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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0330.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


„Ich bin heute morgen von dort abgereist und es hat Mühe genug gekostet, mich jetzt schon frei zu machen, aber“ – er brach plötzlich ab und setzte rasch hinzu: „Hast Du Zenaide hierher begleitet?“

„Allerdings. Du weißt es, daß sie hier ist?“

„Ich kam auf ihren Ruf, sie schrieb mir vor einigen Tagen.“

„Um Gotteswillen, welche neue Unvorsichtigkeit!“ rief Lothar erschrocken. „Will sie denn Marwood immer mehr Waffen gegen sich in die Hand geben? Du warst der letzte, an den sie sich wenden durfte, und Du hättest auch nicht kommen dürfen, Reinhart, unter keiner Bedingung!“

Statt aller Antwort zog Reinhart seine Brieftasche hervor und entnahm ihr einen Brief, den er seinem Freunde hinreichte.

„Lies! Und dann sage mir, ob ich da ausweichen oder mit einer Weigerung antworten konnte.“

Sonneck durchflog den Brief und gab ihn dann mit einem Seufzer zurück. „Also deshalb wollte sie anfangs meine Begleitung nicht annehmen, ich mußte sie ihr förmlich aufdrängen! Der Brief klingt allerdings verzweiflungsvoll. Sie ruft Dich, ihren ‚einzigen Freund‘, zu Hilfe? Ich bin es ihr nicht mehr, seit ich mich den Unmöglichkeiten widersetzte, die sie versuchen wollte. Ist Dir bekannt, was sie von Dir fordern wird?“

„Ich errate es nur zu gut, denn sie machte mir schon damals Andeutungen, als ich mich von ihr verabschiedete. Sie will sich um jeden Preis in den Besitz ihres Kindes setzen, es nötigenfalls entführen –“

„Wozu Du doch nimmermehr die Hand bieten wirst?“ fiel Sonneck heftig ein.

„Nein, denn die Folgen würden mit ihrer ganzen Schwere auf Zenaide selbst zurückfallen. Ihr Gemahl hat ja das Gesetz zur Seite und wird es schonungslos brauchen. – Der abenteuerliche Plan konnte nur in dem Kopfe einer Frau entstehen, die fast bis zum Wahnsinn gebracht ist, und das ist Marwoods Werk! Ihr sogar den Anblick des Kindes zu versagen – es ist eine schändliche Grausamkeit!“

„Ich fürchte, es ist eine planmäßige Berechnung. Er will sie zu einem Gewaltschritte treiben, der sie ihm gegenüber in das vollste Unrecht setzt, um dann seinerseits die Bedingungen der Scheidung zu diktiren und sich seinen Sohn zu sichern. Und er wird seinen Zweck erreichen! Schon Deine Nähe kann da ausgebeutet werden; Du weißt es ja, was für Klatschereien über Dich und Zenaide im Umlauf sind.“

„Ja, ich weiß es,“ sagte Ehrwald einsilbig.

Sonnecks Blick ruhte auf ihm, mit einem geheimen, angstvollen Forschen; er hätte alles darum gegeben, wenn Reinhart sich jetzt das Geständnis seiner Liebe zu Zenaide hätte entreißen lassen und ihm die Gewißheit gegeben hätte, daß jene letzten Worte Helmreichs nur eine aberwitzige Einbildung gewesen seien; aber Reinharts Züge blieben unbewegt, es ließ sich nichts darin lesen.

„Es ist nur ein Glück, daß ich hier bin mit Elsa,“ hob Lothar wieder an, er sprach den Namen ganz unvermittelt aus.

„So? Deine Frau hat Dich begleitet?“ fragte Reinhart kühl.

„Ja, und unser Hiersein kann wenigstens den Vorwand für Dein Erscheinen hier geben. Du hast natürlich uns aufgesucht, und wir haben gemeinschaftlich dies Zusammentreffen verabredet! Uebrigens müssen die nächsten Stunden schon irgend eine Entscheidung bringen, denn Zenaide ist trotz aller Abmahnungen nach Malsburg gefahren und man kann sie doch nicht von der Schwelle weisen. – Doch jetzt komm, Reinhart, wir müssen daran denken, Dir ein Zimmer zu sichern, das Hotel ist sehr besetzt.“

Sie schritten dem Hause zu, ernst und schweigend, von der hellen Freude, mit der sie sonst beide jedes Wiedersehen begrüßten, war keine Spur mehr geblieben. Ehrwald ahnte ja nichts von jenem unseligen Argwohn, der in die Seele seines Freundes geworfen war und nun verzehrend fortglimmte; aber es lag zwischen ihnen wie ein kalter Schatten. –000

(Fortsetzung folgt.)




Im Wandel der Zeiten.

Von F. G. Ad. Weiß.

Es ist eine stimmungsvolle Wildnis. Entlang dem vielzerrissenen Ufer eines träge dahinfließenden breiten Gewässers, an dessen Saume hohes Schilf seine grünen Fähnchen im Lufthauche beben läßt, zieht sich im majestätischen Gründüster ein Urwald. Nur spärlich rinnen gleich Goldtropfen einzelne Sonnenstrahlen durch die ein einziges riesiges Gewölbe bildenden Wipfel in das Gewirr der Farrenwedel und saftigen Staudengewächse. Um tote Baumriesen, die der Sturm niedergebrochen hat und über die das Moos seine verfilzte Decke zieht, prangen blaue Glockenblumen auf schwanken Stengeln und duften die weißen Blütensterne der Erdbeere. Die Hochfluten haben tiefe Schluchten weit hinein in den Wald gerissen. Schwarze Wassertümpel, an deren Ufer es in allen Farben blüht, erfüllen die tiefsten Stellen. Auf dem Rande dieser Schluchten im feuchten, geheimnisvollen Dunkel breiten sich seltsam gestaltete Eibenbüsche, welche schwarzgrün schimmernde Aeste gleich Armen nach allen Seiten hin strecken. Allerlei Vogellaute erfüllen die Waldeinsamkeit mit Leben. Zuweilen knistert’s im Unterholz. Ein Reh äugt durch das Gesträuch, ein Hirsch zeigt sein stolzes Geweih, ein Eber wühlt grunzend im Moose nach Eicheln.

Auch drüben über dem Gewässer tritt Laubwald hart ans Ufer, so daß der Fluß, wenn ihn nicht die rotgoldnen Lichter der Morgensonne und die Purpurgluten der Abendsonne küssen, in tiefgrünem Dämmerlicht hinfließt, aus dem die mitten im Wasser auf breiten Blättern schaukelnden gelben Nixblumen träumerisch emporblicken.

Wir verfolgen das einsame Gewässer aufwärts. Da zeigt es sich, daß der Wald des anderen Ufers nur einen schmalen Werder bedeckt, der von den Nebenarmen eines großen Stromes umspült wird. Bei einer Windung des Ufers taucht er auf in seiner ganzen, im Sonnenschein glitzernden und funkelnden majestätischen Breite, der waldgesäumte Oderstrom.

Gleichzeitig grüßt von einer zweiten ihm vorliegenden Insel endlich eine menschliche Ansiedelung. Dicht am Ufer im Schatten von Holzapfelbäumen steht eine Reihe armseliger mit Schilfrohr gedeckter Lehmhütten. Nur flache, spärliche Furchen zeigen Spuren einer kümmerlichen Bebauung des Bodens. Aber aufgespannte Netze und aufgehängte Angelschnüre und im Uferschilf schaukelnde Einbäume verraten den eigentlichen Beruf dieser Anwohner. Es sind schwarzäugige, dunkelhaarige, sehnige Gestalten von slavischem Stamm. Kunstlos ist ihre aus Fellen hergestellte Bekleidung, scheu ihr Wesen. Sie kennen noch keine Oberherren. Auf geweihten Waldwiesen opfern sie dem lichten Belibog und dem bösen Cernibog. Sie wissen nicht mehr, wann ihre Vorväter in diese Einöde kamen, und noch namenlos ist ihre Heimstätte.




Es sind Jahrhunderte dahingegangen. Anno 1100. Das Uferwaldbild hat sich verändert. Zwar wiegen sich die Goldkelche der Nixblumen noch immer im kosenden Hauche und fröhliches Vogelgezwitscher schallt aus dem Walde des Werders. Aber diesseits am rechten Ufer des Stromgebietes haben Ansiedler den Urwald ausgerodet und einen Damm gegen die Hochfluten aufgeworfen. Wo ehemals stille Lagunen tief in den Wald reichten und moosbärtige Baumgreise ihre Wurzelstöcke ausspreiteten, zeigt sich eine Reihe rohrgedeckter Lehm- und Holzhütten im Schatten dunkelbelaubter Apfelbäume. Auf den Feldern dahinter gedeiht goldne Gerste, grauer Roggen und blaßrötliches Heidekorn. Wo einst das Geheimnis des Urwaldes herrschte, regt sich und bewegt sich, schafft und klopft, plaudert und lacht warmblütiges Menschenleben. Freilich macht sich im grellen Sonnenschein der ganze ungewaschene und ungekämmte Naturalismus des altslavischen Dorfes breit, in dessen Staube nackte Kinder jauchzend im Spiele sich mit den Ferkeln wälzen. Aber ein Hauch von Kultur ist doch schon über das Völkchen hingegangen.

Am obern Ende des Dorfes leuchtet inmitten eines von Weißdorn umhegten Friedhofes, vor welchem ein kunstloses Cruzifix steht, eine weißgetünchte Kapelle mit spitzem roten Dache … Aber bei alt und jung steht es doch fest, daß der böse Cernibog zuweilen nachts auf pechschwarzem Rosse durch die Fluren jagt, besonders im Winter, wo man die Hütten verrammeln muß, weil die Wölfe in ganzen Rudeln heulend das Dorf belagern, so daß vor Angst die Kinder weinen und das Rindvieh brüllt.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 330. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0330.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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