verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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„Richtig! Ich hab’ mir’s aber gleich ’denkt! Bist ein Mordskerl!“ Purtscheller begleitete dieses Lob mit einem Faustschlag auf Schorschls Rücken. „Wo hast ihn denn g’funden?“
„Droben im Seekar liegt er in die Latschen drin. Wenn S’ mit raufsteigen, den Hirsch treib’ ich Ihnen hin am Stand, nix Schöners giebt’s gar net!“
„Jetzt gleich auf der Stell’?“ Purtscheller besann sich und rückte ärgerlich das Hütchen. „Eigentlich sollt’ ich heim, ein bißl nachschauen, was meine Leut’ auf die Felder machen!“
„Und den Hirsch wollen S’ auslassen! Jetzt, wo er sicher is? Kommen S’ mit, sag’ ich! Der Hirsch is g’schossen bis auf ’n Abend! Da verwett’ ich mein’ Kopf drauf!“
Beim Hackstock verstummten die Beilhiebe. „Wenn Du schon so einer bist,“ rief Vroni nicht sonderlich freundlich über die Schulter, „so halt’ doch wenigstens die andern Leut’ net von der Arbeit ab!“
„Arbeit? No ja!“ sagte Purtscheller beschwichtigend. „Den Hirsch kann ich doch auch net verschenken! So ein Hirsch gilt seine hundert Mark, ’s G’weih gar net g’rechnet. Na, na, da muß ich schon ’nauf!“ Er griff nach Büchse und Bergstock. „Komm, Schorschl!“
„Gleich komm ich. Steigen S’ nur derweil voraus! Ich muß mich ein bißl sauber machen … sonst könnt’ der Hirsch ’s Grausen kriegen, wann er mich sieht!“
Purtscheller lachte, rief dem Simmerauer und der Bäuerin einen freundlichen Gruß zu, warf noch einen musternden Blick des Wohlgefallens auf Vroni und stieg gemächlich über die Böschung hinauf.
Zwei heiß brennende Augen folgten ihm – und als Purtscheller in einer Senkung der Wiese verschwand, atmete Mathes tief auf und hob den Schlägel wieder.
Schorschl wollte zum Brunnen; dabei mußte er am Hackstock vorüber. Ein wenig verlegen blieb er stehen und sagte lachend: „Wärst Du net g’wesen, da könnt’ ich jetzt ein paar g’sunde Löcher im Kopf haben! Ein’ festen Sprung hast g’macht um meinetwegen! Muß Dir doch ein Vergeltsgott sagen!“
Vroni übersah die Hand, welche Schorschl ihr bot, und ließ sich in der Arbeit nicht stören. „Ein Vergeltsgott? Mir? … Das braucht’s net!“
Der trockene Ton schien den Daxen-Schorschl zu belustigen. „So sag’ halt noch dazu: ‚’s is gern g’schehen‘!“
„Gern? … Na!“
„Ui Jegerl! Am End reut’s Dich gar, daß D’ mich den Hals net hast brechen lassen?“
Vroni schwieg, und über den Pfahl weg, auf den sie loshackte, streifte sie den Burschen mit einem finsteren Blick. Freilich, der Daxen-Schorschl bot auch in der Verfassung, in welcher er nach seiner Rutschpartie beim Häuschen des Simmerauer angelangt war, durchaus kein Bild, das einem Mädchenauge sonderlich gefallen konnte: das Gewand beschmutzt, so daß die Farbe kaum mehr kenntlich war, die nackten Knie, Gesicht und Hände grau von Staub, braune Erde im Haar und am zerzausten Schnurrbart; rote Tropfen sickerten von der zerschundenen Wange und all seine Fingernägel waren blutig.
Aber er lachte. „Sakra, Madl! Ein paar Augen kannst machen … net schlecht!“ Und nach einer stummen Weile fügte er etwas kleinlaut bei: „Gar viel Gut’s, mein’ ich, mußt Dir net denken von mir?“
„Da kannst recht haben!“
„Jetzt machst mich aber neugierig! So sag’s halt … was denkst Dir denn von mir?“
„Das is g’schwind g’sagt!“ Vroni ließ das Beil sinken und mit festem Blick richteten sich ihre blitzenden Augen auf den Burschen. „Schorschl! Du bist ein Lump!“
In der ersten Verblüffung machte der Daxen-Schorschl ein furchtbar dummes Gesicht. Dann stieg ihm dunkle Röte in den Kopf … man sah es, obwohl ihm der graue Staub auf Stirn und Wangen lag. Merkwürdig, daß dieses kurze Wort den „lüftigen“ Schorschl so erregen konnte! Er hatte dieses Wörtlein doch schon häufig genug zu hören bekommen, um sich an seinen Klang zu gewöhnen. Aber die anderen, drunten im Dorf, die hatten es immer lachend gesagt: „Na, Schorschl, bist Du ein Lump!“ … und immer hatte er mitgelacht. Jetzt zum erstenmal hatte er dieses Wort auf eine neue Art gehört, ernst, von einer bebenden Stimme gesprochen! Und von so roten Lippen! Er suchte nach einer Antwort. Aber da sagte Vroni: „Geh zum Brunnen und wasch’ Dich! Steht Dir ja ’s Blut im G’sicht und auf die Händ’! Mach’ weiter!“ Ruhig wandte sie ihm den Rücken und schwang das Beil.
Schorschl stand noch eine Weile und betrachtete ratlos seine übel zugerichteten Hände; dann verzog er die Lippen wie ein gescholtenes Kind, das nicht zu mucksen wagt, ging auf den Brunnen zu, wobei er bedächtig die aus dem Schlamm hervorstehenden Balken und Steine benutzte, und schöpfte Wasser aus dem Trog.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0412.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2022)