verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Dann zog er die Bebende an den Händen fort, setzte sie auf einen Stuhl und rückte einen anderen an ihre Seite. Das schwarze Spitzentuch war auf ihre Schultern geglitten und fiel nun ganz herab. Die Königin erblickte eine zierliche aber vollendet schöne Gestalt.
Roche Talmont strich liebkosend über das schwarze Haar des Mädchens und führte dann ihre Hand an seine Lippen.
„Du weißt alles?“
Und jetzt strömten ihr plötzlich die Thränen aus den Augen, sie neigte sich schluchzend zu ihm, preßte den Kopf in seinen Schoß und umfing ihn mit ihren Armen.
Seine Stirn verdüsterte sich, eine Thräne stahl sich über seine Wange herab in den Bart.
„Hättest Du doch nichts von mir erfahren!“ sagte er mit verschleierter Stimme. „Ich würde gern alle Foltern der Welt ertragen, könnte ich Dich von diesen Schmerz befreien, mein armes Kind. Aber fasse Mut! Noch ist nicht alles verloren. Die Königin kann mich begnadigen.“
Donna Luisa schüttelte krampfhaft den Kopf.
„Hoffe nicht auf dieses grausame Weib! Ich habe zu ihren Füßen gelegen und für Dich gebeten, es war umsonst.“
Roche Talmont seufzte und Donna Luisa erhob sich, als fühlte sie das Bedürfnis, ihn anzublicken.
Er lehnte ihre Wange an seine Brust und streichelte sie, wie man ein Kind beruhigt. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen und seine Stimme klang wieder fest und fröhlich.
„Tragen wir ruhig, was uns bestimmt ist!“ sagte er. „Ich liebe das Leben und ich verlasse es doppelt ungern, weil ich Dich gefunden habe. Auch betrübt es mich, daß ich dieses Dunkel nicht lichten, meine Ehre nicht retten kann. Aber ich fürchte den Tod nicht, ich bin jeden Augenblick bereit, ihn zu empfangen, und ich würde ihm lachend entgegen gehen – hätt’ ich nicht Dich!“
„Ich werde mit Dir sterben, Philipp,“ flüsterte sie fiebernd, „in derselben Stunde.“
„Nein, nein, das nicht! Das wäre ein Verbrechen und würde mich mit schwerer Schuld belasten. Und warum denn auch sterben? Wenn der erste Schmerz vorüber ist, dann wird es doch sein, als wär’ ich bei Dir. Mein Bild wird Dich immer umgeben und nie wird ein Schatten, ein Zufall unsere Liebe trüben, wie es sonst ja so oft geschieht. Der Tod ist kein Sterben für die Liebe, Luisa, und je länger Du lebst, desto länger lebe auch ich, denn meine Seele ist in der Deinen.“
Donna Luisa blickte ihn an und in ihren noch thränennassen Augen leuchtete es auf.
„O Philipp, wenn die Königin Dich so hörte, ob sie Dich dann wohl noch immer für einen Verbrecher hielte?“
„Ich habe ein Verbrechen begangen,“ erwiderte er, „und das Urteil ist zwar sehr streng, aber nicht ungerecht. Ich hätte den Angreifer nur abwehren sollen: aber die Wut erfaßte mich und ich rannte diesem Menschen gleich meinen Degen durch den Leib. Vielleicht wäre die Königin auch eher zur Milde geneigt, wenn es sich nicht um den Abkömmling einer alten schwedischen Adelsfamilie handelte. Man sieht die Fremdenwirtschaft nicht gern und dieser Adel ist gar herrschsüchtig und liebt Christine nicht, er würde sich ihr wahrscheinlich kaum beugen, wenn sie nicht die Tochter Gustav Adolfs wäre. Sie ist zu klug, als daß sie das nicht erkennen sollte, und wenn mich die ganze Strenge des Gesetzes trifft, so bin ich vielleicht nur ein Opfer der Staatsklugheit.“
Donna Luisa schüttelte heftig den Kopf.
„Du bist zu gut, Philipp. Du verteidigst dieses herzlose Weib noch. Aber ich werde Dich an ihr rächen. Ja, ich will leben, aber nur um Deine Ehre zu retten, Du Guter, und die zu strafen, die sich an Dir versündigt haben.“
Roche Talmont führte wieder ihre Hand an seine Lippen.
„Ich glaube, daß wir beide leben werden und daß es mir noch gelingt, alle Rätsel zu lösen. Eine innere Stimme läßt mich noch immer hoffen, daß Christine mich begnadigt. Sie ist nicht herzlos, ich kann es nicht glauben. Ein Weib, das so nach dem Höchsten strebt, kann nicht ohne Herz sein. Sie ist nur irregeleitet durch eine falsche Erziehung, durch ihre Umgebung, durch den Ehrgeiz, die Tochter oder vielmehr der Sohn ihres großen Vaters zu sein. Sie will es den Männern gleich thun und hat noch nicht erkannt, daß es noch etwas Höheres giebt als Mann sein: ein Mensch sein! Sie hat das dunkle Gefühl, daß es herrlich sein muß, die Welt zu erkennen und die Menschen durch den Geist zu beherrschen, aber sie verwechselt Erkenntnis mit Gelehrsamkeit. Es ist ein wunderlicher Gedanke … ich bin nur wenig Jahre älter als sie … aber ich möchte ihr Lehrer sein! Ich möchte sie aus der Bücherluft hinausführen unter das Volk, von den Herbarien weg in den Frühling, ich möchte … sie hätte einen Lehrer haben müssen, der das kann, was ich möchte. Der ihr die Natur enthüllt in der Natur und alles Menschliche aus den Menschen heraus, nicht aus dem Staube der Vergangenheit und den Köpfen einsamer Träumer. Luisa – es ist schade um diese Königin – schade, wie um so viele Keime, die in die Welt gestreut werden und kein Erdreich finden, um aufblühen und Früchte tragen zu können! Du staunst, Luisa, daß ich so spreche? Ja, auch ich finde es erstaunlich, daß man so viel aus dem Leben lernen kann.“
„Ich staune nur darüber,“ unterbrach ihn Donna Luisa, „daß Du Dich so sehr für diese Königin interessierst. Aber sie hat freilich ein so schönes rosiges Gesicht und so schöne blaue Augen, daß man nur schwer an ihr häßliches Gemüt zu glauben vermag.“
In diesem Augenblick wurde der Riegel zurückgeschoben und die beiden sahen nach der Thür. Die Wache erschien, gleich darauf aber traten zwei Diener ein mit Speisekörben und Flaschen. In wenigen Sekunden war der Tisch gedeckt und dann ließ man das Paar wieder allein.
„Das sieht ja recht fröhlich aus,“ sagte Roche Talmont scherzend. „Wir wollen es als das erste Zeichen dafür nehmen, daß die Königin mir ihre Gnade zugewendet hat. Komm, mein Lieb, Du bedarfst der Stärkung!“
Donna Luisa wollte nichts genießen, aber der Marquis schob ihr bald einen Bissen in den Mund, und bald brachte er es durch Bitten und Liebkosungen zuwege, daß sie ein wenig von dem Weine trank. Er zeigte sich so zärtlich um sie bemüht, daß sie nicht widerstehen konnte, und die Heiterkeit, die er entwickelte, verfehlte endlich ihre Wirkung nicht. Es schien, als ob es ihm gelingen sollte, das furchtbare Gespenst zu verscheuchen, das hinter ihm stand, und in dem Herzen des geliebten Mädchens nur das Glück des Augenblicks wachzuhalten. Ihre Blicke hefteten sich schwärmerisch auf das teure Antlitz, das frisch und kühn, kaum um einen Schatten trüber als sonst in die Welt sah, und selbstvergessen lauschte sie den Bildern aus der ersten Zeit ihrer Liebe, die er in neckisch rührendem Tone hervorzuzaubern wußte. Gehorsam aß sie, was er ihr auf den Teller legte, und trank, so oft er sie ermunterte, mit ihm anzustoßen. Allmählich färbten sich ihre Wangen etwas lebhafter und aus den leidvollen Zügen leuchtete es fast wie ein überirdisches Glück. Plötzlich aber, als er nur ein paar Sekunden lang schwieg, kam es wie ein Fieberschauer über sie, sie erblaßte, schob den Tisch mit den Händen so heftig zurück, daß ihr Glas klirrend zu Boden fiel, und dann warf sie sich, in Thränen ausbrechend, zuckend und schluchzend wie eine Rasende anf Roche Talmont, umklammerte ihn mit den Armen und preßte ihren Kopf an seine Brust.
„Sie werden Dich morden, Philipp,“ stöhnte sie, „aber sie sollen auch mich morden, ich sterbe mit Dir! Ich bin Dein Weib und lasse Dich nicht, ich gehe wohin Du gehst. Nein, nein … noch nicht … geh’ noch nicht … bleibe bei mir! Drei Tage hat sie uns geschenkt, noch dürfen wir leben, noch kein Blut, Philipp, er darf noch nicht kommen, der Henker! O mein Gott, küsse mich, Philipp, küsse mich, wir leben ja noch!“
Er nahm ihren Kopf zwischen die Hände, küßte sie innig, strich liebkosend über ihre Schläfe, ihre Schultern, zog sie auf seinen Schoß und, sagte tröstende Worte, als gälte es, ein krankes Kind zu beruhigen. Sie schmiegte sich voll hingebender Zärtlichkeit an ihn und lauschte ihm wieder. Ihre Züge sänftigten sich bald und nahmen einen müden Ausdruck an, als könnte sie so, die Augen in die seinen versenkt, an seiner Brust entschlummern. Und endlich sagte sie mit eiuem weichen glücklichen Tone: „Jetzt möchte ich sterben, Philipp – so sterben!“
„Du wirst nicht sterben, aber Du wirst schlafen,“ sagte er sanft. „Du bist müde, das alles ist zu viel für Dich. Komm, leg’ Dich zur Ruhe!“
„Alles, was Du willst, Philipp.“
Er nahm sie in seine Arme, hob sie auf wie ein Kind und trug sie nach dem einfachen Lager, das in einer kleinen Nische des Zimmers stand. Dort legte er sie hin, richtete ihr das Kissen bequem und breitete dann die graue Wolldecke über ihre Füße.
Sie lächelte ihn an und ihre Lippen berührten seine Hand.
„Setz’ Dich zu mir, Philipp!“
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0443.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)