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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0358.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Das Wetter wurde in der That immer schlimmer, aber die Not des Schiffes, des einzigen, das sich jetzt noch auf dem See befand, war nicht unbemerkt geblieben. Der Kapitän des Dampfers stand mit der ganzen Bemannung auf Deck und am Ufer drängte sich, trotz des strömenden Regens, eine Menge von Leuten zusammen, meist Schiffer, die die Fahrzeuge, welche sonst unten am Strande lagen, höher hinaufgezogen und vor der anstürmenden Flut geborgen hatten. Man rief und schrie einander zu und aller Augen waren auf das gefährdete Boot gerichtet; aber niemand traf Anstalt zu einer Hilfe, die nicht möglich zu sein schien.

Da trat Ehrwald ein, der seinen Freund in dessen Zimmer gesucht hatte und offenbar überrascht war, ihn hier zu finden, wo man kaum vor dem Wetter geschützt war. Sonneck wandte sich rasch zu ihm.

„Du kommst von Zenaide? Sie ließ Dich ja rufen; hast Du endlich erfahren, was in Malsburg vorgefallen ist?“

„Ja, ich werde es Dir später erzählen,“ entgegnete Reinhart ausweichend, während er langsam näher trat.

„Und wie geht es Zenaide?“ fragte Elsa besorgt. „Jetzt endlich darf ich doch zu ihr? Ich will sofort –“

„Bleiben Sie, gnädige Frau, ich bitte darum,“ unterbrach sie Reinhart. „Lady Marwood ist sehr angegriffen und ich glaube, in ihrer jetzigen Stimmung ist das Alleinsein eine Notwendigkeit für sie.“

Er dachte an das Geständnis, das er vorhin ausgesprochen und wie Zenaide es aufgenommen hatte; jetzt wenigstens mußte ihr der Anblick Elsas erspart bleiben! Die junge Frau sah betroffen und enttäuscht aus, aber ihr Gatte hielt sie gleichfalls zurück.

„Bleib’, Elsa, wir müssen erst abwarten, was die nächste Stunde bringt, sie kann alles ändern. Siehst Du das Boot da draußen, Reinhart?“

„Ein Boot auf dem See, bei diesem Sturme? Nun, dem gnade Gott!“ rief Ehrwald. „Ganz recht, ich sehe es deutlich, es scheint in der äußersten Gefahr zu sein.“

„Jawohl, es ist das Malsburger Schiff und Marwood und Hartley sind darin, da ist kein Zweifel mehr.“

In äußerster Betroffenheit nahm Ehrwald das Fernglas, das der Freund ihm reichte, und gab es nach einigen Minuten schweigend zurück. Die Blicke der beiden Männer begegneten sich und in ihren Zügen stand der gleiche Gedanke. Das konnte freilich alles ändern, das Schicksal selbst schien hier einzugreifen; aber so sehr die beiden auch gegen Marwood eingenommen waren, in diesem Augenblick war er ihnen doch nur ein Mensch, der da draußen mit den Wogen um sein Leben kämpfte. Elsa blickte stumm und angstvoll hinaus, während die beiden Herren halblaute Bemerkungen austauschten und der Schiffsmeister hin und wieder eine Erläuterung dazu gab.

„Das Wetter muß doch endlich ein Ende nehmen,“ sagte Sonneck, „vielleicht halten sie es so lange aus.“

„Vielleicht! Ich glaub’s nicht,“ brummte der Schiffer. „Es ist ja ein Unwetter, wie wir es seit Jahren nicht erlebt haben, und was der See da hat, das giebt er nicht wieder her.“

„Hoffentlich sind die beiden Engländer als Sportsleute auch gute Schwimmer,“ warf Ehrwald hin. „Das bleibt ihre einzige Rettung, wenn das Boot kentert, und das steht jeden Augenblick zu befürchten.“

Der Schiffsmeister zuckte die Achseln.

„Nun, viel hilft ihnen das auch nicht bei dem Wellengang, wenn keine Hilfe in der Nähe ist, und dann haben sie ja auch das Kind bei sich.“

Die drei Zuhörer wandten sich gleichzeitig mit einem Ausruf des Schreckens um.

„Das Kind? – Um Gotteswillen! Der Knabe ist mit im Boote?“

„Jawohl, der kleine Lord. Ich sah ihn deutlich, als sie hier vorüberkamen, er saß neben seinem Vater am Steuer.“ Der Schiffer unterbrach sich plötzlich, legte die Hand über die Angen und lugte scharf hinaus.

„Da bricht der Mast und reißt das ganze Takelwerk mit herunter! Wenn’s nur wenigstens über Bord geht! Sonst legt sich das Schiff auf die Seite und dann ist’s aus.“

Die Herren überzeugten sich bald genug, daß der Mann recht hatte. Elsa blickte zu den Fenstern empor.

„Wenn Zenaide das wüßte! Sie hat keine Ahnung von der Gefahr, in der ihr Kind schwebt.“

„Sie darf auch nichts davon erfahren,“ fiel Sonneck ein.

„Die Angst wenigstens muß ihr erspart bleiben. Zum Glück ist sie in ihrem Zimmer eingeschlossen und sieht und hört nichts von dem, was draußen vorgeht. Komm, Elsa, Du wirst hier ja ganz durchnäßt, der Wind treibt den Regen gerade herein. Drüben ist es trocken und Du hast auch dort den ganzen Ueberblick.“

Er führte sie nach der anderen Seite der Veranda, die allerdings geschützter war, und kehrte nach Verlauf von einigen Minuten zu Ehrwald zurück. Dieser hatte vorhin keine Silbe gesprochen und verhandelte jetzt leise und angelegentlich mit dem Schiffsmeister, der sah ihn jedoch mit dem Ausdruck des vollsten Entsetzens an und sagte halblaut: „Nein, Herr! Bieten Sie mir, was Sie wollen, aber das thu’ ich nicht. Das heißt ja Gott versuchen!“

„Was giebt es? Was hast Du vor?“ fragte Lothar, der eben herantrat und die Worte hörte.

„Ich will hinaus!“ sagte Reinhart kurz, indem er auf den See wies.

„Bei diesem Sturme? Ich bitte Dich, das ist ja heller Wahnsinn!“

„Das habe ich dem Herrn auch gesagt,“ fiel der Schiffer ein, „aber der Herr will ja nicht hören, er will mitten hinein in das Höllemwetter.“

„Nimm Vernunft an, Reinhart,“ mahnte Sonneck. „Es geht nicht. Wenn das große feste Boot es nicht aushält, werden die kleinen Nußschalen da unten zerschmettert von den Wellen, und Dein Leben ist denn doch mehr wert als das eines Marwood.“

„Marwood mag sich selbst helfen, wenn er kann, aber Du hörst es ja, das Kind ist im Boote, Zenaidens einziger Sohn, und der muß ihr gerettet werden, es muß wenigstens versucht werden. – Sie wollen also nicht mit?“ wandte er sich an den Schiffer. „Nun, so schaffen Sie mir einen Ihrer Kameraden her! Er soll fordern, was er will, ich zahle es ihm.“

Der Mann sah ihn noch immer an, als zweifelte er an seinem gesunden Verstande.

„Das glaube ich schon,“ entgegnete er endlich, „aber Sie finden doch keinen, da ist das Fragen ganz umsonst! Und wenn Sie den Leuten eine Tonne Goldes böten, ihr Leben ist ihnen doch lieber und das ist hin, wenn sie jetzt hinausfahren, wir kennen unsern See.“

Ehrwald stampfte in aufbrechender Heftigkeit mit dem Fuße.

„Nun denn, so fahre ich allein! Lassen Sie ein Boot fertig machen, das beste und stärkste von denen da unten, aber schnell, schnell! Es ist die höchste Zeit!“

Der Schiffer schüttelte den Kopf, aber er gehorchte und ging zu den Booten hinunter.

„Du siehst, es findet sich keiner,“ sagte Lothar ernst, „und man kann es den Leuten nicht verdenken, denn es geht um das Leben bei solcher Fahrt. Bleib, Reinhart! Du allein hältst das Boot nicht bei dem Sturme, kannst es nicht halten, das geht über Menschenkräfte. Willst Du Dich denn nutzlos aufopfern?“

Reinhart machte eine Bewegung der äußersten Ungeduld.

„Predige mir jetzt nicht Vernunft, ich kann nicht darauf hören! Ich habe ja so oft schon erzwungen, was anderen unmöglich schien, vielleicht glückt es auch diesmal und bei Zenaide habe ich noch eine alte Schuld einzulösen. Sie soll jetzt bezahlt werden, und wenn es mit meinem Leben ist. Ich muß fort. Leb’ wohl!“

Er wollte gehen, aber Sonneck legte die Hand auf seinen Arm und hielt ihn zurück.

„Nun denn, wenn es durchaus nicht anders geht – so nimm mich mit!“

Ehrwald blieb stehen und blickte ihn betroffen an.

„Dich, Lothar? Nein, nein, das nicht!“

„Weshalb nicht? Wir sind ja so oft zusammen in die Gefahr gegangen und haben sie Seite an Seite bestanden, wir thun das heute noch einmal.“

„Aber Du bist noch nicht völlig genesen, Du hast nicht mehr die alte Kraft und dann – Deine junge Frau!“

Sonneck richtete sich empor und sein ganzes Wesen schien aufzuflammen in der einstigen Energie.

„Meine Elsa soll sehen, daß sie keinen bloßen Siechling zum Manne hat, und für eine Stunde wird die alte Kraft wohl

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0358.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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