verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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vereinigt, diesmal unter der segensreichen Hand des 1871 verstorbenen Herzogs Leopold Friedrich von Dessau; somit wurde Dessau Residenz des ganzen Landes.
Seit jeher erfreut sich die Stadt des besten Rufes im deutschen Lande. Herrlich ist ihre Lage an der Mulde, unweit der Mündung des Flusses in die Elbe. Rings um sie ziehen sich dichte prachtvolle Wälder, lachen grüne Wiesen und zahlreiche Gärten, Baumalleen und Parkanlagen beschatten die breiten Straßen und die zahlreichen Plätze der Stadt, die von pensionierten Beamten und Ruhebedürftigen aus nah und fern gern zum Wohnsitz gewählt wird. Schon Goethe hat die Naturschönheiten Dessaus gerühmt und glücklich den Fürsten geschätzt, dem die Natur und die Götter es vergönnt haben, einen Sitz von träumerischer Schönheit zu schaffen. Die Stadt ist auch reich an geschichtlichen Erinnerungen; nach ihr wurde der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau der „Alte Dessauer“ genannt. Erst vor kurzem hat die „Gartenlaube“ das Grab des eigenartigen Soldatenfürsten, das von zwölf Grenadieren in Zinnguß umgeben ist und in der Schloßkirche zu St. Marien am alten Markt sich befindet, ihren Lesern in Bild und Wort vorgeführt. Früher (vergl. Jahrg. 1880, S. 51) ist in diesem Blatte die geschichtliche Entwicklung der Stadt und namentlich der Aufschwung, den sie unter dem Landesfürsten Franz genommen, ausführlich geschildert worden. Auch die Kunst blüht in ihren Mauern, dank der Freigebigkeit, mit welcher die Herzöge seit langen Jahren das Hoftheater und die berühmte herzogliche Kapelle unterstützen.
Das Schloß (vgl. die Abbildung S. 348) war anfangs wie das in Köthen anf einem von tiefen Gräben umgebenen Viereck erbaut, brannte aber 1467 nieder. Der älteste Teil ist der vom Eingang rechts liegende Flügel mit achtseitigem Treppenturm, dessen Aufgänge mit kunstvollem Maßwerk und Treppengeländer verziert sind. Der imposante renaissanceartige Vorbau birgt das Treppenhaus für den Mittelteil, welcher jetzt zusammen mit dem linken Flügel die Wohn- und Prunkräume des seit 1871 regierenden Herzogs Friedrich enthält. Dem Schlosse gegenüber liegt die Hauptwache und daneben die frühere Schloßapotheke, in der einst die schöne Apothekerstochter Anna Luise Föse heranblühte. Eine edle Mädchengestalt war es, mit üppiger Fülle goldigen Lockenhaars, mit seelenvollen blauen Augen und reinem Engelsgemüt, die einzige, die es verstand, den rauhen wilden Sinn des Soldatenfürsten Leopold zu sänftigen. Er liebte sie ehrlich und machte seine „Anneliese“ zu seiner Gemahlin und Landesfürstin. Außerdem befindet sich in der Hauptstraße dem Theater gegenüber das neuerbaute Erbprinzliche Palais, wie denn überhaupt in der Stadt noch vier und in den umliegenden Wäldern, die meilenweit parkartig die Stadt umgeben, fünf weitere Schlösser in anmutig schattigen Gärten liegen. Einen ganz eigentümlichen Reiz von höchst malerischer Wirkuug hat denselben der Fürst Franz oder „Vater Franz“, wie er im Volksmunde noch heißt, der Zeitgenosse und Freund Karl Augusts und Goethes, durch die Anlage von Tempeln, Ruinen, Obelisken und sonstigen kleinen stimmungsvollen Bauten verliehen. Die ganze prächtige Natur erscheint dadurch in poesievolle Landschaftsbilder verwandelt, wie sie uns der geniale Landschaftsmaler Claude Lorrain nicht schöner auf die Leinwand zaubern konnte. So großartig aber nun die Natur ist, die alle die Schlösser umgiebt, so Prächtiges bietet die Kunst auch, die in ihnen ihre Tempel aufgeschlagen. Die Fülle und Mannigfaltigkeit der Gemälde in den einzelnen Galerien läßt uns keinen Namen der bedeutendsten Meister aller Zeiten und Länder vermissen und die Sammlung sowohl antiker wie moderner Kunsterzeugnisse wetteifert mit diesen in Schönheit und künstlerischer Bedeutung.
Das wertvollste Kleinod aber ist und bleibt der im Schlosse zu Dessau aufbewahrte Ring der „Frau Kröte“, der durch die Sage und Prophezeiung schon seit Jahrhunderten einen märchenhaften Zauber ausgeübt hat. Vor vielen vielen Jahren nämlich lebte im Schloß zu Dessau eine gute und fromme Fürstin, welche die Armut linderte und wohlthat, wo sie nur konnte. Auch für die Tiere und Vögel hatte sie ein freigebiges Herz und nach den Mahlzeiten sammelte sie die Brosamen und streute sie den Hungernden vors Fenster. Nun hauste aber in einem dunklen Kellerloch unter jenem Fenster der frommen Fürstin eine häßliche Kröte, die jedesmal, wenn die Krumen auf die Erde fielen, hervorgekrochen kam und sie begierig auflas. Eigentlich war sie aber keine Kröte, sondern eine verwunschene Fee, die erst erlöst werden konnte, wenn eine edle, gottesfürchtige Seele sie mit Brosamen fütterte. Das war nun erfüllt und so geschah es denn in einer herrlichen Maiennacht, daß der Fürstin, als sie auf ihrem Lager lag und schlummerte, eine weiße schöne Gestalt mit wallendem Mantel und einer Leuchte in der Hand erschien und erzählte, daß sie durch die Wohlthätigkeit der Fürstin erlöst sei. „Zum Dank dafür,“ sprach sie, „nimm diesen Ring, er wird Dir und Deinen Nachkommen Segen bringen, Dein Stamm wird nie erlöschen, so lange der Ring in seinem Besitz ist, und ich selbst will Euch immerdar schützen.“ Darauf verschwand sie, und als die Fürstin am Morgen erwachte, hielt sie den Ring in den Händen. So die Sage; der Ring aber wird noch wohl verwahrt im Schlosse und bis zum heutigen Tage ist er ein Sinnbild der Liebe und Treue des Volkes zu seinem Fürstenhause und dadurch ein Talisman für dieses selbst. Der stete Edelmut und die hochherzige Opferfreudigkeit der Fürsten von Anhalt, deren gegenwärtiges Oberhaupt Herzog Friedrich (geb. am 31. April 1831) am 22. Mai d. J. sein 25jähriges Regierungsjubiläum begeht, ist zum Segen geworden für sein Volk, die Prophezeiungen haben sich bis auf den heutigen Tag bewahrheitet und so möge es bis in die fernsten Zeiten bleiben!
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0351.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2022)