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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0299.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

werden, so wird es begreiflich, daß eine geeignete Pflege der Haut und der sich in ihr verbreitenden Gefühlsnerven von großer Wichtigkeit für geistiges und körperliches Wohlbefinden ist. Luft und Wasser, die bei ungeeigneter Einwirkung uns feindlich gegenübertreten, müssen in ihrer gehörigen Verwendung die besten Freunde des an die Stube gefesselten geistigen Arbeiters sein und bleiben.

Noch wichtiger für das geistige Leben sind dessen Beziehungen zu den Bewegungsnerven. Dem Stubenmenschen drohen in dieser Beziehung gewisse Nachteile der sitzenden Lebensweise überhaupt. Unvollkommenes Atmen, verlangsamte Herzthätigkeit mit allen ihren schädlichen Folgen für Blutbewegung und Blutverteilung in den verschiedensten Organen, namentlich des Unterleibs, kommen hier in Betracht. Geistige Ueberanstrengungen steigern diese Gefahren. Geordnete Körperbewegung trägt am sichersten dazu bei, jene Nachteile geistiger Arbeit zu begleichen und Gesundheitsbeschädigungen vorzubeugen. Wer hätte nicht an sich selbst nach ausgiebiger Körperbewegung das Gefühl von Wohlbehagen erfahren, die Schaffenslust, den leichten Fluß der Gedanken, die geistige Frische, Erquickung und Erstarkung! Die Art der Körperbewegung kann sehr verschieden und wird dem Einzelfall anzupassen sein. In erster Linie gehören hierher das Gehen, namentlich Bergsteigen, das Schwimmen, sowie insbesondere gewisse Freiübungen in Form der Zimmergymnastik. Des weiteren sind sehr geeignet Bewegungen unter Benützung besonderer Hilfsmittel oder mechanischer Vorrichtungen, das Reiten, Turnen, Schlittschuhlaufen, Rudern, Radfahren. Unter allen Umständen ist es von großem Wert, einzelne gymnastische Uebungen nach angespannter Gehirnarbeit einzuschieben. Gute gangbare Bücher enthalten in Menge Belehrungen über die allgemeinen Regeln für den Betrieb der Hausgymnastik bezüglich der Zeit der Vornahme, der Dauer, Regelmäßigkeit der Uebungen und anderer hierbei in Betracht zu ziehender Umstände. Selbstverständlich darf auch die körperliche Uebung nicht bis zur Uebermüdung getrieben werden, oder unmittelbar vor geistiger Beschäftigung stattfinden.

Sowie eine abwechselnde Uebung der geistigen und körperlichen Kräfte eine unerläßliche Bedingung zum Erhalten der Gesundheit, ebenso ist Abwechslung bei allen Körperbewegungen von größter Wichtigkeit, wenn solche den Zweck erfüllen sollen, der beabsichtigt wird. Für alle Einflüsse, die auf den Menschen wirken, gilt das Gesetz der Angewöhnung. Derselbe Lebensreiz, welcher in einem Fall eine entschieden günstige und – ungünstige Wirkung entfaltet, bleibt bei öfterer Wiederholung ohne wesentliche Wirkung, ist oft von ganz geringem Erfolg. Uebung kommt hier namentlich in Betracht. Besteigen wir eine bestimmte Anhöhe, einen Turm, so erreichen die Wirkungen der Körperbewegung auf Atmung, Blutumlauf, Muskelanstrengung, Ermüdung, Absonderung etc. einen gewissen Grad, der bei häufiger und gewohnter Uebung weit geringer ausfällt, oder der beabsichtigte Erfolg bleibt bei fortgesetzter Gewohnheit gänzlich aus. Der Stubengelehrte oder Bureauarbeiter kann diesem Gesetz durch geeignete Auswahl und Abwechslung der Körperbewegungen entsprechen.

Ein weiteres Gesetz ist ganz neuerdings von Lagrange in einem hochinteressanten wissenschaftlichen Werk erwiesen worden. Nach diesem läßt sich im allgemeinen sagen, daß der Mensch vom vierzigsten Jahre an sich aller körperlichen Uebungen, welche Atemlosigkeit herbeiführen, enthalten und sich dafür den Ausdauerübungen zuwenden soll, für welche er noch vollkommen befähigt ist. Pferde, die nicht mehr an Wettrennen teilnehmen können, sind noch viele Jahre für langsamere Gangarten zu gebrauchen. Auch der Mensch kann bis ins späte Alter stundenlang ganz erhebliche körperliche Arbeit leisten, vorausgesetzt, daß dieselbe mit einer gewissen Langsamkeit ausgeführt werde. Unter den besten Bergführern befinden sich Leute, welche fast das sechzigste Jahr erreicht haben und im Steigen die jüngsten Touristen übertreffen. Aber es ist auch allgemein bekannt, daß die erfahrensten unter ihnen sehr langsam steigen, und daß unter dieser Bedingung ihre Leistungsfähigkeit eine außerordentliche ist. Sie vermeiden durch ihr langsames Gehen die übermäßige Beschleunigung des Pulses und Belastung der Herzthätigkeit. Lagrange konnte in dieser Beziehung sehr lehrreiche Beobachtungen machen während des Krieges von 1870/71, als man in Frankreich überall Reserve-Nationalgarden errichtete, in welche Leute von verschiedensten Altersstufen eintraten. Es befanden sich darunter viele Vierziger, welche indes bei den längsten Uebungsmärschen nicht hinter ihren jüngeren Gefährten zurückblicken, im allgemeinen sogar eine größere Ausdauer bewiesen. Dies änderte sich jedoch bezüglich der Schnelligkeitsübungen. Der „Laufschritt“ war der Schrecken der vom besten Willen beseelten Alten. Schon nach wenigen Minuten traten sie aus den Reihen, erschöpft und atemlos, während die Jugend die Laufübung noch lange Zeit ohne Ätembeschwerden fortsetzte. Es ereigneten sich bei diesen Uebungen sogar schwere Unfälle, wenn die befehlenden Offiziere im Uebereifer ihre Leute zwangen, trotz Atemlosigkeit die rasche Gangart fortzusetzen. Unfälle ähnlicher Art werden von den Tagesblättern häufig gemeldet.

In größeren Städten bietet sich immer mehr Gelegenheit, in vortrefflich eingerichteten medico-mechanischen Instituten an der Hand von Apparaten und unter Ueberwachung von Aerzten geeignete Körperübungen vorzunehmen, um geistige Anstrengungen zu begleichen.

Eine sehr förderliche und wichtige Folgeerscheinung der Bethätigung der Bewegungsnerven und der ihr folgenden Muskelübungen ist ein gesunder ruhiger stärkender Schlaf, der seinerseits einen ungemein günstigen Einfluß aus das gesamte körperliche Befinden und mit ihm auf die Energie des geistigen Lebens ausübt. Wenn Uebungen der Bewegungsnerven ebenso wie der Gefühlsnerven gewissermaßen das Gegengewicht bilden, um den ruhigen Fortgang geistiger Arbeit zu begleichen, so ist der Schlaf die Spannkraft, die das Ganze in Gang bringt und hält. Ausgiebiger Schlaf muß der treueste Freund eines jeden sein, der geistig arbeitet, denn im Schlaf ruht das Gehirn und andauernde Schlaflosigkeit ruft in diesem hochwichtigen Organe die schlimmsten Verwüstungen hervor.

Um einen angemessenen Wechsel zwischen geistiger und körperlicher Thätigkeit einerseits, sowie Schlaf auf der andern Seite zu erzielen, ist eine geeignete Wahl der Zeit zum Schlaf von nicht geringem Einfluß. Diese Wahl in ihrer Ausführung wirkt begünstigend oder störend. Es ist durchaus nicht ein Zufall, wenn in dem tierischen Leben zumeist das Wachen mit der Tageszeit, das Schlafen aber mit der Nacht zusammenfällt. Was die Nacht im ganzen Erdenleben, das bedeutet der Schlaf beim Einzelnen, gleichwie im Gegensatz hierzu der Tag der großen Natur auch für die tierischen Wesen die Zeit des Wachens ist. Dieser Wechsel der Vorgänge bei allen Geschöpfen und in der Schöpfung überhaupt, der Zusammenhang des Schlafes mit der Achsendrehung der Erde bedingt ein inniges Abhängigkeitsverhältnis von: Nervensystem zum Sonnensystem insgemein. Die Spannkraft der Jugend mag die Nacht zum Tag, den Tag zur Nacht vielleicht ohne auffällige Nachteile machen. Mit zunehmendem Alter, erwächst die Erfahrung, daß jene naturgemäße Ordnung sich nicht so leicht durchbrechen läßt, sowie, daß, wenn sie durchbrochen wird, nachteilige Folgen namentlich auch für einen heilsamen Schlaf unausbleiblich sind.

Aus diesen Betrachtungen erhellt, daß nur durch naturgemäße Mittel eine nach geistiger Berufsthätigkeit eintretende Ermüdung wirksam und ohne Gesundheitsschädigung beglichen werden kann. Der geistige Arbeiter hat sich vor allem jedes Reizmittels zu enthalten, das dazu dienen soll, die verlorene Spannkraft oder die erschütterte Gemütsruhe wieder herzustellen. Alle Reizmittel, so mannigfach sie auch sonst wirken mögen, stimmen darin überein, daß sie das Nervensystem befähigen, mehr zu leisten, beziehungsweise zu erdulden, als die gewöhnliche Lebensweise zu leisten vermag. Der Kulturmensch hat es verstanden, sich eine Menge von Stoffen für den Genuß dienstbar zu machen, Lebensreize, welche, am rechten Ort, zu rechter Zeit und in richtigem Maße verwendet, manches Gute äußern, aber bei unzeitiger und unmäßiger Anwendung nur zu leicht die nachteiligsten Wirkungen hervorbringen. Beim geistigen Arbeiter finden in zweifacher Weise derartige Reizmittel eine Verwendung, als Arbeitsmittel und als Schlafmittel. Da jedoch die durch den Genuß derselben, in welcher Form sie auch gebraucht werden mögen, bewirkte Erregung immer kürzer anhält, je fortgesetzter der Gebrauch ist, und da die zunehmende Erschöpfung des Nervensystems immer stärkerer Reizmittel bedarf, so werden durch deren gewohnheitsmäßigen Genuß leicht die verderblichsten Folgen für Körper und Geist hervorgerufen. Dies gilt vor allem von dem Alkohol und gewissen Betäubungsmitteln. Wer nach anstrengender Geistesarbeit den Gedankenfluß stocken, das Urteil ermatten fühlt, sollte daraus entnehmen, daß er die Zinsen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0299.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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