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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0315.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

unsteten Leben; daß der Strudel mich immer mehr ergriff und mich hinabzuziehen drohte. Vielleicht wäre ich zu Grunde gegangen darin, da führte mir das Schicksal Lothar entgegen. Er reichte mir die Hand, er entriß mich jenem Leben und stellte mich an seine Seite. In den ersten Jahren ist er mir Freund, Vater, Lehrer – ist er mir alles gewesen. Was ich geworden bin, was ich erreicht und errungen habe – ich danke es ihm allein!“

Es sprach eine leidenschaftliche Empfindung aus den Worten und sie hatten den Ton der vollen echten Wahrheit, aber die Stirn Reinharts war so finster dabei, und es war ein seltsam düsterer Blick, mit dem er die junge Gattin seines Freundes streifte. Er erhob sich und trat dicht an ihre Seite.

„Und Sie sind jetzt sein Weib!“ sagte er mit einer Stimme, deren Beben er doch nicht ganz zu beherrschen vermochte. „Machen Sie ihn glücklich. Er verdient es und er liebt Sie über alles!“

„Ich weiß es –“ Elsa verstummte mitten in der Antwort, sie begegnete wieder jenem rätselvollen Blick, der den ihrigen wie mit geheimnisvoll zwingender Gewalt festzuhalten schien, unter dem sie zuerst erwacht war aus dem langen Traum. Ihr Gatte wußte es freilich nicht, wann dies Erwachen gekommen war – damals auf der einsamen Hochgebirgsmatte, als ringsum das graue Nebelmeer wogte, aus dem dann die sonnig leuchtende Welt emporstieg, als die Fata Morgana aufdämmerte, das Märchenreich, mit der Verheißung von dem großen, dem grenzenlosen Glück.

„Elsa!“ tönte plötzlich eine scharfe, heisere Stimme. Die junge Frau zuckte zusammen und Reinhart richtete sich mit einer jähen Bewegung auf. Der schrille Klang kam aus dem Zimmer Helmreichs, das im Erdgeschoß lag. Man hatte seinen Lehnstuhl dicht an das offene Fenster gerollt, um ihm den Genuß der milden Sommerluft und den Einblick in den Garten zu ermöglichen. Dort saß er jetzt und blickte unverwandt zu den beiden unter der Tanne hinüber. „Elsa!“ rief er noch einmal, beinahe drohend.

„Verzeihen Sie, der Großvater ruft mich – ich muß zu ihm,“ sagte Elsa gepreßt und hastig, und mit derselben Hast eilte sie dem Hause zu. Ehrwald preßte die geballte Hand gegen die Schläfe und es klang fast wie ein Stöhnen, als er murmelte: „Und das soll ich noch vier Wochen aushalten. Tag für Tag! Ich bin bald zu Ende mit meiner Kraft und dazu Lothars Ahnungslosigkeit – es ist zum Wahnsinnigwerden!“

Nach einigen Minuten wandte er sich gleichfalls dem Hause zu, er wollte sich sofort von Lothar verabschieden, gleichviel unter welchem Vorwande, aber für heute wenigstens mußte die Folter ein Ende nehmen. Ehrwald hatte den Professor nicht allzuhäufig gesehen, aber er war doch bekannt genug mit ihm, um sich den Eintritt in sein Zimmer zu erlauben, wenn Sonneck dort war. Er schritt rasch über die Terrasse in den Hausflur und wollte die nur angelehnte Thür öffnen, als sein eigener Name, im scharfen hohnvollen Tone ausgesprochen, an sein Ohr schlug. Betroffen blieb er stehen, Elsa schien allein zu sein mit dem Großvater und dieser sprach von ihm. So wenig es sonst Reinharts Art war, zu lauschen, hier fing er doch etwas von dem Gespräche auf und es ging ihn nahe genug an. –

(Fortsetzung folgt.)


Aus dem Arsenal der Tierwelt.

Wenn ein schlecht erzogenes Kind sich einer ihm mißliebigen Person oder eines Gegners durch Spucken zu entledigen sucht, so greift es damit zu einem natürlichen Verteidigungsmittel, dessen sich auch manche Tiere bedienen. Allbekannt ist ja diese Gewohnheit von den Lamas. „Sie lassen,“ sagt Brehm, „den Gegner dicht an sich herankommen, legen die Ohren zurück, nehmen einen sehr ärgerlichen Ausdruck an und speien ihm plötzlich mit Heftigkeit ihren Speichel und die gerade im Munde befindlichen oder ausdrücklich zu diesem Behufe heraufgewürgten Kräuter ins Gesicht.“ Auch bei niederen Tieren, bei den Insekten, wird die Sitte des Anspuckens geübt. Einen geradezu giftigen Geifer schleudern einem manche Laufkäfer oft aus weiter Entfernung entgegen; dieser Saft soll wiederholt heftige Augenentzündungen hervorgerufen haben. In anderen Fällen erfolgt die Ausscheidung eines ätzenden Saftes zur Abwehr von Feinden nicht am vorderen, sondern am hinteren Teile des Körpers. Am vollkommensten ist diese Eigenschaft unter den höheren Tieren beim Stinktier (Mephitis) entwickelt, das dem Angreifer nicht das Kopf- sondern das Schwanzende zukehrt, um ihn mit jener entsetzlichen Flüssigkeit zu bespritzen, gegen die alle Pestgerüche der Welt Nichtigkeiten sein sollen. Unter den Insekten zeigt der Bombardierkäfer (Brachinus) die Erscheinung wohl am auffallendsten. Nimmt man einen solchen Käfer zwischen die Finger, so läßt er mehrmals hintereinander einen blauen, übelriechenden Dunst unter schwachem Knall aus der Hinterleibsspitze entweichen. Wenn ihn der sogenannte Puppenräuber (Calosoma) verfolgt, so eröffnet er auf diesen ein Schnellfeuer, unter dessen Schutze er zu entkommen sucht. Recht wirkungsvoll ist auch die schmierige Flüssigkeit, welche die wegen ihrer schön goldgrünen Flügeldecken allbekannten großen Rosenkäfer (Cetonia), freilich ohne Explosion, aus dem Hinterleibe abscheiden. Wir könnten noch mehrere Beispiele, auch aus anderen Insektenordnungen, hinzufügen, ohne nur der eigentlichen Giftabsonderungen bei den Bienen, Wespen und Ameisen zu gedenken.

Ein „ganz besonderer Saft“ aber, der dem von Mephistopheles gerühmten durchaus entspricht, soll hier noch etwas eingehender behandelt werden.

Jeder weiß, daß ein Marienkäferchen (Coccinella), wenn man es mit der Hand berührt, sich „tot stellt“; es legt die Fühler und Beine unter dem Bauche zusammen, läßt sich auf die Erde fallen und bewahrt kürzere oder längere Zeit eine vollständige Unbeweglichkeit, die geeignet ist, die Feinde, welche nur an eine bewegliche Beute gehen, wie Eidechsen, Frösche etc., irre zu führen. Die gleiche „Kriegslist“ üben ja auch viele andere Insekten; die Gelehrten, welche eine zielbewußte Thätigkeit in diesem Verhalten nicht anerkennen wollen, sind der Ansicht, daß es sich dabei um einen Starrkrampf oder um Hypnose handle. Doch dies nur nebenbei. Das Marienkäferchen hat mit dem „Sichtotstellen“ noch nicht alle ihm zu Gebote stehenden Schutzmaßregeln erschöpft. In dem Augenblick, wo es auf den Boden rollt, sieht man aus seinen Kniegelenken große Tropfen einer etwas zähen, gelb oder rot gefärbten Flüssigkeit austreten. Auch diese Eigenschaft ist allgemein bekannt, aber über die Natur und die Rolle der Ausscheidung herrscht unter den Entomologen keineswegs Uebereinstimmung, obwohl der ausgezeichnete Erforscher des Baues der niederen Tiere, Prof. Leydig, bereits 1859 das Richtige erkannt hatte.

Er zeigte nämlich, daß der aus dem Kniegelenk der Marienkäfer austretende Saft nicht die Ausscheidung einer Drüse, sondern die unveränderte Blutflüssigkeit des Tieres sei, und er wies weiter nach, daß dieselbe Eigenschaft des „Blutschwitzens“ noch einigen ändern Käfern zukommt, namentlich dem sehr bekannten „Maiwurm“ oder Oelkäfer (Meloë), der früher als Heilmittel gegen Gicht, Tollwut, Wassersucht etc. eine große Rolle spielte. Bedenkt man, welch kostbarer Saft das Blut ist, so muß die willkürliche Ausscheidung von verhältnismäßig großen Mengen dieser Lebensflüssigkeit höchst auffallend erscheinen, und es kann darum nicht wunder nehmen, daß die Ansicht Leydigs vielfach angezweifelt wurde. Noch in neuester Zeit haben italienische und französische Gelehrte behauptet, daß jene Ausscheidungen durch Drüsen, die unter der Haut lägen, ausgesondert würden. Die Frage ist daher neuerdings von einem anderen französischen Forscher, L. Cuénot, von neuem geprüft worden, und diese Untersuchungen, deren Ergebnis der Pariser Akademie vorgelegt wurde, haben die vollständige Richtigkeit der Leydigschen Angaben erwiesen. Es handelt sich bei den fraglichen Ausscheidungen in der Tat um echtes Blut, wie man es auch bei Durchschneidung eines Flügels oder eines Fühlers oder durch einen Stich in den Leib des Tieres erhält. Bringt man einen der gelben Tropfen unter das Mikroskop und betrachtet ihn bei starker Vergrößerung, so erkennt man in der Flüssigkeit sogleich die zahlreichen Blutkörperchen, und der Anblick ist in nichts von dem verschieden, den ein Blutstropfen aus dem übrigen Körper darbietet.

Cuénot konnte ebensowenig wie Leydig eine vorgebildete Oeffnung entdecken, aus der das Blut austritt; nach seiner Angabe reißt in dem Augenblicke, wo sich das Tier „tot stellt“, die Haut an einem Punkte geringeren Widerstandes unter dem Drucke der Blutflüssigkeit auf, um sich nach dem Heraustreten des Tropfens, vielleicht infolge von Bildung eines Klümpchens von Blutfaserstoff (Fibrin), wieder zu schließen. Bei gewissen Blattkäfern, wie den Timarchen, tritt das Blut nicht aus den Kniegelenken, sondern aus dem Munde aus.

Daß diese Blutabgabe in der That ein wirksames Schutzmittel darstellt, zeigte Cuénot durch den Versuch, indem er einige dieser Käfer zugleich mit ein paar grauen und grünen, sehr lebhaften Eidechsen, in ein Gefäß brachte; eines der Reptilien griff einen Käfer an und nahm ihn ins Maul; aber dieser ließ sogleich einen großen Blutstropfen aus der Mundgegend austreten, worauf ihn die Eidechse rasch wieder ausspie und sich durch Reiben des Maules gegen den Erdboden von der Flüssigkeit zu befreien suchte. Wenn die Käfer aber, was bei einzelnen schlecht veranlagten Individuen vorkommen soll, kein Blut ausscheiden, so fallen sie ohne Gnade den Eidechsen oder Fröschen zur Beute. Die Marienkäfer werden von Eidechsen und Froschlurchen, die sie aus Unachtsamkeit verschlucken, immer wieder ausgespieen. Die fleischfressenden Insekten, z. B. Laufkäfer, greifen, wenn sie auch noch so ausgehungert sind, niemals Marienkäfer, Maiwürmer oder Timarchen an.

Der Stoff, dem das Blut dieser Insekten seine schützenden Eigenschaften verdankt, ist nicht bei allen derselbe. Das Blut der Marienkäfer hat einen ziemlich starken und sehr unangenehmen Geruch, der übrigens auch dem ganzen Tiere anhaftet. Dasjenige der Timarchen ist geruchlos, besitzt aber einen zusammenziehenden, sehr nachhaltig wirkenden Geschmack; nach den Untersuchungen von de Bono an Timarche promelioides enthält es einen giftigen Stoff, der imstande ist, Fliegen in wenigen Minuten zu vergiften und sogar Meerschweinchen, Hunde und Frösche durch Herzlähmung rasch zu töten. Das Blut des Maiwurms endlich schließt eine große Menge Cantharidin ein, jenes Stoffes, auf dessen Anwesenheit die blasenziehende Wirkung der mit dem Maiwurm nahe verwandten spanischen „Fliege“ (Lytta vesicatoria) beruht. F. M.     


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0315.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)
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