, las die alten Klassiker in der Ursprache und hatte die neueren in seiner Bibliothek stehen, durfte aber auf der anderen Seite kein sonderliches Interesse für diese Dinge voraussetzen und mußte daher im Umgang ein paar Stufen hinuntersteigen, um den ungefähr gleichen Boden zu gewinnen. Der Rentmeister wieder bildete sich etwas auf seinen gesunden Menschenverstand ein und war sehr geneigt, ihn überhaupt höher zu schätzen als alle Buchgelehrsamkeit, mit der man doch nicht ‚den Hund vom Ofen locke‘. Ganz ohne Litteraturkenntnis war aber auch er nicht und liebte es, gelegentlich im Gespräch ein Citat anzubringen, das nur öfters den Fehler hatte, nicht gut zu stimmen. Auch brauchte er gern Fremdwörter, mitunter mit größtem Ernst in sehr sonderbarer Bedeutung, worüber der geistliche Herr innerlich lachen mußte. Aber es gab doch auch viel Vereinendes: ihre persönliche Tüchtigkeit, ihre gut preußische Gesinnung, politische Uebereinstimmung im großen Ganzen, Gutmütigkeit und Menschenfreundlichkeit, die jeder auf seinem Gebiet und mit seinen besonderen Mitteln bewährte. Sie tranken beide gern „gemütlich“ ein Glas Bier oder ein Glas Grog, was nur innerhalb ihrer vier Wände geschehen konnte, waren mit den Frauen, die sich gut vertrugen, gerade die erforderlichen Vier zu einer Bostonpartie, spielten auch Domino und Puff und rauchten einen kräftigen Tabak, den sie gemeinsam bezogen, aus langen Pfeifen. Und was sie ganz besonders innig und dauernd vereinigte: jeder hatte einen anderen Thätigkeitsbezirk und keiner konnte dem anderen in die Quere kommen, während bei geselligen Zusammenkünften jeder etwas dem andern Neues mitzuteilen vermochte. Staat und Kirche verkehrten in bestem Einvernehmen, und an eine Trennung dachte gewiß keiner von ihnen. –

Große Verwunderung war daher bei der Regierung, als eines Tages beim Präsidenten ein Brief aus Rossitten einlief, in welchem der Rentmeister so bestimmt seine Versetzung beantragte, daß an der Ernstlichkeit seines Willens gar nicht gezweifelt werden konnte. Es war auch der Grund dieses dringenden Wunsches angegeben. Er hätte sich mit dem Herrn Pfarrer veruneinigt; und da sie beide in Rossitten doch die einzigen Menschen wären, die gesellschaftlich miteinander verkehren könnten, er sich jetzt aber das Pfarrhaus verschlossen habe und in dieser Düneneinsamkeit doch unmöglich als ein Einsiedler leben könne, so bleibe ihm nichts übrig, als eine andere Heimstätte zu suchen. Jedes Amt sei ihm genehm, nur bitte er, recht schnell von der Qual befreit zu werden, dem Herrn Pfarrer in Rossitten aus dem Wege gehen zu müssen.

Das war doch wundersam! Der Rentmeister, der mit der Kurischen Nehrung so fest zusammengewachsen schien, daß man ihn nach seinen Wünschen zeitlebens versorgt geglaubt hatte, wollte plötzlich fort? Ein dort ganz unersetzlicher, höchst pflichttreuer Beamter! Und aus welchem Grunde? Mit dem Pfarrer hatte er sich überworfen, der doch, wie man wußte, sein bester Freund gewesen war! Und gleich so arg, daß er meinte, mit ihm nicht mehr dieselbe Luft atmen zu können! Das war ja ganz unglaublich! Der Präsident berief den Rat, der das Decernat in Angelegenheiten der Kurischen Nehrung hatte, mich selbst nämlich, und schickte mich erst einmal nach dem Konsistorium, dort Rücksprache zu nehmen, was denn in aller Welt geschehen sein könnte, und wie etwa auf den geistlichen Herrn einzuwirken sei, damit der anscheinend tief gekränkte Rentmeister sein Versetzungsgesuch zurücknehme.

Der Präsident des Konsistoriums ließ sich den Fall vortragen, nahm dann aber statt aller Antwort einen Brief amtlichen Formats von seinem Tisch auf und reichte ihn mir lächelnd zu. Ich mußte hell auflachen, als ich ihn gelesen hatte. Der Pfarrer von Rossitten bat darin in Ausdrücken, die seine ganz verzweifelte Stimmung kennzeichneten, um seine schleunigste Versetzung in irgend eine andere Stelle. Er sei bereit, jede anzunehmen, und bitte, über ihn zu verfügen. Nur in Rossitten könne er nicht länger bleiben. In Rossitten seien ‚er und der Rentmeister die beiden einzigen Menschen, die gesellschaftlich miteinander verkehren könnten‘. Sie wären vorher die besten Freunde gewesen. Nun aber sei etwas zwischen sie getreten, was jeden außeramtlichen Verkehr zur Unmöglichkeit mache und selbst den amtlichen aufs äußerste erschwere. Er sei weit entfernt, über den hochgeachteten und in seiner Weise hochverdienten Mann Klage erheben zu wollen, wünsche aber, ihm aus dem Wege zu gehen, möge damit für ihn selbst auch die schwerste Einbuße verbunden sein. Er habe zum Anachoreten keine Anlage und glaube, Gott nicht in rechter Weise dienen zu können, wenn er sich in Feindschaft mit dem einzigen Menschen wisse, auf dessen Umgang er in dieser Einöde angewiesen sei.

Welche sonderbare Uebereinstimmung auch in den Motiven! Einzelne Sätze erschienen fast wie abgeschrieben.

Nun kamen die beiden Präsidenten schnell überein, ich solle nach Rossitten geschickt werden, den bösen Fall an Ort und Stelle zu untersuchen und festzustellen, an wem eigentlich die Schuld dieses Zerwürfnisses liege.

So geschah es denn auch. Da ergab sich denn folgendes:

Die früheren Freunde waren wirklich gegeneinander ganz so erbittert, wie das ihre Schreiben annehmen ließen, aber zugleich auch sehr verwundert, zu erfahren, daß sie zu gleicher Zeit auf den Gedanken gekommen, ihre Abberufung zu verlangen.

Ich verhandelte mit jedem einzeln. Und da zeigte denn der Rentmeister ein verlegenes Gesicht und meinte, die Sache selbst sei ja eigentlich nicht der Rede wert und hätte unter anderen Umständen auch wirklich keine Bedeutung. Die kränkende Absicht habe aber doch zu deutlich zu Tage gelegen und er dürfe sich so etwas in seiner amtlichen Stellung nicht gefallen lassen. Er wisse ja, daß der Herr Doktor ihm in gelehrten Dingen weit über sei; deshalb hätte er ihn aber doch nicht als einen ungebildeten Menschen hinstellen und verspotten dürfen. Und das habe er gethan. Der Pfarrer wieder leitete seine Verteidigung ebenso ein, meinte dann jedoch, der gute Rentmeister sei gar zu empfindlich und vertrage auch nicht die sanfteste Zurechtweisung. Ein geringfügiger Anlaß habe nun beiden die Ueberzeugung verschaffen müssen, daß zwischen ihnen ein Spalt klaffe, der nur mit trügerischen Decken so lange verborgen gehalten sei. Er fügte hinzu, daß er freilich mit christlicher Liebe alle ihm in maßloser Weise zugefügte Unbill verzeihen könne und wolle, daß es ihm aber nicht länger möglich sei, mit einem im Grunde so ungebildeten Mann auf gleichem Fuß zu verkehren. Ein Ausgleich sei schon deshalb undenkbar, weil der Rentmeister ihn hasse und nie die kleinste, wenn auch wohlverdiente Demütigung verzeihen werde.

Nach und nach kam’s denn heraus. Der Rentmeister hatte vor einiger Zeit an das Pfarramt ein Schreiben gerichtet, in welchem er aufs höflichste zu bedenken gab, ob es nicht möglich sei, von der Kanzel herab gewissen Unordnungen der Kirchgänger zu steuern, die gewöhnt wären, nach dem Gottesdienst sofort im „Kruge“ vorzusprechen und dort nach überreichlich genossenen Spirituosen tumultuarisch zu hausen, was bei den ruhigen Einwohnern Aergernis errege. Er habe letzten Sonntag Ordnung zu schaffen gesucht, sei aber mit seiner Autorität nicht durchgedrungen.

Dieses unglückliche Wörtchen „Autorität“ hatte den Zwist entzündet. Wie war das möglich gewesen?

Der Rentmeister hatte es mit einem h in der Mitte – Authorität – geschrieben, und der Pfarrer, der selbstverständlich den Unfug in der Schenke nicht billigen konnte, aber vielleicht den Vorwurf herausfühlte, daß seine Predigt sich nicht wirksam genug erweise, hatte in seiner eigentlich ganz überflüssigen Antwort zwar ein heiliges Donnerwetter für den nächsten Sonntag versprochen, am Schluß jedoch angefügt, übrigens erlaube er sich ganz ergebenst zu bemerken, daß das Wort Autorität ohne h geschrieben werde.

Diese Rüge war dem biederen Rentmeister in die Krone gefahren. So harmlos die Bemerkung scheinen konnte, er witterte böse Absicht. Sie gehörte wirklich nicht in das amtliche Schreiben und mochte trotz der gegenteiligen Versicherung des Pfarrers die Bedeutung eines sanften Stachels gehabt haben sollen.

Jedenfalls setzte sich der Rentmeister, statt eine freundschaftliche Aussprache herbeizuführen, sofort mit rotem Kopf hin und schrieb eine Entgegnung, in der es etwas spöttisch hieß, er danke für gütige Belehrung, glaube aber im besten Recht zu sein, auch künftig und bis an sein hoffentlich seliges Ende Authorität zu schreiben, da er das Wort so wohl hundertmal im Amtsblatt gelesen habe, welches ihm eine bessere Authorität sei als der Herr Pfarrer, dessen Gelehrsamkeit er sonst durchaus in Ehren halten wolle.

Der Pfarrer schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

Eine solche Verstocktheit! Noch glaubte er aber nur an einen augenblicklichen Aerger des guten Freundes, der rasch verfliegen werde, wenn dieser sich erst überzeuge, daß er wirklich im Unrecht sei. Er antwortete daher in sehr ruhiger Schreibweise, der Herr Rentmeister sei doch wohl in einem allerdings leicht verzeihlichen Irrtum besangen. Das Wort Autorität stamme aus dem Lateinischen: autoritas oder auch auctoritas, was Würde, Ansehen bedeute. Sollte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0274.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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