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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0429.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 26.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Der laufende Berg.

Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer.

     (2. Fortsetzung.)

Während Karlin’ von ihrem Ausblick langsam durch den Garten zurückkehrte, vernahm sie einen ängstlichen Schrei ihres Kindes. In Sorge begann sie zu laufen, und als sie die Steinbank erreichte, sah sie ein schattenhaftes Tier, wie eine kleine Fledermaus, mit brummendem Sumsen um den Kopf des Kindes flattern. Erschrocken schlug sie mit der Hand und traf. Das Tier fiel zu Boden – ein großer Nachtfalter.

Karlin’ hob das weinende Bürschlein auf ihre Arme und streichelte ihm Haar und Wange. „Geh, Tonerl, bist erschrocken! Geh, so wein’ doch net …. schau, es is ja bloß ein Schmetterling g’wesen! Der thut Dir nix!“

Schmetterling! Dieses Wort schien das Kind zu trösten; es blickte mit nassen Augen umher und streckte die Händchen. „Den Meckerling haben möcht’ ich!“

„Ja, Herzerl! Wart’, den such’ ich Dir gleich! …. Schau, da is er schon!“

Mit zitternden Schwingen kroch der Falter über die Pflastersteine. Karlin’ bückte sich; doch von einer abergläubischen Regung erfaßt, zog sie die Hand zurück – deutlich hatte sie auf dem dicken Leib des Falters die unheimliche Zeichnung erkannt – es war ein Totenkopf. Sie wollte das Tier zertreten, als der Falter mit einem zirpenden Ton sich von der Erde hob; schwirrend stieß er gegen eine Fensterscheibe und verschwand unter den roten Blättern der wilden Reben.

Mit beiden Armen preßte Karlin’ ihr Kind an die Brust und blickte scheu zu den zitternden Blättern auf.

„Komm, Schatzerl, laß Dich schlafen bringen!“

Das Bürschlein begann wieder zu weinen. „Meckerling haben möcht’ ich! Nitti schlafen! Vaterl warten!“

„Geh, sei z’frieden, Tonerl! Der Vater kommt schon! Droben im Betterl darfst warten auf ihn!“

„Thust mir Liederl singen?“

„Ja, lieb’s Herzerl!“ beschwichtigte Karlin’ das Kind.

Sie ging zur Thüre, kehrte wieder um, faßte eine Weinranke und rüttelte an ihr. Surrend schoß der Falter aus dem Laub hervor und schwirrte davon.

„Gott sei Dank!“

Als Karlin’ das Haus betrat, kam eine alte Magd aus der Küche und fragte: „Wie soll ich’s denn mit dem Essen halten, Frau? Von Mittag is alles noch übrig …. der Herr is net heim ’kommen, und Sie haben nix ’gessen. Soll ich die Sachen aufwärmen?“

„Für mich, ja! Aber für ’n Herrn mußt frisch was machen, ’s Aufg’wärmte mag er net.“

„Was soll ich denn richten?“

„Fladlsuppen …. die ißt er gern. Und ein ausg’suchts Stückl Wildbret brätst ihm ab. Und wenn alles fertig is, mußt es halt schön am Feuer halten, damit er sein Essen gleich haben kann, wann er heimkommt. Sonst muß er sich wieder ärgern …. weißt es ja, er wart’t net gern.“

„Ja, ja!“ sagte die Magd und ging in die Küche zurück, während Frau Karlin’ über die Treppe hinaufstieg, auf ihren Armen das Kind, das von versiegendem Schluchzen noch ein bißchen gestoßen wurde.

Adolf Bastian.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0429.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)
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