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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0487.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Und ich verlang’ nix! Arbeit nach Feierabend mach’ ich bloß zur Rekrazion. Das is kein G’schäft nimmer!“

„Und ich will nix g’schenkt haben und mach’ keine Schulden. Und wenn mir net sagst, was verdient hast, muß ich halt selber schätzen! Vier Mark kriegt einer, der ordentlich arbeit’ den ganzen Tag … macht vierzig Pfennig’ auf d’ Stund’ … und die halbe Stund’ da jetzt … so bin ich Dir zwanz’g Pfennig’ schuldig.“

Daß sie so genau rechnete, das ärgerte ihn. „Billig machst es! … Da könnt’ ein Schmied auskommen! Bei Deiner Rechnerei! … Und der Stahl, meinst, der kost’ gleich gar nix?“

„Mehr als zwei Fünferln wird das Bröckl doch wohl net wert sein! Da hast’ Deine dreißig Pfennig’!“

Er streckte die Hand, aber Vroni legte das Geld auf den Amboß, packte das Beil und den Spaten und schritt ohne Gruß zum Thor hinaus.

„So? So?“ schrie Schorschl mit einer Stimme, die ihm kaum aus der Kehle wollte. „Da kauf ich mir jetzt grad’ eine Maß Bier dafür! Grad’ mit Fleiß!“ Mit zornigem Griff nahm er das Geld und schob es in die Tasche. „Dürsten thut mich eh’, daß mir einwendig alles wie lauter Feuer is!“ Wütend faßte er den Wasserzuber, füllte ihn aus dem Bottich und löschte mit einem Guß die Glut in der Esse. Dann wusch er Gesicht und Hände und trocknete sie mit der Kehrseite des mürben Schurzfells. Darüber schien er seines durstigen Vorsatzes vergessen zu haben; denn aus einem Wandschrank nahm er seine Trompete hervor und ging hinters Haus in den Garten. Hier setzte er sich auf die Thürschwelle und spähte erwartungsvoll nach dem Sträßchen, das zum Gehäng des laufenden Berges führte. Plötzlich hob er die Trompete an den Mund; aber sei es, daß ihm von der Kühle des Abends die Finger steif geworden, oder sei es, daß er die richtige „Amboschur“ nicht hatte – er mußte ein paarmal ansetzen, bevor er einen klaren, schönen Ton zuwege brachte. Und da blies er nun mit schmachtenden Klängen:

„Du, Du liegst mir im Herzen,
Du, Du liegst mir im Sinn,
Du, Du machst mir viel Schmerzen,
Weißt nicht, wie gut ich Dir bin!
Jaaa, jaaa …“

Ohne das Lied bis ans Ende zu blasen, setzte Schorschl die Trompete ab und ließ sie zwischen den Knieen baumeln.

„Mir scheint ja gar, ich bin in das Madl verliebt!“

Er hatte wohl in seinem ganzen Leben noch kein so dummes Gesicht gemacht wie jetzt, da diese Erkenntnis in ihm auftauchte.

„Sakra! Da bin ich aber schön ang’rumpelt!“

Langsam erhob er sich, kraute sich hinter den Ohren und seufzte tief.

„Na! Na! Da schaut nix Gut’s net raus!“ Es befiel ihn die Versuchung, über sich selbst zu lachen. „Schorscherl, Schorscherl,“ sagte er mit der Stimme der Bäckenmahm’ – und dann wieder mit seiner eigenen: „Du bist ein narrisches Luder!“ Wie er das „narrisch“ betonte, das hätte für die Thorheit eines ganzen Faschings ausgereicht.

Aber dann verging ihm das Lachen, und er seufzte wieder. Mit kurzen Schritten trat er ins Haus, kochte das Nachtmahl, und auf dem Herd sitzend, löffelte er den Schmarren aus der Pfanne. Nachdem er draußen im Hof an der Brunnenröhre getrunken hatte, schloß er das Werkstattthor und die Hausthüre, zündete sein Pfeiflein an und setzte sich in der dunklen Stube auf die Ofenbank.

Bei jedem Paffer Pfeifenrauch, den er vor sich hinblies, krabbelte ihm eine Sorge über den Rücken herauf. Doch einem, der sich am Tage müde gearbeitet, erscheinen alle Sorgen um so leichter, je schwerer ihm die Glieder werden.

Als die Glut in der Pfeife erloschen war, erhob sich Schorschl, um sich nach seinem Lager zu tappen. Und kaum hatte er sich ausgestreckt, da fiel ihm schon der Schlaf über die Augen. Im Dusel tauchte ein Bild in ihm auf – war es Erinnerung? oder war es schon Traum?

Er sah die Schlafkammer der beiden Simmerauer-Leute, genau so wie in der letzten Nacht, sah das Licht erlöschen und hörte die zwei Alten miteinander schwatzen. Aber merkwürdig! Mutter Katherl sagte: „Gut’ Nacht halt, lieber Schorschl!“ Und der alte Michel erwiderte: „Gut’ Nacht, mein Vronerl, mein gut’s! Jetzt schlaf’ halt ein und thu Dich net sorgen!“


6.

Weißer Reif schimmerte auf allen Wiesen des Berghanges, und im Hof des Simmerauer waren die Pfützen von dünnen Eiskrusten überzogen, als Michel früh am Tag aus der Hausthür trat, mit übernächtigen, müden Zügen.

Beim Anblick der kleinen, blinkenden Eisscheiben, die wie gläserne Augen aus allen Grübchen des erstarrten Schlammes hervorlugten, atmete er erleichtert auf. „Mathes!“ rief er und klopfte an das Stubenfenster. „Geh, komm und schau!“

Hastig und erschrocken kam Mathes aus dem Flur gerannt. „Is was passiert?“

„Na! G’froren hat’s in der Nacht! Da schau!“

Mathes bückte sich, drückte mit dem Finger eine der Eisscheiben ein und prüfte die Härte des Bodens. „Arg tief geht’s net. Bloß obenhin hat’s ein bißl an’zogen.“ Er sah, wie es über das Gesicht des Vaters zuckte, und fügte mit raschen Worten bei: „Aber fester is der Boden doch wie gestern, und ’s Eis ein bißl dicker. Ja, ja, Vater, es wird kälter mit jeder Nacht. Ich mein’ doch, daß der richtige Frost bald einfallen sollt.“

„Meinst?“

„Ja, Vater!“

„Kannst schon recht haben, Bub’! Ich mein’ selber, daß der Frost nimmer lang warten laßt.“ Nickend hob Michel die Augen zum Himmel. „Er hat mein Sprüchl halt doch verstanden!“ Aber bei aller Hoffnung befiel ihn schon wieder eine neue Sorge. „Sag’, Mathes … wenn aber jetzt mit Gott’s Willen der Boden g’friert … und ’s unt’rische Wasser möcht’ in d’ Höh’ … so kann’s ja nimmer durch, wenn der Boden steinhart is? Und hast es doch g’hört, daß die Kammissoni g’sagt hat: ’s unt’rische Wasser müßt’ wieder steigen, wenn alles gut sein sollt’?“

„Da thu Dich net sorgen, Vater! G’friert der Boden bis ’nunter, so g’friert ’s Wasser mit … und von die Wänd’ ’runter lauft kein neu’s Wasser nimmer zu!“

„Ja, das is auch wieder gut!“

„G’friert’s aber net bis ’nunter, so druckt sich ’s Wasser, wenn’s steigen will, deswegen doch wieder durch.“

„Glaubst?“

„Ja, Vater, das glaub’ ich fest! Weißt, so ein Wasser hat gar ein’ sakrischen G’walt.“

„Freilich, freilich! Tragt ja ein’ ganzen Berg davon … da wird’s doch im Notfall auch so ein Bröckl Boden in d’ Höh’ schieben können?“

„Aber g’wiß!“

„Der liebe Gott soll’s geben!“ Schwer atmend strich der Simmerauer mit den Händen übers Haar. Er wollte noch etwas sagen, aber da wurden im Flur die Stimmchen der beiden Kinder laut, und Vroni kam aus der Thür, mit dem Beil in der Hand.

Ihr Gesicht hatte nicht die frischen Farben wie sonst, und ein Schatten lag um ihre Augen. Aber sie nickte dem Vater lächelnd zu und deutete mit dem Beil auf die gefrorenen Pfützen.

„Gut, Vaterl, gut schaut’s aus!“ Sie ging zum Hackstock, um ihre Arbeit zu beginnen.

Der Simmerauer sah seine Tochter mit prüfenden Blicken an – etwas an ihr schien ihm nicht zu gefallen. Doch ihn drückte noch etwas anderes, und das schien ihm wichtiger. „Komm,“ sagte er halblaut zu Mathes, „speggalieren wir ein bißl umeinander, ob sich nix g’rührt hat in der Nacht.“ Er ging seinem Buben voran in den Garten. Als er an der Hausecke vorüberkam, strich er zärtlich mit der Hand über die Mauer und seufzte.

Mathes mochte gemerkt haben, daß ihm der Vater etwas sagen wollte; denn forschend blickte er dem Alten ins Gesicht.

Mit langsamen Augen spähte Michel an den Wänden hinauf, dann über den Boden hin. Alles war unverändert. Nirgends in der Erde ein Riß oder eine Senkung. Der Balkenrost, den sie mit angestrengter Arbeit am vergangenen Abend vollendet hatten, schien seine Schuldigkeit zu thun und den ganzen Grund um das Haus her fest zusammen zu halten. – Jetzt mußte der Verhau an der Böschung noch verstärkt und dichter verflochten werden. Am verwichenen Abend, während Vroni das Beil und den Spaten in die Schmiede getragen hatte, waren Michel und Mathes in den Wald gegangen, um die für das Flechtwerk nötigen Aeste von den Bäumen zu schlagen; der ganze Haufen, den sie heimgebracht, lag im Hof und Vroni putzte mit dem Beil die kleinen Zweige von den Ruten.

„Vater?“ fragte Mathes, als sie in den Garten kamen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0487.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)
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