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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0557.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

ist man zu sehr entgegengesetzten Ansichten gekommen. Die einen halten den Granatreichtum bei der ungeheuern Fruchtbarkeit dieser Tiere – das Weibchen setzt mehrere tausend sandfeiner Eier ab – für unerschöpflich, die andern wünschen Schonungsmaßregeln. Es wurde angeordnet, daß die Zwischenräume der Stäbe an den Fangkörben weiter zu machen seien. Dadurch finden die allerkleinsten Krebse Gelegenheit, zu entkommen und dem traurigen Schicksal zu entgehen, als Dünger ausgesät zu werden. Uebrigens ist die Dungkraft der Granaten außerordentlich groß, und auf dem leichtesten, unfruchtbarsten Sandboden gedeihen die damit gedüngten Früchte auffällig gut. Schauderhaft ist jedoch der Aasgeruch, den die verwesenden Krebse auf den Feldern ausströmen. Mag nun aber auch der Dünger noch so wirksam sein, man muß doch den kleinen Krustentieren einige Schonung wünschen, und diese bietet ihnen von Zeit zu Zeit die Natur. Es giebt Jahre, in welchen die Quallen in ungewöhnlich großen Mengen erscheinen. Diese füllen dann die Fangkörbe aus und machen dadurch den Granatfang unmöglich. Der Fischer ärgert sich wohl über das schleimige Zeug, das ihm sein Geschäft verdirbt, aber das nächste Jahr bringt ihm Trost, da die Granaten sich inzwischen reichlich vermehrt haben und nach einem Quallenjahr die Fänge um so ergiebiger ausfallen.

Granatkörbe an einer „Tief“.

So zieht sich denn das Leben des friesischen Granatfischers eintönig und mühsam hin, kaum, daß ab und zu ein fortgespültes Boot und ein paar von der Flut fortgerissene Körbe, die im Winter an Land geschafft werden, eine unangenehme, ein gefangener Seehund oder ein erbeuteter Delphin (Tümmler) eine angenehme Unterbrechung seiner Tagesbeschäftigung bilden. Auch das Wort „Saure Wochen, frohe Feste“ scheint für ihn nicht bestimmt zu sein, denn äußerliche Vergnügungen, Tanzmusiken und Kneipenleben finden bei dem ernst angelegten Volke keinen rechten Boden. Ein vereinzeltes Schützenfest, ein meist in Verbindung mit bäuerlichen Pferderennen stattfindendes kleines Wettrutschen mit den Schlöpen und im Winter das eigenartige „Klootschießen“, das zwischen zwei Parteien oder ganzen Kirchspieleinwohnerschaften nach einem bestimmten, oft stundenweiten Ziele vereinbarte Fortschleudern einer Kugel über den gefrorenen Boden, das sind die Volksbelustigungen in diesen Gegenden. Die farbenheitere Festesfreude der südlichen und westlichen deutschen Stämme mangelt den friesischen Strandbewohnern. ––

Dem Granat verwandte Krebse werden, wie wir noch hinzufügen möchten, auch an anderen Meeresküsten gefangen. Die Ostseekrabbe oder Garneele (Palaemon squilla) hat zwar keinen besseren Wohlgeschmack, wird aber wie schon gesagt höher geschätzt, da sie beim Kochen sich schön rot färbt. Besonders hoch ist der Garneelenfang in Holland entwickelt, von wo aus jährlich gegen zwei Millionen Liter nach England verschifft werden. Auch im Mittelmeer blüht dieser Zweig der Seefischerei, und zwar seit uralten Zeiten; haben doch bereits die Küsten des alten Karthago Garneelen für die Tafel der römischen Kaiser geliefert! In Indien verwendet man ein mit Gewürzen vermengtes Garneelenpulver als Nahrungsmittel und die chinesische Hafenstadt Tschi-fu verfrachtet jährlich gegen 9000 Centner dieser kleinen Krebschen in getrocknetem Zustande. Aehnliches ist an den Küsten Amerikas der Fall, überall nährt sich der Mensch von der Ueberfülle der Kruster des Meeres. Neuerdings haben die Garneelen noch eine andere nützliche Verwendung gefunden. Sie werden nach dem Kochen getrocknet und zu Granatmehl und Granatschrot vermahlen, um ein ausgezeichnetes Fisch- und Vogelfutter für die Volieren des Vogelfreundes oder für Fischzuchtanstalten zu liefern. Daß sie in gedörrtem Zustande als Hühnerfutter versandt werden, haben wir oben schon erwähnt.


Fräulein Nunnemann.
Erzählung aus vergangenen Tagen.0 Von Eva Treu.

 (Schluß.)

Fräulein Nunnemanns Brief begann sehr schwermütig, ihrem gerechten Schmerz um den geliebten Dahingeschiedenen Ausdruck gebend. Er ging dann dazu über, mich darauf aufmerksam zu machen, wie doch jede Bitterkeit auch ihren Tropfen Honigseim in sich trüge, und er schloß damit, mir triumphierend mitzuteilen, daß der würdige Peter Nunnemann bei seinem Tode kein Testament hinterlassen hätte, daß infolgedessen sein gesamtes, ziemlich beträchtliches Vermögen an seine einzige überlebende Verwandte, seine Nichte Natalie, gefallen sei, und daß sich Fräulein Nunnemann deshalb augenblicklich in der glücklichen Lage sähe, ihrer ferneren Zukunft ohne die leiseste Sorge entgegenzusehen. Fräulein Nunnemann verfehlte auch nicht, herzlich hinzuzufügen, daß es ihr immer Vergnügen machen würde, wenn sie mir auf meinem Lebenswege einmal von Nutzen sein könnte.

Kurz, es war ein wirklich und durchaus erfreulicher Brief, selbst in Bezug darauf, daß er gar nicht so schlecht stilisiert war, als man wohl eigentlich hätte erwarten dürfen. Er ging samt ihrem Bilde in unserem Städtchen von Hand zu Hand, stand doch nichts darin, was ein Geheimnis hätte bleiben müssen, man entsann sich mit Heiterkeit der alten, längst vergangenen Zeiten, freute sich, daß Fräulein Nunnemann jetzt als Lehrerin keinen Schaden mehr anrichten könnte, und sie war mit einem Worte, nachdem sie so lange bei uns ganz verschollen gewesen war, für eine kurze Weile wieder die Heldin des Tages geworden.

Aber es sollte damit noch nicht genug sein. Kaum einen Monat nachdem ich einen die Beileidsbezeigungen und Glückwünsche unserer ganzen Familie enthaltenden Brief an sie abgesandt hatte, traf wieder eine Antwort von ihr ein. Diesmal trug das Couvert keinen Trauerstreifen, im Gegenteil war es mit einer Oblate in Form einer roten Rose verschlossen. Der Brief war sehr schwer, ich hatte Strafporto zu zahlen, als ich ihn empfing, und als ich ihn öffnete, fielen mir als erstes drei Photographien in die Hand. Das erste Bild zeigte eine Kindergruppe: vier kleine magere, verschüchtert aussehende Mädchen zwischen vier und zehn Jahren, sämtlich in großkarierten, sogenannten schottischen Kleidern, ebenfalls sämtlich mit kurzen, dünnen, blonden Haarzöpfchen, die sorgsam, soweit sie eben reichen wollten, über die Schultern nach vorn gelegt waren, um zur Geltung zu kommen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0557.jpg&oldid=- (Version vom 21.10.2022)
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