verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Mit dem Ellbogen schob er sie auf die Seite. „Geh weg da!“
Zäzil schien an solche Behandlung nicht gewöhnt und machte große Augen. Kopfschüttelnd sah sie ihm nach, und dann lachte sie leise vor sich hin. „Ui jegerl! Heut’ hat er sich g’wiß an der Frau wieder ein’ Zahn aus’bissen!“
Mit vorgebeugtem Kopf, die Hände in den Taschen, folgte Purtscheller der vom Nebel umflorten Straße. Einmal zog er den Brief hervor, als möchte er lesen – aber es war zu finster, obgleich der Mond schon durch den Nebel schimmerte. Ein paarmal redete er halblaute Worte vor sich hin, dann wieder blieb er stehen und machte zwei Fäuste.
„Jetzt weiß ich bald nimmer, über wen ich mich mehr giften soll … über den andern oder über mich!“
Er fiel wieder in seinen raschen Schritt und schob den Hut zurück, als wäre ihm schwül.
„Das hat er mir bloß aus Bosheit ’than, weil mein Bräunl sein’ Schimmel g’schlagen hat!“ Und an diesen Gedanken schloß sich ein anderer, der das Quälendste an seiner Sorge zu beschwichtigen schien: „Ach was! Ich hab’ ja ein Vierteljahr lang Zeit! Und wenn der ’s Geld nimmer geben will, so giebt’s ein anderer! … Freilich, da wird’s halt wieder heißen, ein paar Tausender drauflegen!“ Er seufzte, aber sein Schritt wurde ruhig.
Nun hatte er ein Ohr für den Gruß der Leute, die ihm ab und zu auf der stillen Straße begegneten. Und wenn er an Häusern vorüberkam, guckte er in die erleuchteten Fenster, deren Schein mit fahlem Geflimmer im Nebel zerfloß.
Der Weg zum Wirtshaus führte an der Daxen-Schmiede vorüber; alle Fenster waren schwarz, doch am Haus und an der Schmiede stand Thür und Thor geöffnet und in der Tiefe der dunklen Werkstätte glostete das erlöschende Essenfeuer, von dessen Wiederschein der polierte Ambos mit roten Lichtlinien umsäumt war.
Purtscheller trat unter das Thor und rief in das stille Haus hinein: „He, Schorschl!“
Keine Antwort kam.
„Er muß noch net daheim sein! … Möcht’ nur wissen, was er heut’ g’habt hat.“ Mit dieser Frage kehrte Purtscheller auf die Straße zurück. Aber der Gedanke an das unbewachte Haus ließ ihn wieder umkehren. „Na, so ein Mensch wie der Schorschl … Da hört sich aber doch alles auf! Strawanzt auf die Berg’ umeinander … und sein Gauner von G’sell, natürlich, der sitzt heilig wieder im Wirtshaus und sauft … und da lassen sie ’s Haus mit offene Thüren stehn, daß jeder davontragen könnt’, grad’ was er möcht’!“ Unter diesem Selbstgespräche drückte Purtscheller die Hausthüre zu, schloß die beiden Flügel des Werkstattthores, und im Bewußtsein, für den „lüftigen“ Schorschl ein gutes Werk gethan zu haben, ging er seiner Wege.
(Fortsetzung folgt.)
Adolf Bastian.
In unserem Jahrhundert blühen die Wissenschaften; neue Zweige sprießen an dem alten Baum des Wissens hervor und entwickeln sich mit erstaunlicher Schnelligkeit. Zu diesen jungen Wissenschaften zählt auch die Völkerkunde oder Ethnologie. Beschreibungen der Sitten und Gewohnheiten fremder Völker hat es zwar stets gegeben; in den Werken ältester Geographen, in den Aufzeichnungen aller Forschungsreisenden bilden sie vielleicht die anziehendsten Abschnitte; bis vor wenigen Jahrzehnten aber blieben diese Beschreibungen zerstreut, man gab sich keine Mühe, sie zu sammeln und zu ordnen, aus den losen Blättern eine Entwicklungsgeschichte des Menschengeschlechtes unter den verschiedenen Himmelsstrichen zusammenzustellen. Heute ist das anders geworden. Die Völkerkunde wird wissenschaftlich betrieben und gewährt jedem, der sich mit ihr befaßt, die tiefsten Einblicke in die mannigfaltigsten Entwicklungsformen der Menschheit, sie wird jeder Rasse und jedem Volke gerecht und lehrt uns alle Kulturstufen von der niedrigsten bis zu der höchsten kennen. Die Völkerkunde hat eine umfangreiche Litteratur gezeitigt und hat großartige Sammlungen, Museen geschaffen, in welchen uns die wunderbaren Leistungen der verschiedensten Völker vor Augen geführt werden. Diese Wissenschaft, die den Menschen als Mitglied einer Volksgemeinschaft und die Völker als Glieder der Menschheit studiert, erfreut sich auch der größten Volkstümlichkeit – kein Wunder, denn von allen Erscheinungen der Natur bleibt für den Menschen der Mensch selbst immer die anziehendste.
Zu den Männern, die im Laufe der letzten Jahrzehnte diese Wissenschaft begründet und in hohem Maße gefördert haben, zählt vor allem der deutsche Forscher Adolf Bastian. In diesen Tagen wird er fern ab von der Heimat, auf neuen Forschungsreisen in Ostasien begriffen, seinen siebzigsten Geburtstag feiern, ein Beispiel seltener Rüstigkeit und Aufopferung für die Wissenschaft.
Adolf Bastian wurde am 26. Juni 1826 zu Bremen geboren. Der Gang seiner Studien verlief nicht programmmäßig, aber der angehende Forscher wurde durch ihn in verschiedene Gebiete des menschlichen Wissens eingeführt und er erwarb sich somit frühzeitig einen weiten Blick, der ihn zur Beurteilung und Würdigung des Lebens, der Gewohnheiten und Sitten fremder Völker besonders fähig machte. Bastian studierte zuerst Jurisprudenz in Heidelberg, dann wandte er sich den Naturwissenschaften und der Medizin zu, setzte in Berlin, Jena, Würzburg und Prag seine Studien fort und erlangte die medizinische und philosophische Doktorwürde.
So vorbereitet trat er im Jahre 1851 als Schiffsarzt seine weltumspannenden Reisen an, die er später auf eigene Kosten fortsetzte. – Zunächst begab sich der junge Gelehrte auf einem Segelschiff nach Sidney und den australischen Goldfeldern, wandte sich dann über die Inselgruppen des Stillen Oceans nach Asien und fuhr nach Neuseeland und Tahiti zurück. Von da ging er nach Südamerika, wo er vor allem auf den Stätten des alten Inkareiches Studien anstellte. Nun strebte der Weltfahrer über Panama und Havanna New York entgegen. Von hier trieb es ihn nicht nach der alten Heimat, er wandte sich wieder westwärts nach Mexiko und von dort ging er nach San Francisko, um wieder den Stillen Ocean zu durchqueren, die Häfen Chinas, Indien, Persien, die alten Kulturstätten des mesopotamischen Reiches, Jerusalem, Smyrna, Konstantinopel, zu besuchen. Nun war Afrika das weitere Ziel seiner Fahrten; Aegypten, Tunis, Aden, Angola, Senegambien und Madeira waren die wichtigsten Ruhepunkte seiner rastlosen Wanderung. In Lissabon betrat er wieder Europas Boden, um über Spanien, Frankreich und England den Norden Europas zu erreichen und über Stockholm, St. Petersburg, Moskau und Warschau in die Heimat zurückzugelangen. Sieben Jahre dauerte diese Weltfahrt, eine großartige Vorbereitung für den künftigen Ethnologen! Neben anderen Schriften erhielt die Welt als die Frucht dieser Reisen das große dreibändige Werk Bastians „Der Mensch in der Geschichte. Zur Begründung einer psychologischen Weltanschauung“. Er zeigte sich in demselben als einen Pfadfinder und Bahnbrecher der Wissenschaft, und bezeichnend für seine Auffassung sind seine eigenen in dem Werke enthaltenen Worte: „Fern von Europa keimten die hier niedergelegten Ideen unter Anschauung der mannigfaltigen Verhältnisse, in welchen die Völker auf dem Erdball zusammenleben. In der Stille der Wüsten, auf einsamen Bergen, in Zügen über weite Meere, in der erhabenen Natur des Südens reiften sie im Laufe der Jahre empor und schlossen sich zusammen in ein harmonisches Bild. Wohlbekannt mit den verschiedenen Zweigen der Litteratur, habe ich mich zunächst bemüht, die in den Schulen aufgenommenen Dogmen möglichst auf der Tafel des Gedächtnisses zu verwischen. Erst wenn das aus einer rein objektiven und so viel thunlich vorurteilsfreien Beobachtung erwachsene Produkt jene bestätigte, von selbst zu ihnen führte, hieß ich sie aufs neue als berechtigtes Glied in die Vorstellungsreihen wieder eintreten.“
Den Forscher litt es aber nicht lange am Schreibtisch in der Heimat. Schon im Jahre 1861 trat er seine zweite Reise an. Das Ziel, das er sich gesteckt hatte, war die Erforschung des so hochinteressanten Buddhismus. Ein günstiges Geschick half ihm dieses Ziel erreichen; denn als er auf Befehl des Königs von Mandalay für sechs Monate interniert wurde, ließ er sich während dieser Gefangenschaft von buddhistischen Priestern und Gelehrten in die Geheimnisse ihrer Religion und Philosophie einweihen. Die Ergebnisse dieser Studien hat er später in dem Werke „Der Buddhismus in seiner Psychologie“ niedergelegt. Er wanderte weiter über China und Japan und kehrte nach fünf Jahren nach Deutschland zurück.
Sein Ruf als Ethnologe war gegründet. Im Jahre 1867 habilitierte er sich als Privatdocent an der Berliner Universität und 1868 wurde ihm mit einer Professur die Verwaltung der Ethnologischen Abteilung der Königlichen Museen übertragen. Ein Jahr darauf gründete er im Verein mit Rudolf Virchow und Robert Hartmann die „Zeitschrift für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte“.
Diese seine wissenschaftliche Thätigkeit in der Heimat wurde von Zeit zu Zeit durch neue Reisen unterbrochen. Im Auftrage der „Afrikanischen Gesellschaft“ ging er im Jahre 1873 nach der Loangoküste, um die Station Chinchoxo zu gründen. Später bereiste er Südamerika und Australien. Durch die Gunst des Königs Kalakaua erhielt er unverhoffte Einblicke in die eigenartige heilige Sage der Polynesier. Ferner besuchte er noch den Kaukasus, Armenien, Vorderindien, Tasmanien und Australien und befindet sich augenblicklich auf einer Reise nach China. Seinen Bemühungen ist es schließlich zu danken, daß die preußische Regierung für die Sammlungen aus dem Gebiete der Völkerkunde in der Reichshauptstadt ein würdiges Heim, das in jeder Beziehung mustergültige „Museum für Völkerkunde“, schuf.
Die zahlreichen Werke des berühmten Völkerkundigen sind leider in einem zu schweren Stile geschrieben, um weiteren Kreisen gut verständlich zu sein, aber sie enthalten eine solche Fülle von Thatsachen, einen solchen Reichtum von neuen, eigenartigen aufklärenden Gedanken, daß sie für den Forscher noch lange wahre Lehrbücher und Wegweiser im Vorwärtsschreiten bilden werden. In ihnen ist eine Summe erstaunlichen, fast erdrückenden Wissens enthalten, das nur ein so tiefer und scharfer Geist wie der Bastians zu beherrschen vermag; sie sind auch das unvergängliche Denkmal, das der rastlose Forscher sich selbst errichtet hat. L. S.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0435.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)