verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Christine gab noch einige Befehle, dann entfernte sich der Page. Helene de la Gardie war aus der harmlosen Freude, die ihr das Schmücken ihrer Herrin bereitet hatte, wieder aufgeschreckt worden. Die Gedankenflut stürmte aufs neue heran. Was beabsichtigte die Königin?
„Ich wünsche,“ sagte diese, „daß Du keinerlei Bewegung zeigst – weder Staunen noch Teilnahme. Roche Talmont wird sein Leben nicht verlieren – beruhige Dich! Aber wir wollen uns die Gelegenheit, die kaum je wiederkehrt, nicht entschlüpfen lassen. Wir wollen sehen, was an der Liebe ist. Gestern fühlte ich fast eine Schwäche. Was hat Roche Talmont bewiesen? Er hat schön gesprochen – vorzüglich gesprochen – aber was hat er gethan? Es mag auch sein, daß er den Tod nicht fürchtet, aber er liebt das Leben, mehr als das Leben – das Glück! Er hat sich gestern edler gezeigt als hundert andere Männer. Deshalb fordert er aber auch hundertmal mehr vom Glück als sie. Deshalb hat er auch einen Durst in der Seele, der ihn die letzte Probe nicht bestehen lassen wird. Vielleicht ist er aber auch nur ein Prahlhans und was ihn aufrecht erhält, ist die Hoffnung auf meine Gnade. Er fürchtet den Tod nicht? Bah – er glaubt nicht an ihn. Das ist alles. Und was hat er da über mich geschwatzt? Ich äffte die Männer nach? Nein, Herr Marquis, ich möchte auch kein Wesen euresgleichen sein. Kein Mann, aber auch nicht das Spielzeug eines Mannes! Die Liebe ist den Männern so viel wie ein Glas Wein, ein flüchtiger Genuß, und beim Weibe ist sie Thorheit, Glauben, Aberglauben, ein Wahn, den man ihm eingeimpft hat, um es allen Launen der Herren gefügig zu machen. Komm, Helene – zur Audienz!“
Helene blickte zugleich bewundernd und angstvoll auf die Königin. Christine schien wieder ihre alte Sicherheit gewonnen zu haben, sie war wieder die Tochter Gustav Adolfs … der Sohn Gustav Adolfs. Und doch war noch etwas anderes in ihr, was der Hofdame ein instinktives Bangen einflößte. Sie hob die Hände bittend und stellte sich blaß, mit heftig schlagendem Herzen, ihrer Gebieterin in den Weg.
„Majestät,“ flehte sie, „ich bitte nicht für mich. Ich fühle eine entsetzliche Furcht. Ich weiß nicht zu sagen, was geschehen könnte, aber wenn ich es dürfte, ich hielte Eure Majestät mit all meiner Kraft zurück – nur weil ich mich um diejenige ängstige, der mein ganzes Herz gehört. Eure Majestät hören doch in Sachen, die das Reich angehen, gern auf den Rat Ihres Kanzlers. Jetzt handelt es sich um Dinge, bei denen vielleicht das dunkle Gefühl eines Mädchens recht behält, eines Mädchens wie ich, das nicht viel Verstand hat, aber ein Etwas in der Brust – Majestät, lassen Sie Roche Talmont ziehen und spielen Sie nicht länger mit ihm!“
Die Königin hörte sie lächelnd an.
„Sieh, sieh!“ sagte sie dann. „Ein neuer Doktor der Beredsamkeit! Aber komm jetzt! Du weißt, daß ich immer pünktlich bin und … horch, da schlägt ja schon unsere Stunde. Komm!“
Sie öffnete selbst mit festem Griff die Thür – so rasch, daß draußen die Pagen emporsprangen, als hätte der Blitz eingeschlagen. Helene folgte ihr auf dem Fuße – nicht ohne einen tiefen Seufzer. Es war ein Gang, der ihr vorkam wie ein Gang zum Schafott.
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Erst im Audienzzimmer faßte sie wieder Mut. Die stolze Haltung der Königin, der sieghafte Blick ihrer Augen, das überlegene Lächeln, das den kleinen, mädchenhaft schwellenden, aber festen Mund umspielte, beschämte sie. Was konnte denn auch zu fürchten sein? Sie schalt sich thöricht und dachte, daß Christine recht habe, sie ein Kind zu nennen.
Dann, als sie Roche Talmont erblickte, schwanden alle diese Gedanken vor dem fast zärtlichen Interesse, das er ihr einflößte. Es war weniger sein inneres Wesen, das nicht so deutlich zu ihr sprach wie zur Königin, als seine äußere Erscheinung, was sie fesselte. Auch sie hatte gestern unverwandt eine Stunde lang in das schöne männliche Gesicht geblickt, in dem sich Kühnheit und Festigkeit so eigentümlich neben Güte und Heiterkeit der Seele aussprachen, und das durch die melancholischen Schatten, die der Augenblick darüber breitete, nur noch gewann. Die hohe kräftige Gestalt in der einfachen ritterlichen Tracht, die ernste Anmut in seinem Auftreten, seinen Bewegungen machten auch jetzt wieder ihr Herz schneller schlagen. Sie kannte nur Männer, die ihr Achtung einflößten, die aber hölzern, rauh und sogar abstoßend waren, und solche, die von Liebenswürdigkeit überflossen, aber den Eindruck von Jämmerlingen oder Schauspielern machten, sie kannte nur die Kriegergestalten Gustav Adolfs, die Gelehrten der Königin und die Gecken, die wie überall daneben mitliefen. Roche Talmont war der erste Mann, dessen Bild sich tief in ihre Seele grub.
Auch die Königin stand sichtlich unter dem Einflusse seiner Anwesenheit. Der lächelnde, ironisch überlegene Ausdruck ihres Gesichtes schwand, sie wurde ernst und wandte sich ohne Stolz, mit einer gewissen Teilnahme, einem wärmeren Klang der Stimme an ihn.
„Herr Marquis,“ sagte sie, „wie das Unglück auch geschehen sein mag, Ihr habt unter allen Umständen gefehlt. Meine Richter haben den Spruch gefällt, den sie nach dem Gesetze fällen mußten, aber mein Wille steht über dem Gesetze, und es ist mein Wille, Euch die Buße für Euer Vergehen zu erlassen. Allein eine Bedingung ist daran geknüpft. Wenn auch mein Wille über dem Gesetze steht, so ist es doch fern von mir, in meinem Reiche nach Willkür und Laune zu schalten. Was geschieht, geschieht nur, weil ich es will, aber ich will nur das, was ich weise geprüft habe, entsprechend dem geistigen Vermächtnis meines großen Vaters, für das ich ihm dankbarer bin als für die Länder und Völker, die er mir hinterließ. Ich habe Euch erkannt, Herr Marquis, und wenn Ihr Lust habt, in meine Dienste zu treten, dann steht Euch ein Weg offen, der vielleicht bis zu den höchsten Stellen des Reiches führt. Ihr kamt hierher, um Euer Glück zu suchen – nun wohlan, das Glück lächelt Euch! Aber Ihr kennt die Stimmung meines Adels, Ihr kennt die Pflichten der Klugheit, die ich habe. Ihr müßt ein Schwede werden, müßt jede Brücke mit der Heimat abbrechen, müßt eintreten in diesen Adel, Euch durch Bande an ihn knüpfen, die sein Interesse mit dem Euren verbinden, so daß Ihr kein Fremder mehr seid, sondern einer von uns. Es ist ein thörichtes Hirngespinst einiger in ihrem Ehrgeiz gekränkter, in ihrer Herrschsucht verletzter Heißsporne unter meinen Adligen, daß ich geneigt sei, eine Fremdherrschaft aufkommen zu lassen. Die Männer der Wissenschaft, die ich beschütze, haben nicht den geringsten Einfluß auf meine Regierung, in dem Rate meiner Krone sitzen nur Schweden und solche, die es längst geworden sind, wie Ihr es werden sollt. Seid Ihr bereit, Herr Marquis, dem Verhältnisse zu jener Spanierin Donna Luisa de Mendez zu entsagen und Euch unter den Töchtern meines Landes eine Frau zu suchen?“
Roche Talmont hatte die Rede der Königin ruhig, in ehrerbietiger Haltung angehört; bei den letzten Worten aber richtete er sich, als hätte ihn ein Schlag getroffen, wieder ganz auf, seine Augen blitzten und eine leichte Röte flog über seine Wangen und seine Stirn.
„Ich danke Eurer Majestät für Ihre gnädige Gesinnung,“ erwiderte er mit fester Stimme und doch nicht ganz ohne Weichheit. „Ich wäre gern bereit, mit allem, was der Allmächtige mir verliehen, Eurer Majestät zu dienen. Mit meinem Kopfe, mit meinem Arme, mit meinem Blut! Donna Luisa aber ist mir so viel als mein angetrautes Weib und nichts kann mich von ihr trennen als die Gewalt. Ich muß auf die Gnade Eurer Majestät verzichten, wenn diese Bedingung daran geknüpft ist.“
Die Königin sah ihn an und es gelang ihr nicht ganz, ihren Unmut zu verbergen. Ihr Antlitz rötete sich, die Brauen zogen sich zusammen, das feine Spitzentuch in ihrer Rechten wurde zu einem Ball zusammengedrückt.
„Ihr macht sonst gar nicht den Eindruck eines verliebten Narren – Herr Marquis,“ sagte sie mit vor Aufregung zitternder Stimme. „Es mag vielleicht irgendwo eine oder die andere Frau geben, für die man wohl sein Leben in die Schanze schlagen mag. Aber diese – diese Donna Luisa! Was für einen Zaubertrank hat sie Euch gegeben, Herr Marquis, daß Ihr für sie ein Leben hinopfert, das Euch auf den Gipfel menschlichen Glücks führen könnte?“
Roche Talmont antwortete nicht gleich. Er sah die Königin an, und doch war es, als ob sein Blick in eine wunderliche Ferne dränge. Seine Augen wurden feucht und nahmen einen träumerischen Glanz an. Endlich kam ein ganz leises Lächeln auf seine Lippen und er sagte seufzend: „Ich liebe Donna Luisa. Seit wir uns kennen, ist es mir, als sei sie ein Teil von mir. Obwohl wir getrennt waren, war sie doch stets mein, sie hat meine Seele erfüllt, ich lebte in ihr. Eure Majestät mögen andere Frauen schöner finden, besser,
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0446.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)