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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0308.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Das Frühlingsfest in Ermatingen. (Zu den Bildern S. 305 und S. 308.) Wie im Sechse-Läuten zu Zürich, so hat sich auch am Bodensee in Ermatingens „Groppenfasnacht“, die alljährlich am Lätaresonntag gefeiert wird, der deutlich erkennbare Rest eines altgermanischen Frühlingsfestes erhalten. Wohl brennen auch in der übrigen Seegegend am sogenannten Funkensonntag die den Lenz begrüßenden Freudenfeuer, aber eine größere Festlichkeit, wie die heute von uns geschilderte, hat sich am Bodensee nur hier behauptet. Der lieblich am idyllischen Gestade des Untersees, dem lachenden Eiland der Reichenau gegenüber gelegene Marktflecken Ermatingen ist durch die Napoleonischen Erinnerungen seines Schlosses Arenenberg weit bekannt. Doch nicht nur das historische Interesse und die Schönheit seiner landschaftlichen Lage, die es jährlich Hunderte von Städtern zum Sommeraufenthalt wählen läßt, bedingen Ermatingens Bedeutung: es bildet zugleich in der ganzen Unterseegegend den Hauptplatz des Fischfangs und Fischhandels. Und eben diese Fischer – wie überall ein zähes und an alten Sitten hängendes Volk, das ausschließlich den unteren, „Staad“ genannten und am Wasser gelegenen Teil des Ortes bewohnt – sind es, welche die Feier der „Groppenfasnacht“, die erst allmählich Gemeingut des ganzen Marktes wurde, bis auf die Gegenwart aufrecht erhalten haben.

Noch heute spricht der Anwohner des Bodensees nicht von einer Fastnacht, sondern von einer Fasenacht und bekundet damit das hohe Alter der ursprünglich heidnischen Feier, die ihren Namen vom altdeutschen faseln, d. h. närrische Reden führen, ableitete. Was die Bezeichnung Groppenfasnacht betrifft, so hängt diese aufs engste mit dem Fischfang zusammen. Die Groppen sind eine Art kleiner, gefräßiger Raubfische, die, in dem moosigen Grund des seichten Untersees wohnend, nur hier bei Ermatingen zur Frühlingszeit gefangen werden. Das große Schleppnetz der Ermatinger liefert oft auf einen Zug eine Beute von 20000 Stück dieser schmackhaften Seebewohner, die lebend bis zu ihrem Ehrentage aufgespart werden, um dann, mit Salz bestreut und in Pfannen gebraten, als seltene Delikatesse verspeist zu werden. Daß dies Fischervolk an den Groppenfang seine Frühlingsfeier knüpfte, ist durchaus natürlich. Da der wenig tiefe Untersee fast jeden Winter zufriert und dadurch den Fischfang auf das geringste Maß beschränkt, so begrüßen die Fischer mit dem Fang der Groppen noch heute den Wiedereinzug des Lenzes, der ihre eigentliche Erwerbsquelle aufs neue erschließt. In dem maskierten Umzug, der gewöhnlich den Mittelpunkt des Festes bildet, spielt daher der Groppenkönig immer die Hauptrolle. Dieser, in Gestalt einer mächtigen Groppe, wurde auch bei dem diesjährigen Festzug wieder auf einem von Zwergen und Kobolden gezogenen Wagen durch die Hauptstraßen des Ortes geführt, eine Gruppe, die der Maler unseres anschaulichen und lebendigen Bildes auf Seite 305, in den Mittelpunkt seiner Darstellung gerückt hat. Im Gegensatz zu dieser Figur, die den Frühling sinnbildlich darstellt, ward früher auch der überwundene Winter durch eine Strohpuppe symbolisiert, welche bei Ankunft des Zuges am Ufer unter allgemeinem Jubel in den See geworfen wurde.

Die Hinrichtungsscene beim Frühlingsfest in Ermatingen.

Diesmal war an die Stelle des kalten Unholds ein prosaischer Räuberhauptmann getreten, der mit seiner Bande in die Häuser drang und wie der wirkliche Winter den Leuten allerlei Schabernack spielte. Seinem Charakter entsprechend endete er, nicht wie der Winter bei der Züricher Frühlingsfeier in lodernden Flammen, sondern am Galgen. Bei der dem Charakter eines Mummenschanzes entsprechenden humoristischen Färbung der Scene, die unser obenstehendes Bild wiedergiebt, fehlte auf dem am See errichteten Schafott natürlich auch der rote Seewein nicht, ohne den es die Thurgauer einmal nicht thun und der den Richtern bei ihrer schweren Arbeit sichtlich mundete. Der Ertrag des Herbstes ist überhaupt jeweilig maßgebend für den Umfang der Feier, und in diesem Jahre, dem die Reben am Untersee einen reichlichen und süßen Tropfen lieferten, hatte man keine Kosten gespart, den Umzug glänzend zu gestalten. Während im Jahre 1894 der Festzug in zahlreichen historischen Gruppen die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte von Ermatingen darstellte, spielte heuer wieder die politische Satire eine Rolle und waren die Italiener wie König Menelik von Abessinien mit seinen schwarzen Scharen in prächtigen Reitergestalten vertreten. Wie gewöhnlich hatte das in der ganzen Thurgauischen Seegegend beliebteste Volksfest Tausende von Zuschauern aus nah’ und fern herbeigezogen, die erst am späten Abend mit Extrazügen und Dampfern, oder zu Fuß über den waldigen Seerücken wieder in ihre Heimat pilgerten. Franz Wichmann.     

Schloß Mespelbrunn im Spessart. (Zu dem Bilde S. 293.) Wie es in der natürlichen Beschaffenheit eines großen Waldgebirges begründet liegt, gehört der Spessart zu den geschichtsarmen Gegenden des deutschen Vaterlandes. Wo noch heute die Ansiedlungen der Menschen sich beschränken auf größere oder kleinere Lichtungen, die im Lauf der Jahrtausende den dichten Waldbeständen abgerungen wurden, wo noch heute die Axt des Holzhauers das vornehmste Werkzeug ist, mit dem sich der Mensch sein täglich Brot verdient, da kann die städteliebende Kultur keine Geschichte gehabt haben. Und ebenso haben die politischen Bewegungen der Völkerwelt Halt gemacht vor dem Walle dieser endlosen Buchen- und Eichenwälder, die sich nördlich vom Main in dem offenen Viereck zwischen Gemünden, Wertheim, Miltenberg und Aschaffenburg ausdehnen. Nur hier und da einmal wurde auch der Spessart berührt von Krieg und Kampf, nur hier und da einmal tosten in der feierlichen Stille seiner Laubhallen Kampfgewühl und Waffenlärm. Dafür haben ihn Sage und Dichtung gern zum Schauplatz ihrer Träume gemacht. Im Nibelungenlied ziehen die Helden zur Jagd in seinen Revieren. Simplicius Simplicissimus erhielt vom Dichter auf einem Bauernhofe im Spessart die Stätte seiner Geburt und seiner Jugend angewiesen, und wer hätte nicht in seinen jungen Jahren „Das Wirtshaus im Spessart“ von Hauff gelesen und mit dem Goldschmied ein geheimes Grausen gespürt vor dem großen finstern Wald, in dem noch Räuber und Mörder ihr Wesen treiben sollten! Der Spessart ist – verglichen mit dem Harz, dem Thüringer Wald, oder auch der benachbarten Rhön – noch wenig erschlossen, erst neuerdings ist es dem Spessartklub gelungen, die Aufmerksamkeit der Reisenden in höherem Maße auf die Schönheiten des Gebirges zu lenken, das im Geiersberg seine höchste Erhebung hat. Zugänglich ist der Spessart am bequemsten von Aschaffenburg oder Klingenberg aus. Sein Reichtum an Wild ist auch heute noch infolge sorgfältiger Hege sehr groß. Der jagdliebende Prinzregent von Bayern hat sich denn auch mitten im Spessart, in Rohrbrunn, ein villenartiges Schlößchen gebaut und kommt in jedem Herbst mit seinen Jagdgenossen, um dem Weidwerk hier obzuliegen. Ein Ausflug nach Rohrbrunn ist auch für den Naturfreund eine lohnende Tour.

Romantischer noch ist Schloß Mespelbrunn im westlichen Spessart gelegen. Als vor einem Dutzend Jahren die Universität Würzburg ihr dreihundertjähriges Bestehen festlich beging, wurde der Name des sonst wenig genannten Schlosses in weiteren Kreisen bekannt; denn dasselbe ist der Stammsitz jenes Fürstbischofs Julius Echter von Mespelbrunn, dem die Stiftung der fränkischen Hochschule zu danken ist. Weltentlegen, in einem engen Waldthal, ohne jeden sichtbaren Bezng zu den Erinnerungen, welche der Name weckt, tritt dem Wanderer das malerische alte Schloß aus seiner waldigen Umgebung entgegen. Türme und Zinnen spiegeln sich im klaren Wasser eines ihm vorgelagerten Forellenteichs. Stimmungsvoll schmiegt sich die ganze Umgebung zum Bilde: das epheunmsponnene Häuschen links vom Schloß, in welchem man gastliche Aufnahme findet, der grüne Wiesengrund, der sich thalabwärts zieht, und auch die Brunnenfigur des Landsknechts, die im Schloßhof Wache hält. Die Weihe tiefsten Friedens ruht über dem Schlosse, dessen Inneres besichtigt werden kann und durch seine altertümliche Ausstattung anspricht. G. Z.     


Kleiner Briefkasten.
(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

Lesekränzchen in Hannover. Die Vermutung, die in Ihrem Kränzchen aufgestellt wurde, ist durchaus unzutreffend. Hans Arnold, dem die „Gartenlaube“ so viele lustige und anmutige Erzählungen verdankt, hat mit dem „Spiritisten“ Hans Arnold nichts gemeinsam. Das hätten Sie sich eigentlich selber sagen können, daß in diesem Falle zwei verschiedene Personen zufällig denselben Namen tragen; denn in den packenden lebensfrohen Erzählungen unseres Hans Arnold finden sie doch nicht die geringste Spur spiritistisch-mystischer Anwandlungen.


Inhalt: Fata Morgana. Roman von E. Werner (17. Fortsetzung). S. 293. – Schloß Mespelbrunn im Spessart. Bild. S. 293. – Mit vereinter Kraft. Bild. S. 297. – Gesundheitliche Winke für Bureauarbeiter und Stubengelehrte. Von Dr. A. Kühner. S. 298. – Ein Jubeltag der deutschen Feuerwehr. Von W. Hoepfner. Mit Bildnis. S. 300. – „Dem Nächsten zur Wehr – Gott zur Ehr’!“ Bild. S. 301. – Teckel auf Reisen. Eine Hundegeschichte von Hans Arnold (Schluß). S. 302. – Aufzug des Groppenkönigs beim Frühlingsfest in Ermatingen. Bild. S. 305. – Blätter und Blüten: Das Jubiläum der Steindruckerei. S. 307. – Mit vereinter Kraft S. 307. (Zu dem Bilde S. 297.) – Das Frühlingsfest in Ermatingen. Von Franz Wichmann. S. 308. (Zu den Bildern S. 305 und 308.) – Schloß Mespelbrunn im Spessart. S. 308. (Zu dem Bilde S. 293.) – Kleiner Briefkasten. S. 308.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.0 Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0308.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2023)
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