verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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es zu dem griechischen αύτός Beziehung haben, so sei zu bemerken, daß auch dieses mit einem τ, nicht ϑ geschrieben werde. Uebrigens müsse der Herr Rentmeister sich wohl einer Nummer des Amtsblattes erinnern, welcher ein Druckfehler untergelaufen sei; mehr als eine Nummer werde er ihm wohl als Beweisstelle nicht vorlegen können.
Nun hatte der gute Rentmeister natürlich nichts Eiligeres zu thun, als einen Band des Amtsblattes nach dem andern zu durchblättern, um das böse Wort aufzufinden. Daß er sich geirrt haben könne, war ihm undenkbar. Nachdem er bei diesem Suchen die ganze Nacht zugebracht und doch erst einen kleinen Teil des Materials, leider ohne Erfolg, bewältigt hatte, meinte er, jedenfalls nicht vierundzwanzig Stunden ohne eine gepfefferte Antwort hingehen lassen zu dürfen. Er schrieb also, es sei ihm sehr gleichgültig, ob das Wort aus dem Lateinischen, Griechischen oder Hebräischen herstamme, da es jedenfalls jetzt gut preußisch sei. Dem Herrn Doktor müsse er anheimgeben, künftig an ihn deutsch zu schreiben. Das eine Krixelkraxel könne er gar nicht lesen, von einem großen D sei aber überhaupt keine Rede, sondern von einem th, und das wolle er sich denn auch ausgebeten haben.
Den Pfarrer, Licentiaten und Doktor erfaßte ein tiefes Mitleid über die Unwissenheit und schier unglaubliche Befangenheit des alten Freundes. Er hielt es für Christenpflicht, den sonst so braven Mann aufzuklären, damit er sich nicht auch anderwärts blamiere, und so belehrte er ihn denn in einem langen, freilich etwas schulmeisterlich gehaltenen Schreiben, daß es sich um griechische Buchstaben handle, das tau (τ) unserm t, das theta (ϑ) unserm th gleichwertig sei, autos (αύτός) selbst heiße und mit einem tau geschrieben werde. Er würde sich wohl auch inzwischen überzeugt haben, daß das preußische Amtsblatt ganz unschuldig sei, da der in Aussicht gestellte Nachweis bisher nicht erbracht worden sei. Er möge also einfach seinen Irrtum eingestehen; man könne ja doch ein Ehrenmann und trefflicher Beamter sein, auch wenn man keine alte Sprache verstehe und in der Rechtschreibung einmal einen Schnitzer mache.
Dieser Brief nun, offenbar gut gemeint, aber der verärgerten Stimmung des Rentmeisters schlecht angepaßt, schlug dem Faß den Boden aus. Die Entgegnung war sackbohnengrob. Der Pfarrer möge seine Schulweisheit auskramen, wo er sonst Lust habe, solle sich aber nicht einbilden, es mit einem Schuljungen zu thun zu haben! Sein geistlicher Hochmut sei unleidlich. Uebrigens habe ein preußischer Beamter mehr zu thun als die alten Bände des Amtsblattes durchzusehen. Das überlasse er dem Herrn Pfarrer, der ja überflüssige Zeit genug habe, aber sie besser auf die Ausarbeitung seiner Kanzelvorträge als auf die Korrektur amtlicher Erlasse verwenden könne. Seine Predigten wisse Schreiber dieses schon auswendig und werde sich deshalb künftig des Kirchenbesuchs enthalten. Daß er das Pfarrhaus nie wieder betrete, verstehe sich ohnedies von selbst!
Darüber war nun wieder der Pfarrer beleidigt. Es folgte nur noch eine knappe Anzeige, daß er mit dem Abbruch aller gesellschaftlichen Beziehungen unter bewandten Umständen ganz einverstanden sei, und damit brach auch der Briefwechsel ab.
Die ergrimmten Gegner versuchten nun eine Weile, sich ohne einander zu behelfen. Mit welchem Erfolge, das hatte sich gezeigt.
Vielleicht hätten sie ein freundschaftliches Zusammengehen nicht so schwer vermißt, wenn sie wirklich Feinde gewesen wären. Aber von einer eigentlich feindlichen Gesinnung war auf keiner Seite die Rede. Im Gegenteil bewahrten sie sich beide ein starkes Gefühl von Hochachtung und bedauerten lebhaft, daß das gute Verhältnis durch so ein Nichts gestört worden sei, das sich freilich nicht wieder beseitigen ließe. Sie kamen mit ihren Gedanken gar nicht los von dem Unfall und verrannten sich immer tiefer in die Vorstellung, daß zwischen ihnen eine Scheidewand errichtet sei, die nicht mehr niedergeworfen werden könne. Natürlich standen die Frauen auf der Seite ihrer Männer und sprachen gleichfalls kein Wort mehr miteinander. Selbst die Kinder wurden in Mitleidenschaft gezogen, verhöhnten sich gegenseitig und führten im Dorf Prügelscenen auf, die bei den Bauern allerhand übles Gerede veranlaßten. Es ging so nicht weiter. Zu gleicher Zeit war man im Rentamt und im Pfarrhause zu dieser Erkenntnis gekommen, und da waren nun die beiden Schreiben abgegangen.
Ich gab mir natürlich die aufrichtigste Mühe, eine Versöhnung zustande zu bringen, mußte aber bald ihre Vergeblichkeit einsehen. Freilich reichten der Rentmeister und Pfarrer einander die Hand und versprachen amtlich, wieder in friedlicher Weise zu verkehren und der Gemeinde kein Aergernis zu geben. Aber damit war doch, wie ich sehr gut wußte, nur wenig gewonnen. Es half auch nichts, daß der Pfarrer anerkannte, nicht ganz schicklich in einer amtlichen Korrespondenz einen Schriftfehler berichtigt zu haben, und der Rentmeister zugab, in seiner berechtigten Empfindlichkeit seine Ausdrücke nicht vorsichtig genug gewählt zu haben. Das lag nur so auf der Oberfläche und deckte die Grube nicht haltbar zu. Der Rentmeister fühlte, daß nun für alle Zeit gleichsam ein Strich gezogen sei, bis zu dem er Arm in Arm mit dem Pfarrer gehen könnte, und der Raum davor dünkte ihn plötzlich eng und schmal; jenseits aber lag ein Irrgarten, in dem sein Auge sich nicht zurechtfand, der Herr Doktor sich aber ganz frei bewegte. Der Rentmeister wußte jetzt, daß es nur eine thörichte Einbildung gewesen sei, als ständen sie auf gleichem Fuße. Er hatte sich eine Blöße gegeben, und wenn er nun den Pfarrer sah, merkte er eine Kälte um das Herz herum, als ob da eine Stelle nackt sei und sich nicht verhüllen ließe. Je freundlicher der Pfarrer ihn anredete, um so eisiger wurde der Hauch, der sein Herz erkältete. Er schrumpfte zusammen und kam sich selbst so klein vor, daß er meinte, von den Bauern und Fischern nicht mehr gehörig beachtet werden zu können. Mit dem lumpigen h, das ihm der Pfarrer genommen, hatte er nach seinem Gefühl die ganze Autorität verloren, auf die er so stolz gewesen war. Nein, sagte er, ich kann mit ihm zusammen hier in Rossitten nicht leben. Denken Sie nur – mit einem, der nicht mehr ist als ich, und der doch einmal so über mich hinweggesehen hat und immer wieder es thun wird … Nein, wahrhaftig, es geht nicht!
Ich überzeugte mich, daß dieser Schwäche Rechnung getragen werden müßte. Ich berichtete den beiden Präsidenten, und diese waren menschenfreundlich genug, so schnell als möglich Wandel zu schaffen. Der Rentmeister war an dieser Stelle schwer zu ersetzen, auch mußte sein Selbstgefühl wieder gehoben werden. Er behauptete also den Platz. Der Geistliche aber wurde, gleichsam zur Entschädigung dafür, in eine viel bessere Pfarre versetzt, die ihm, so hieß es, schon lange zugedacht gewesen war. –
Als dann der Pfarrer abzog, war freilich niemand rühriger, ihm etwas Liebes zu erweisen, als der brave Rentmeister. Er hatte dafür gesorgt, daß am letzten Sonntage, an dem dieser die Kanzel der Rossittener Kirche bestieg, von den Bauern weither Tannen- und Laubäste angefahren waren, mit denen nun die Thüren und der Orgelchor und die Kanzelwand von den Weibern und Kindern geschmückt wurden. Mit den Gemeindevorstehern ging er ins Pfarrhaus und überreichte dem gerührten Seelsorger eine große Bibel in Prachteinband zum Andenken, wozu auf seine Anregung die ganze Bauernschaft gesteuert hatte.
Zur Reise wurden ihm die Wagen kostenfrei gestellt, und die vier Pferde vor jedem waren mit Birkenreis und bunten Schleifen ausgeputzt. Und als dann der Pfarrer aufgestiegen war, reichte der Rentmeister ihm die Hand zum Abschied und sagte: ‚Rossitten verliert Sie ungern, aber es ist besser so für Sie, und wir gönnen es Ihnen von Herzen. Reversieren Sie uns eine gute Erinnerung!‘ – Der Pfarrer verbiß das Lachen, beugte sich hinab, küßte ihm rechts und links die Wange und rief: ‚Ihr seid doch ein ganzer Kerl, Rentmeister! Gott mag es Euch lohnen!‘
Dicht an seinem Ohr fügte er hinzu: ‚Und daß ich es Euch nur jetzt beim Abschied verrate – ich habe in einigen amtlichen Schreiben aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts wirklich das h gefunden, und es waren sehr angesehene und gelehrte Männer, die es zum Ueberfluß und sozusagen unrichtig gebrauchten. Aber es steht gedruckt da, und wenn es Euch etwa darum zu thun ist, Euch in Königsberg zu rechtfertigen oder gegen meinen Amtsnachfolger gerüstet zu sein, will ich Euch gern den Nachweis geben.‘
‚So, so!‘ schmunzelte der Rentmeister, dem dieses Anerkenntnis sehr wohl that. ‚Also Ihr räumt nun doch gewissermaßen ein, daß ich recht hatte.‘ Es war gut, daß die Pferde anzogen und die Gemeinde ein volltöniges Hurra nachsendete, sonst wäre am Ende der Streit um das h von neuem losgebrochen.
Der Rentmeister stand seinem schwierigen Amt bis ins hohe Alter ehrenvoll vor.
Den Herrn Pfarrer habe ich erst viele Jahre nach jenem Vorfall wieder gesehen. Er hatte zu dieser Zeit ein Vollmondsgesicht und ein Bäuchlein. Die Versetzung war ihm gut bekommen. Schmunzelnd erzählte er mir, was sich beim Abschied ereignet hatte.“
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0275.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)