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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0334.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

es mit der Ausbildung seiner Lehrlinge ernst nimmt, der sie nicht als Hausknechte oder männliche Kindermägde betrachtet. Zum Glück für unser deutsches Handwerk giebt es in jeder Stadt noch solche Meister, und wir haben auf absehbare Zeit noch nicht nötig, an den traurigen Behelf zu denken, den z. B. in Amerika die bittere Not gezeitigt hat, sogenannte Lehrlingswerkstätten, Drillanstalten für das Handwerk, aus Staatsmitteln einzurichten. Gleichzeitig mit dem Beginn der Lehre tritt der Knabe in eine „Fortbildungsschule“ ein, in welcher er in den Abendstunden oder zu anderer Zeit, welche der Meister nach Vereinbarung dazu frei giebt, Zeichnen, Modellieren, vielleicht auch kaufmännisches Rechnen u. dergl. lernt. Solcher Anstalten bestehen in Deutschland unzählige, so daß selbst in den kleinsten Städten der Handwerkslehrling die Gelegenheit zur Ausbildung findet.

Hat der Junge seine drei- oder vierjährige Lehrzeit bestanden, so besitzt er das feste Fundament für sein Leben, auf dem er weiter bauen kann: entweder ein bescheiden Haus, wenn seine Handgeschicklichkeit, sein Formentalent beschränkt waren und ihm keinen höheren Flug gestatten – oder einen Prachtbau, wenn wirklich etwas vom Künstler in ihm steckt, was sich während der Lehre und namentlich während des Schulbesuchs deutlich genug gezeigt haben wird. Im letzteren Falle beginnt für den jungen Mann, der jetzt etwa im siebzehnten oder achtzehnten Jahre steht, die eigentliche kunstgewerbliche Ausbildung: statt als Gehilfe in ein Geschäft einzutreten, besucht er die entsprechende Fachklasse einer Kunstgewerbeschule, in welcher er während des ganzen Tages in seinem speziellen Berufe arbeitet, d. h. die Aufgaben, welche ihm in der Praxis gestellt werden, unter der Leitung künstlerischer Kräfte mit allem Wie und Warum lösen lernt. Ein theoretischer Unterricht, der ihn mit den Merkmalen der Stilarten und anderen notwendigen Hilfswissenschaften vertraut macht, also seine allgemeine Bildung höher hebt, pflegt nebenher zu gehen. Derartige kunstgewerbliche Fachschulen mit Einzelklassen für Maler, Bildhauer, Holzschnitzer, Ciseleure, Gold- und Silberschmiede, sowie für die tektonischen Fächer (Schreiner, Schlosser, Steinmetzen, Töpfer etc.) bestehen ebenfalls in Deutschland in großer Zahl. Wo sie nicht als selbständige Kunstgewerbeschulen organisiert sind, wurden sie wohl mit den städtischen Handwerkerschulen als kunstgewerbliche Tagesklassen verbunden, wie in Köln, Hannover, Magdeburg u. s. w.

Die durchschnittliche Lehrzeit in diesen Schulen beträgt drei Jahre – eine lange Zeit für einen jungen Mann aus bescheidenem Bürgerhause, um seine Füße noch unter Vaters Tisch zu strecken. Ohne Schwierigkeit wird wohl nur der gutgestellte Handwerksmeister seinen Sohn solange „studieren“ lassen. In den minder bemittelten Kreisen muß sich manch armer Bursche mit Hängen und Würgen durchbringen. Allerdings ist vom Staate und aus privaten Kreisen viel gethan, um durch Stipendien auch den ganz Armen die Bahn zum Höheren zu eröffnen.

„Die Kunstgewerbeschulen,“ sagt Julius Lessing,[1] „haben während der 25 Jahre ihres Bestehens ihre Schuldigkeit gethan, Handwerker sind wieder fähig geworden, künstlerisch zu empfinden und nach Entwürfen, Skizzen oder Angaben eines leitenden Architekten selbständig zu arbeiten. Aber nicht jeder besitzt die Fähigkeit, eine solche Skizze zur ausführbaren Werkzeichnung umzugestalten. Das sind eben nur die besten, welche eine eigentümliche Zwischenschicht zwischen Kunst und Handwerk bilden und die frühere Aufgabe des Architekten zum Teil selbständig übernehmen. Ein derartig ausgebildeter Zeichner bleibt zugleich ein praktischer Arbeiter, er kann in jedem Augenblick mit anfassen und kann als Werkführer die Arbeit eines jeden Gesellen aufs genaueste beurteilen und regeln. Anderseits weiß er dem Architekten gegenüber, der mit einer Aufgabe an ihn herantritt, bestimmt die Grenzen zu bezeichnen, in welchen sein Handwerk nach Material und Technik leistungsfähig ist.“

Ein junger Mann von zwanzig, einundzwanzig Jahren, der den vorstehend skizzierten normalen Weg gemacht hat, braucht für seine Zukunft keine weitere Sorge zu haben. Wohl werden, wie es überall vorkommt, in manchen Geschäftszweigen schlechte Konjunkturen eintreten können, die ihn vorübergehend hindern, das, was er gelernt hat, voll zu verwerten; besonders Holzschnitzer, Stuccateure, Ciseleure sind solchen Schwankungen ausgesetzt. Da er aber in seinem Geschäft „von der Pike auf gedient“ hat, so hindert ihn nichts, für die mageren Jahre als gewöhnlicher Arbeiter an die Werkbank zurückzukehren. Im allgemeinen aber nimmt die Nachfrage nach der von Lessing erwähnten „Zwischenschicht“ zwischen Architekten und Handwerkern, besonders nach fachlich geübten Zeichnern, immer mehr zu. Noch vor zwanzig Jahren mußte der Architekt für sämtliche Details der inneren und äußeren Dekoration seines Baues selbst die Zeichnungen anfertigen, um darauf von den submittierenden Handwerkern die Preise abgeben zu lassen. Heute hat sich überall der Brauch eingebürgert, daß der Kunsthandwerker, der Kunstschmied, der Dekorationsmaler, der Glasmaler etc. dem Architekten mit seiner Preisabgabe schön ausgeführte Zeichnungen seiner Arbeiten vorlegt, und beide Teile befinden sich wohl dabei. Daß die Anfertiger solcher Zeichnungen, welche sich in jedem größeren Geschäft in festen Stellungen befinden, nicht schlecht bezahlt werden, versteht sich von selbst.

Wie wir gesehen haben, war die praktische Erlernung eines Handwerks das Fundament, auf dem sich die kunstgewerbliche Ausbildung aufbaute. Sehen wir zu, welche Handwerke nun besonders geeignet sind, in kunstgewerblichem Sinne betrieben zu werden! Von den mit dem Bau zusammenhängenden sind es die Tischlerei, Schlosserei, Töpferei, Stuccaturarbeit, Dekorationsmalerei, Glaserei, Klempnerei, Tapezierarbeit. Von sonstigen Handwerkern ist es der Buchbinder, der Graveur, der Gold- und Silberschmied, der Ciseleur, der Posamentier, der Holz- und Elfenbeinschnitzer, der Porzellanmaler, der Lithograph, vielleicht auch der Konditor, die, wenn ihnen bei künstlerischer Anlage Gelegenheit zu der oben geschilderten Schulausbildung gegeben wird, ihr Geschäft als Kunstgewerbe betreiben und damit ihre Erwerbsfähigkeit auf eine wesentlich höhere Stufe bringen können. Eine besondere Stellung nehmen die Dessinateure für Stoff- und Tapetenmusterung und die allgemeinen „kunstgewerblichen Zeichner“ ein.

Das ist eine bunte Gesellschaft, aus welcher wir einige als Beispiel herausheben wollen, da uns der Raum gebricht, alle einzeln durchzunehmen. Zunächst können wir zwei Gruppen unterscheiden: die eine, deren Entwicklungsfähigkeit nach oben hin begrenzt ist, bei welcher es also darauf ankommt, die Aufgaben von vorwiegend handwerklichem Charakter mit besonderem Geschmack und Kunstverständnis zu lösen; die andere, die unmerklich in die sogenannte hohe Kunst überleitet. Zur ersteren gehören Tischler, Schlosser, Töpfer, Klempner, Buchbinder, Posamentiere, Porzellanmaler, Lithographen u. a. In dieser Gruppe von Arbeiten wird ein junger Mann, der sich in der oben dargestellten Art kunstgewerblich entwickelt hat, meist eine Verwertung seines Könnens als Zeichner finden. Beim Entwerfen eines reicher ausgestatteten Mobiliars, eines ornamental verzierten Eisengitters wird ihn die genaue Kenntnis des Materials und seiner Verarbeitung, die er sich früher als praktischer Arbeiter erworben hat, davor bewahren, Formen zu erfinden, deren Ausführung dem Charakter des Arbeitsstoffes widerstrebt, die daher schwierig und teuer sind. Eine ganze Anzahl der genannten Gewerbe ist heutzutage in Fabrikbetrieb übergegangen; so werden die Töpferarbeiten, welche Oefen und Wandkacheln zum Gegenstand haben, Posamenten, auch die gangbaren Möbel, die Arbeiten des Kunstdrucks, wie Tisch- und Gratulationskarten etc., wohl kaum noch in kleinem Einzelbetrieb, sondern in Fabriken mit durchgeführter Arbeitsteilung betrieben. Werkführer- und Zeichnerstellen in solchen Fabriken können daher auch entsprechend hoch, mit 2 bis 4000 Mark im Jahr, bezahlt werden. Auch die Buchbinderei ist für die von den Verlegern selbst besorgten Originalbände Gegenstand des Fabrikbetriebs geworden; der Erfinder der Einbanddecken pflegt der Graveur zu sein, während an die ausführenden Kräfte keine kunstgewerblichen Anforderungen gestellt werden. Daneben aber ist in den letzten Jahren die Klasse der „Bücherliebhaber“ wieder angewachsen, die Wert darauf legen, und hohe Preise dafür aufwenden, ihre Bücher mit der Hand binden und vergolden zu lassen. Dies ist ein recht dankbares Feld für den kunstgewerblich ausgebildeten Kleinmeister, der die kunstschönen Ledermosaiken und Handvergoldungen selbst entwirft und ausführt. Wenn man hört, daß renommierte Künstler dieser Art in Paris und London einen Einband mit 200 bis 500 Franken bezahlt bekommen – in Deutschland ist man allerdings an diese Liebhaberpreise noch nicht gewöhnt – so kann man wohl von dem „goldenen Boden“ des Handwerks sprechen. Eine Spezialschule für dieses Kunstgewerbe besteht bei uns in Gera, mit drei- bis viermonatigem Kurs für im übrigen fertig ausgebildete Buchbinder.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0334.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2022)
  1. Das Kunstgewerbe als Beruf. Berlin, L. Simion, 1891.
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