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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0444.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Er holte einen Stuhl, stellte ihn neben das Bett und nahm an ihrer Seite Platz.

Ihre Hände umklammerten seine Rechte und seine Linke ruhte auf ihrer Schläfe. Bisweilen strich er leise über die schwarzen Löckchen, und sie sah ihn zärtlich an, während ihre Lider sich mehr und mehr senkten.

Endlich war sie entschlafen. Er regte sich nicht, seine Augen ruhten auf ihr. Seine Züge aber wurden ernster und ernster, alle Linien vertieften sich, es schien, als ob er um Jahre älter geworden wäre. So saß er fast eine Stunde lang und fast eine Stunde lang sah die Königin aus ihrem geheimen Versteck regungslos dem stillen Manne ins Antlitz.

Plötzlich fuhr Donna Luisa aus ihrem Schlummer auf. Erschreckt, verwirrt sah sie auf Roche Talmont und dann in dem Gemache umher. Er führte ihre Hand mit einer fast ehrerbietigen Gebärde an die Lippen und sie besann sich. Zugleich aber erschrak sie aufs neue über eine seltsame rötliche Helle, welche plötzlich ins Zimmer drang.

„Was ist das?“ rief sie aufspringend, „Feuer?“

„Die Sonne geht unter,“ erwiderte er nach dem Fenster sehend. „Die Sonne geht unter, Luisa, und wir müssen scheiden bis morgen.“

Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen und sah ihn bestürzt an.

„Und ich habe wirklich geschlafen? Ich konnte so lange schlafen?“

„Ja, mein Kind. Es war Dir nötig. Nun hast Du wieder Kraft.“

Sie sah nach dem Fenster und er horchte nach der Thür zu.

„Es scheint wirklich die Sonne zu sein – es wird dunkel –“

„Und ich glaube, man kommt. Leb’ wohl, Luisa … auf morgen …“

Zur selben Zeit, als Donna Luisa das Gemach verließ, erhob sich auch die Königin. Ohne ein Wort zu sprechen ging sie aus ihrem Versteck und Helene de la Gardie folgte ihr. Ein Offizier, der auf Befehl des Kommandanten auf dem Korridor wartete, führte die beiden bis zu dem geheimen Verbindungsgang zwischen Citadelle und Schloß. Hier entließ ihn Christine, und jetzt schien sie selbst das Bedürfnis zu empfinden, ein Wort zu sagen.

„Ich glaube,“ begann sie in etwas erregtem Tone, aber nur halblaut, „die Richter haben zu strenge geurteilt.“

„Roche Talmont ist eines Verbrechens nicht fähig,“ erwiderte Helene mit Nachdruck.

„Freilich spricht er ausgezeichnet,“ fuhr die Königin fort. „Viel besser als Vossius, der doch Doktor der Beredsamkeit ist.“

„Haben Majestät die Liebe nun kennengelernt?“

„Auch ist ein Politiker an ihm verloren gegangen. Er scheint meinen Adel besser beobachtet zu haben als ich selbst. Ich glaube, diese übermütigen, herrschsüchtigen Zwerge haben ihn nur verurteilt, um einen Fremden zu treffen, oder vielmehr ihre Königin.“

„Eure Majestät gehen nun vielleicht doch zu weit.“

„Beruhige Dich! Ich weiß, daß Dein Bruder und noch andere nicht zu dieser Partei gehören.“

„Werden Eure Majestät Roche Talmont begnadigen?“

„Du bist etwas vorwitzig. Ich werde morgen über sein Schicksal entscheiden.“

Als die Königin in das Vorzimmer ihrer Privatgemächer trat, meldete einer der dort Dienst habenden Pagen, daß die Doktoren Meibom und Naude bereits seit zwei Stunden warteten. Majestät hätte sie auf fünf Uhr befohlen.

„Sie mögen wieder gehen,“ antwortete Christine mißmutig. „Ich will heute niemand mehr sprechen …. Halt, noch eins! Die Tafel ist aufgehoben. Es ist für mich allein in meinem Arbeitszimmer zu servieren.“

Der Page ging und Helene de la Gardie wollte der Königin folgen. Aber diese entließ sie ziemlich kurz, weniger freundlich als sonst, mit den Worten: „Auf morgen, Helene!“ Dann verschwand sie in ihrem Arbeitszimmer und Helene zog sich, bestürzt über die Gedanken, die plötzlich mit der Gewalt einer Sturmflut über sie hereinbrausten, zurück.

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Am andern Morgen wurde Helene zu ungewöhnlich früher Stunde zur Königin beschieden. Zu ihrer lebhaften Verwunderung fand sie Christine bereits vollständig angekleidet. „Oder sollte sie gar nicht zu Bette gegangen sein?“ dachte sie, als ihr das etwas übernächtige Aussehen ihrer Gebieterin auffiel.

„Helene,“ sagte diese, während sie in den Papieren wühlte, mit denen der Schreibtisch beladen war, „ich brauche Deine Hilfe. Ich bin reich als Königin, aber arm als Frau. In meiner Garderobe habe ich nur Staatskleider und … und Alltagskleider. Ich möchte heute als Frau erscheinen, aber doch nicht in diesen Prunkgewändern. Willst Du mir Dein neues Kleid leihen – das rotseidene, in dem Du mir so gefielst? Wir haben ja die gleiche Gestalt es wird mir passen – und ich glaube, daß ich gut darin aussehen werde.“

„Majestät,“ stammelte Helene, „alles, was ich besitze, gehört natürlich meiner Herrin –“

„Du staunst,“ unterbrach sie die Königin. „Aber die Sache ist sehr einfach. Ich will fortsetzen, was ich gestern begonnen habe. Das Problem der Liebe zu Ende studieren. Da …“ – sie ergriff ein auf ihrem Schreibtisch liegendes Heft – „... gestern schickte mir die Scudéry ihre Abhandlung über die Liebe. Ich las sie noch – las sie vor dem Einschlafen. Wie einfältig das ist! Ich glaube, die Scudéry hat nie etwas anderes gethan, als Bücher geschrieben, und nun will sie über die Liebe schreiben! Geh, Kind, und lasse das Kleid herübertragen! Und dann – nicht wahr, Du bist mir ein wenig behilflich? Du weißt, daß ich die Kammerfrauen hasse.“

„Ich gehe, Majestät,“ sagte Helene, die keine Einwendung mehr wagte.

„Ja – mach’ rasch – und dann laß einen der Pagen eintreten!“

Helene de la Gardie entfernte sich und die Königin nahm ein Blatt Papier, das sie bereits beschrieben hatte, und versiegelte es.

Währenddessen trat der Page in das Zimmer und nun reichte ihm Christine das Blatt.

„An den Kommandanten der Citadelle,“ sagte sie. „Du gehst selbst und meldest Dich, wenn Du zurück bist.“

Als sie wieder allein war, erhob sie sich, trat an das Fenster und sah hinaus auf das junge Grün, das zwischen den schwarzgrauen Mauern und Türmen fröhlich emporsproß. Der energische Zug in dem noch mädchenhaften Antlitz trat stärker hervor und auch die Falte zwischen den Augenbrauen. Ihre Brust hob sich kräftiger, ihre Wangen röteten sich, in den ein wenig tiefliegenden großen stahlblauen Augen zeigte sich der Ausdruck leidenschaftlichen, unbefriedigten Grübelns. So sah sie Helene, als sie wieder eintrat, und die Erregung der Königin schien nur zu wachsen, während die Robe vor ihren Augen ausgebreitet wurde. Sie zog sich dann in ihr Ankleidezimmer zurück und Helene mußte ziemlich lange warten, ehe Christine wieder erschien.

„Es ist ohne jede Hilfe gegangen,“ sagte sie lächelnd. „Oder hast Du noch etwas zu tadeln?“

„Majestät sind wunderschön,“ erwiderte Helene aufrichtig entzückt, während sie um ihre Gebieterin im Kreise herum ging und sie von allen Seiten betrachtete.

Das gedämpfte und doch kräftige Rot der damastartig gewebten Seide kleidete die Königin vorzüglich. Ihr frischer Teint mußte unwillkürlich den Gedanken an „Milch und Blut“ wachrufen und das hellblonde Haar, aus dem nur ein Brillantstern leuchtete, wirkte jetzt noch auffälliger als sonst und schmückte die klare freie Stirn wie eine natürliche Krone. Nach der Sitte damaliger Zeit war das Kleid bis zu den Achseln ausgeschnitten und die Schultern hoben sich blendend von den mit Goldfäden durchsponnenen Spitzen ab, mit denen die miederförmige Taille und die bauschigen Aermel besetzt waren. In derselben Weise war auch der in den Hüften ein wenig verbreiterte, sonst aber glatt herabfallende Rock geputzt, dessen lange Schleppe Christine größer erscheinen ließ, als sie in Wirklichkeit war.

Was aber vielleicht mehr noch als die Toilette zu ihrer Verschönerung beitrug, war die Verlegenheit, die sie sichtlich empfand. Nichts erhöht die weiblichen Reize mehr als dieses lächelnde, unbewußte Staunen über das eigene Erblühen, und zu diesem aus Scham und instinktiver Siegesfreude gemischten Gefühl kam bei Christine noch die Ungewohntheit, sich in solch einem Kleide zu bewegen. Die Majestät ihrer Erscheinung litt dadurch ein wenig, aber die Weiblichkeit gewann.

Als die Hofdame die letzte Verbesserung an dem Kunstwerke vorgenommen hatte, meldete sich auch der Page wieder. Er berichtete, daß der Marquis von Roche Talmont, wie die Königin befohlen, um zehn Uhr nach dem Schlosse gebracht werden würde.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0444.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)
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