verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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An fünfhundert Stadt- und Landgemeinden haben sich an dieser Ausstellung beteiligt, und ein rühmendes Zeugnis ihres emsigen Gewerbefleißes und kunstsinnigen Schaffens ist das Gesamtbild, das sich unseren Augen auf dem Maxfelde darbietet. Freilich ein nachgebildetes Alt-Nürnberg brauchte diesem lebensvollen Bilde aus der Gegenwart nicht entgegengestellt zu werden. Seine Denkmale stehen ja noch leibhaftig in den Straßen der Stadt; alte unverwelkliche Pracht vermählt sich hier mit dem lebensfrohen Schaffen der Gegenwart und beide zeugen beredt von der unverwüstlichen Kraft deutschen Bürgertums, das Jahrhunderte hindurch dem Reich zur Stütze und Zierde gereichte.
Außer Bayern hat in Süddeutschland auch Württemberg eine Ausstellung veranstaltet. Dieselbe ist am 6. Juni in Stuttgart eröffnet worden; auch hier ist diese Veranstaltung mit der Einweihung eines prachtvollen Neubaues für das Landesgewerbemuseum verknüpft. Die Grenzen der Stuttgarter Ausstellung sind enger gezogen; sie hat sich die Aufgabe gestellt, Erzeugnisse württembergischer Firmen aus sämtlichen Zweigen der Elektrotechnik, sowie die Anwendung der Elektrizität im häuslichen, gewerblichen und öffentlichen Leben vorzuführen – und ferner den gegenwärtigen Stand des württembergischen Kunstgewerbes in hervorragenden Arbeiten desselben darzustellen. Es handelt sich also hier um eine Fachausstellung für Elektrotechnik und Kunstgewerbe, der sich noch in besonderer Abteilung eine Ausstellung für den Gartenbau anschließt. Man hat für die Veranstaltung zum Teil bereits vorhandene würdige Bauten verwenden können. Die kunstgewerbliche Abteilung ist in dem monumentalen Neubau des Landesgewerbemuseums untergebracht worden, während der elektrotechnischen Abteilung die städtische Gewerbehalle überwiesen wurde. An die letztere reihen sich einige neue Ausstellungsbauten, vor allem ein „Elektrizitätshaus“. Es zeigt in seiner Einrichtung die verschiedenen Verwendungen der Elektrizität im Haushalt und macht abends, wenn es in festlicher Beleuchtung erstrahlt, einen besonders wirkungsvollen Eindruck. Erwähnenswert ist ferner die schmucke Anlage eines Gewerbedorfes, in dem sich auch eine Nachbildung von Schillers Geburtshaus in Marbach befindet. Die schönen Anlagen des Stuttgarter Stadtgartens sind mit in das Terrain der Ausstellung einbezogen worden. Dadurch erfreuen sich dieselben eines reizvollen landschaftlichen Schmuckes. Die heitere, rebenumkränzte, von Waldbergen umschlossene Residenzstadt Württembergs braucht überhaupt um landschaftlichen Schmuck nicht verlegen zu sein. Von allen Seiten blicken hier malerische Bergzüge in alle Straßenwinkel herein und Rebenberge bilden auch den Schlußrahmen des Panoramas auf dem Stuttgarter Ausstellungsplatze. Der Zuzug der Fremden wird voraussichtlich im Sommer ein überaus großer werden. Nicht die Ausstellung allein wird ihn hervorrufen; nach Stuttgart werden ja im August sangesfrohe Scharen aus allen Gauen Deutschlands zum Deutschen Sängerbundesfest pilgern, in Stuttgart werden die Generalversammlungen von einer ganzen Reihe wissenschaftlicher und anderer Vereine stattfinden. Nun, die Stadt ist wohlgerüstet für den Empfang so vieler weiser und praktischer und kunstfroher Gäste; die schwäbische Gastfreundschaft wird sich auch diesmal in Ehren bewähren.
Von hier wenden wir uns wieder nordwärts. Am Ufer der Elbe hat Sachsen in seiner Königsstadt Dresden eine höchst eigenartige und zeitgemäße Ausstellung veranstaltet: die Ausstellung des sächsischen Handwerks und Kunstgewerbes. Wer würde nicht den braven tüchtigen Meistern, die hier ihre so verschiedenartigen, nützlichen und schönen Erzeugnisse zur Schau gestellt haben, die wärmste Sympathie entgegenbringen? Fürwahr, es ist ihnen gelungen, sich die volle Anerkennung zu erwerben. Das sächsische Handwerk hat dargethan, daß es der Fürsorge, von welcher diese Veranstaltung getragen wird, wert ist. Auf Schritt und Tritt sehen wir deutliche Beweise von Intelligenz und Geschicklichkeit, von regem Fleiß und eiserner Arbeitskraft. Das Handwerk der Neuzeit ist durchaus nicht tot, wie manche behaupten, es hat verstanden, sich die Fortschritte und Erfindungen auf dem Gebiete der Technik nutzbar zu machen und die von der Kunst gegebenen Vorbilder zu beachten. In vierzehn Abteilungen bringt es auf dieser Ausstellung glänzende Bilder seiner Entwicklung, seiner Vielseitigkeit und Schaffensfreudigkeit; es überzeugt jeden, daß der Aufschwung des deutschen Gewerbes nicht allein der Großindustrie, sondern auch ihm, dem Handwerk, zu danken ist.
Wundervoll ist die Scenerie des Ausstellungsplatzes an dem königlichen Großen Garten, rings um den Riesenbau des Neuen Ausstellungspalastes, auf den wir bereits gelegentlich der Dresdener Gartenbauausstellung in Nr. 24 dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“ hingewiesen haben. Ueber Villen und Schlösser, über grüne Baumgruppen und blühende Gefilde des Elbufers schweift das Auge bis zu den Bergen der Sächsischen Schweiz, die sich im blauen Duft verlieren. Inmitten dieser lachenden Landschaft haben die Veranstalter der Ausstellung, wie ihre Gefährten in Berlin, ein Stück längst vergangener Zeiten und ein buntes Bild aus dem Volksleben hineingezaubert. Hat man die Ausstellung durchwandert, so überschreitet man eine altertümliche Brücke und gelangt in einen Wartturm, den man besteigt, um Ausschau zu halten. Da überkommt den Beschauer das Gefühl, als sei er durch einen Zauber um Jahrhunderte zurückversetzt: zu seinen Füßen breitet sich eine alte Stadtanlage aus, die im Charakter früherer Jahrhunderte gehalten ist und dabei so malerisch und echt wie in der Dresdener Galerie die Bilder Canalettos aus Alt-Dresden wirkt. Rings um den Marktplatz gruppieren sich die altertümlichen Bauten. Da steht das turmgekrönte Rathaus, daneben der trauliche malerische „Winkelkrug“, ferner die Zunftherberge, das „Churfürstlich Sächsische General-Erb-Postambt“ mit Posthof und das giebelgeschmückte Gewandhaus. In den angrenzenden Straßen herrscht ein buntes Leben; in Haus und Hof drängt sich Bild an Bild aus dem alten Handwerksleben. Vor Wall und Graben sieht man ein altertümliches Gasthofsgebäude, eine romantische Klosterruine und die lustige Windmühle. Eine weitere Sehenswürdigkeit dieser Ausstellung bildet das „wendische Dörfchen“, eine Dorfanlage, zu der alle Motive in der wendischen Lausitz sorgfältig gesammelt worden sind.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0439.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)