Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1896) 0492.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


Fredy.

Novelle von Marie Bernhard.
(Schluß.)


3.

Ein herrlicher Sommertag! Blaufunkelnd wogte das Meer, in breiter Goldflut ergoß sich freudiger Sonnenschein über Feld und Wiesen. Um die wilden Blumen taumelten bunte Schmetterlinge, in geschäftigem Summen schwirrten die Bienen um offene Kelche. Aus stolzen Wipfelkronen flötete die Amsel, lockte der Buchfink, schmetterte der Zeisig sein keckes Liedchen, und unaufhörlich fragte der kleine Goldammer dazwischen sein eintönig liebliches „Hast, hast, hast Du mich lieb?“

00Dort in die Schluchten, die hier und da vom Strande aufwärts in den Wald hineingingen, konnte vor Abend kein Sonnenstrahl durchdringen. Tiefblaue Schatten lagerten sich da, ein satter violetter Ton webte über den gewaltigen Farrenkräutern, die ihre gerippten Wedel bis in das Bächlein herabsenkten, das hier in Zischen und Sprühen weißflockig über die Kiesel tanzte, dort fadendünn von braunrötlicher nackter Felsenbrust niederträufelte. Ab und zu fing eine von den großen blaudunkeln Glockenblumen, wie sie zahllos am Bachesrand wuchsen, einen von den herabsprühenden Tropfen auf, so daß er wie ein Diamant in dem offenen Kelch funkelte. Im Waldesdickicht brach und knackte es, mit scheuem Lugen streckte ein Reh sein feines Köpfchen vor und hielt furchtsam inne, sobald unter seinem flüchtigen Fuß ein Aestlein entzweiknickte. Hoch oben im blauen Duft tummelten sich die Möwen, stießen mit kühnem Flug nach unten, segelten in weitem Bogen über die Schlucht und strichen dicht am Meer hin, in neckendem Spiel die Flügelspitzen ins Wasser tauchend. Einige unter ihnen legten sich mit der silberweißen Brust auf die Wellen und ließen sich von der Brandung werfen, während der Fischreiher droben beutegierig seine Kreise zog. – Ostpreußischer Strand ist schön, und mit Recht sagen seine Bewohner, wenn man die Abgelegenheit ihres Landes, die Kargheit seiner Reize bedauert, mit stolzer Betonung: „Aber wir haben doch unseren Strand!“ Hier auch, in diesem stillen Badeörtchen hatte Mutter Natur ihre gütige Hand aufgethan und Land und Strand mit stolzen Bäumen, mit wild aufgetürmten Felsgruppen, mit üppig wucherndem Buschwerk und einer Unzahl köstlicher Waldblumen geschmückt, die den Wanderer lockten und lockten, bis er sich tief im Herzen des Waldes befand, wo kein Pfad mehr führte.

„Bei den Klippen“, so hieß eine Stelle, zu der man vom Walde aus gelangen konnte, mühsam freilich, oft auf ungeebneten Wegen, häufiger noch steil aufwärts, wo der Fuß den Halt verlor und die Hand zu Hilfe genommen werden mußte, um am zähen Gesträuch eine Stütze zu suchen. Gefährlich für den Schiffer waren sie freilich nicht, diese schroffen, nackten Felskolosse, dazu ragten sie zu steil und weithin sichtbar über den Spiegel der See empor. Man genoß von ihnen einen wunderbaren Rund- und Umblick über Meer und Wald und Land, den Sonnenuntergang hatte man auf ihrer Höhe herrlich vor Augen. Jedoch nur für tüchtige Fußwanderer war der schöne Aussichtspunkt zu erreichen; für Wagen und Reiter war der Pfad nicht gangbar.

Als Frau Hildegard Bingen nachmittags zum Versammlungsplatz im Walde kam, Fredy an der Hand führend, erfuhr sie, daß heute dieser Aussichtspunkt das Ziel der gemeinsamen Wanderung sein sollte. Sie hatte wohl einige Bedenken, ob ihrem Knaben der Weg nicht zu weit und zu beschwerlich sein möchte, aber der Arzt hatte ihm weites Gehen geradezu verordnet, mit dem Zusatz: „Wir dürfen ihm durchaus nicht das Gefühl geben, als gäbe es allerlei, wofür er zu zart und schwächlich sei. Es ist Zeit, daß er es lernt, sich auf seine eigene Kraft zu verlassen, bei dem ewigen Behüten und Abwägen kommt nichts heraus!“ Da auch Baron von Trutzberg, als er Hildegards Zaudern bemerkte, mit Ostentation rief: „Wenn die gnädige Frau nicht dabei ist, gehen wir alle nicht!“ und diese Worte mit einem sehr sprechenden Blick begleitete, so fühlte die junge Frau ihren ohnehin nicht sehr ernst gemeinten Widerstand schmelzen.

Der schöne Kürassieroffizier schien es heute überhaupt darauf anzulegen, seine Verehrung für Frau Hildegard vor der versammelten Gesellschaft, die aus etwa achtzehn bis zwanzig Köpfen bestand, offenkundig an den Tag zu legen. Es ist immer ein merkwürdiges Schauspiel, wenn ein von der Natur besonders bevorzugter Mann gegen die ganze Welt eine übermütige Siegerlaune zur Schau trägt und nur mit einer Einzigen eine Ausnahme macht .... ein Schauspiel, das bei dieser einen Einzigen gewöhnlich auch seines Erfolges sicher ist!

„Er geht scharf ins Zeug!“ dachte Lutz von Bredwitz für sich, der, nachdem er allen Anwesenden vorgestellt worden war, ein wenig seitwärts blieb und den stillen Beobachter abgab. „Er bläst zur Attacke, der flotte Hans Henning, und, wenn nicht alle Zeichen trügen, wird er einen leichten Sieg zu verzeichnen haben! Hat immer die Weiberchen heillos rasch am Bündel gehabt und ist ja auch ’n schöner Kerl, tannenschlank gewachsen, Prachtfigur, und den richtigen Rassestempel, was Kopfhaltung und Hände und Füße betrifft und nun die Brandraketen von Augen im Kopf …. da mag es für ein Weib schwer sein, das Herz festzuhalten! Schön ist sie nun nicht, seine Auserkorene, da hat er recht, und wenn er mit der am Arme Visiten schneidet, wird auch jeder zuerst ans Portemonnaie denken, – aber häßlich ist sie auch nicht, sie sieht gescheit aus, und wenn’s nicht sentimental klänge, würd’ ich von ihr sagen, sie hat ein liebes Gesicht! Auf ihren Sprossen scheint sie freilich große Stücke zu halten, läßt ihn kaum aus den Augen, und der Junge wird in der neuen Ehe den unausbleiblichen Haken abgeben, und zwar ’nen eklichen Haken, da laß ich meinen Kopf zum Pfand! Ja – ich werd’ es doch nicht ändern können! Was mir aber Fanny und Philipp der Gute heute bei Tisch so beiläufig über die Vermögensverhältnisse der Frau – Frau – wie heißt sie gleich? – Bingen erzählt haben, das giebt mir die Zuversicht, daß Trutzberg denn doch ’nen riesigen Glückstreffer mit ihr macht … trotz Stiefsohn und allem!“

Während das dicke Lützelchen sich diese Gedanken gemütlich durch den Kopf gehen ließ, – er besorgte nichts geschwind, auch das Denken nicht! – standen die beiden neuen Kameraden Fredy Bingen und Lutz Ortmann nebeneinander und musterten sich mit den Augen, ohne zu sprechen. „Die beiden Bengel beschnüffeln sich wie zwei junge Hunde!“ dachte Bredwitz und sah ihnen belustigt zu.

„Bist Du der, von dem mir der gesagt hat?“ brach endlich Fredy das Schweigen und wies auf Lutz den Aelteren.

Das hellblonde Bürschchen mit dem rosigen, kugelrunden Kindergesicht nickte und zupfte an seinem Matrosenkragen.

„Kannst Du auch schon lesen?“ fragte es nach einer neuen Pause, um auch seinerseits zur Belebung des Gesprächs beizutragen.

„Ja – schon lange – seit dem Winter!“

„Ich auch! Hab’ einen Lehrer ganz allein für mich gehabt!“

„Ich hab’ bei meiner Mama gelernt!“

„Ist das die mit der hellblauen seidenen Bluse?“

„Ja!“

Eine neue Pause.

„Bleibt ihr lange hier?“ fing Lutz Ortmann von neuem an.

„Weiß nicht. So lange, wie meine Mama will. Und Du?“

„Ach – na, – den Sommer bis zu Ende. Wir haben uns ja hier ’ne eigene Villa gebaut!“ Dies sagte er mit einem scheinbar gleichgültigen Gesicht, aber mit einem kleinen fragenden Seitenblick, ob Fredy diese Thatsache auch gehörig imponiere.

„Wir haben ein Landgut!“ sagte dieser einfach dagegen.

„Ach! Aber ist das nicht da langweilig – so im Winter?“

„Mit Mama? Niemals! Und dann kommt immer Onkel Hugo –“

„Wer ist das?“

„Na … Onkel Hugo Haßler! Hat auch ein Landgut, nahe bei unserm, und liest Mama vor und fährt mit uns spazieren, und spielt auch mit mir. Sieh mal, das ist auch von ihm!“

Mit einiger Mühe holte Fredy aus der Tasche seines Höschens einen Ball heraus. Es war ein wunderhübscher Ball, mit bunter Seide kreuz und quer übersponnen, und als Fredy ihn auf die Erde warf, that er einen hohen Satz.

„Der ist fein!“ sagte Lutz bewundernd. „Solchen Ball hab’ ich noch nie gehabt!“

„Das neueste aus Berlin!“ nickte Fredy wichtig. „Mein Onkel Hugo, der läßt immer das allerneueste aus Berlin für mich kommen!“

„Den hast Du also sehr lieb?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0492.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2022)
OSZAR »