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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0560.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

in mein Haus geführt hat. Arbeitet Ihre Mama noch in der alten Weise?“

„Ob sie noch frisiert?“ sagte Paula freimütig. „Nein, das hat sie aufgegeben, seit sie zu Dora gezogen ist. Dora ist unsere Aelteste. Sie wissen vielleicht, daß sie früher Spitzen zu klöppeln pflegte? Sie ist seit einem Jahre glücklich verheiratet und bestand natürlich darauf, daß Mama bei ihr wohnen müßte.

Die Zweitälteste bin ich. Was aus mir geworden ist, sehen Sie. Seit ich mein Examen gemacht habe, stehe ich auf eigenen Füßen. Von unseren beiden Jüngsten ist die eine in ein Putzgeschäft eingetreten, die andere ist Kindergärtnerin geworden. Zufriedene Menschen sind wir alle.“

Und das war das letzte, was ich von Fräulein Nunnemann erfahren habe.


Leben, Trachten und Sitten der chinesischen Frauen.

Von Ernst v. Hesse-Wartegg.
I.

Am ersten Tage meines Aufenthaltes in Kanton gewahrte ich in dem Straßengewirr dieser größten Stadt des „Reiches der Mitte“ an einer Straßenbiegung eine junge Chinesin, ihrer Kleidung nach zu schließen, den besseren Ständen angehörig. Auf ihren winzigen Füßchen trippelte sie unbeholfen, auf einen Schirm gestützt, einher – ein seltsames Wesen mit bemaltem Gesicht und üppigem schwarzen Haar, in welchem einige natürliche Blumen steckten. Die Chinesen, die ihr begegneten, blickten sie spöttisch an, einige riefen ihr mir unverständliche Worte zu, andere verhöhnten sie durch Gebärden. Die Chinesin aber ließ alle Passanten unbeachtet. Verwundert über diesen Vorgang bat ich meinen Dolmetscher um Aufklärung. „So geht es den Frauen immer,“ belehrte er mich, „wenn sie sich ohne Begleitung auf die Straße wagen. Anständige Frauen sollen bei uns das Haus nicht verlassen, und thun sie es, so lassen sie sich in geschlossenen Sänften tragen oder sie nehmen Begleiterinnen mit.“

„Aber die vielen Frauen, die wir hier in den Straßen sehen,“ frug ich wieder, „bleiben doch unbeachtet? Kein Mensch scheint sich um sie zu kümmern?“

„Weil sie arm sind, nur Arbeiterinnen und Frauen aus dem Volke. Aber Damen dürfen sich so nicht sehen lassen: das ist gegen die Sitte.“

Thatsächlich fand ich während meiner folgenden Reisen und Aufenthalte in größeren Städten diese Bemerkungen bestätigt. Der Gegenstand war so interessant, daß ich überall trachtete, so viel als möglich darüber zu erfahren. Auf vielen früheren Reisen hatte ich beobachtet, daß nichts so richtig auf den Kulturzustand eines Volkes schließen läßt wie die Stellung der Frau. Je höher diese bei einem Volke geachtet wird, je höher ihre Stellung in der Gesellschaft und im öffentlichen Leben ist, desto höher ist die Kultur des betreffenden Volkes. In China ist diese Stellung nicht so tief, als es den Anschein hat. Die Mißachtung der Frau ist nur äußerlich und durch althergebrachte Formen eingeimpft. In Wirklichkeit spielt sie vielleicht eine ebenso wichtige, wenn nicht wichtigere Rolle, sie ist geachteter und einflußreicher als bei manchem anderen Volke, dessen Kulturzustand für höher angesehen wird als jener der Chinesen.

Der Fremde, der länger in China weilt, wundert sich in der ersten Zeit, den Chinesen niemals in der Gesellschaft ihrer Frauen und Töchter zu begegnen. Empfängt der Chinese zu Hause, so bleiben die weiblichen Mitglieder seiner Familie unsichtbar; giebt er Diners, so nehmen nur Männer, zuweilen auch Courtisanen daran teil, niemals die Frauen; besucht er das Theater, so werden die Frauen in einer abgesonderten, den Männern unzugänglichen Galerie Platz nehmen; fährt er an einem besonderen Festtage spazieren, so geschieht dies ausschließlich nur in Gesellschaft von Männern; die Frauen fahren in einem andern Wagen zu anderer Zeit aus. Bei Familienfesten, Hochzeiten etc., bewirtet der Hausvater die Männer, seine Gattin die Frauen. Ja, es ist unter den Chinesen sogar ein Verstoß gegen die gute Sitte, nach dem Befinden der Frau überhaupt nur zu fragen, geschweige denn ihr einen Besuch abzustatten oder die (stets rote) Visitenkarte bei ihr zu hinterlassen. Im gesellschaftlichen Leben werden die Frauen vollständig ignoriert, als wären sie gar nicht vorhanden, obschon die Chinesen unter sich ein sehr ceremoniöses, höfliches Volk sind.

Das einzige weibliche Wesen, das im Gespräch unter Bekannten beachtet wird, ist die Mutter. In einem fremden Hause erkundigt sich der Besucher nach dem Alter und dem Befinden aller männlichen Bewohner. Er fragt aber nicht: „Wie geht es Deinem Vater?“ sondern in wörtlicher Uebersetzung: „Ausgezeichneter Bejahrter, welches ehrenwerte Alter?“ d. h. „Wie alt ist Dein Vater?“ Der Vater des Hausherrn wird von Besuchern als der „ausgezeichnete Ehrenwerte“ oder der „ehrwürdige große Fürst“ bezeichnet; der Sohn nennt seinen Vater „Majestät der Familie“ oder „Fürst der Familie“; der verstorbene Vater heißt „der frühere Fürst“. Will aber ein Gast der Mutter des Hausherrn (niemals der Frau) seine Aufmerksamkeit bezeigen, so sagt er „Ausgezeichnete Langlebigkeit Halle bezeuge für mich Wunsch Ruhe“. Die drei ersten Wörter deuten die Wohnung der Mutter an. Spricht ein Chinese mit einem näheren Bekannten von dessen Frau, so nennt er sie „die ehrenwerte Dame“ oder „Deine Bevorzugte“; spricht er aber von seiner eigenen Frau, so bezeichnet er sie mit den Worten „tsien nui“, d. h. „die Geringe der inneren Gemächer“ oder auch „die „Närrische der Familie“. – Selten dringt ein Fremder bis in die Frauengemächer seines Gastfreundes.

Unter solchen Umständen ist es ungemein schwierig, aus eigener Anschauung etwas über das Leben und die Stellung der Frauen in der besseren Gesellschaft der Chinesen zu erfahren; die einzigen Auskünfte über sie kann man nur von Dolmetschern, von katholischen Missionären, welche vermöge ihres Berufes in das Familienleben der Chinesen näheren Einblick erhalten, und endlich von aufgeklärten an den Umgang mit Europäern gewöhnten Chinesen selbst erhalten, wie es deren in den Hafenstädten, besonders in Shanghai, viele giebt. Ich habe diese Quellen nach Thunlichkeit benutzt und mir überdies die bezüglichen Stellen des in ganz China anerkannten „Buchs der Gebräuche“ übersetzen lassen; einen tiefen Einblick in das Frauen- und Familienleben gewährt überdies ein äußerst interessantes Buch eines neueren chinesischen Schriftstellers, Luhtschau, genannt „Der weibliche Lehrmeister“. In seiner Vorrede sagt er von den Frauen:

Im Gespräch soll eine Frau nicht dreist und geschwätzig sein, sondern streng sich danach halten, was recht ist; ob sie ihrem Gatten einen Rat erteilt, oder ihm Vorwürfe macht, oder ihre Kinder unterrichtet, sie muß immer die Etikette beobachten, ihre Erfahrungen unterwürfig vorbringen. … Das Betragen der Frauen soll streng, ernst und nüchtern sein, sich aber doch den verschiedenen Gelegenheiten anpassen, z. B. im Bedienen ihrer Eltern, im Empfangen oder Begrüßen ihres Gatten, beim Aufstehen oder Niedersetzen. Hat sie Trauer oder befindet sie sich mit auf der Flucht vor dem Kriege, soll sie durchaus anständig sein. Die wichtigsten Beschäftigungen eines Weibes sind die Zucht des Seidenwurmes und das Weben von Stoffen, die Zubereitung und das Austeilen der Speisen für die Haushaltung, dann das Vorbereiten der Opfergegenstände; danach können Studien und Lektüre die Zeit ausfüllen.

Dieser Abschnitt aus dem Werke Luhtschaus sagt in wenigen Worten sehr viel, und was die Hauptsache ist, seine Vorschriften werden von der großen Menge der Frauen Chinas streng eingehalten. Es kann kaum sittsamere, keuschere und tugendhaftere Frauen geben, als es die Chinesinnen sind, sittsam im Betragen wie in der Kleidung. Im Gegensatz zu den Japanerinnen zeigt sich die Chinesin unter allen Verhältnissen stets vollkommen bekleidet, von der Fußspitze bis zum Halse; selbst in den untersten Ständen, unter den Bootsleuten Kantons oder den Theearbeiterinnen Hankaus, bleiben höchstens die Füße und Unterarme unbekleidet.

Wie kleidet sich die Chinesin? Das ist gewiß für europäische Damen ein sehr interessantes Kapitel, obwohl ich nicht glaube, daß unsere Damen an der Tracht der Chinesinnen besonderen Gefallen finden dürften und dieselbe etwa nachahmen würden, ebensowenig wie die letzteren an unseren Moden Gefallen gefunden haben. Beträgt die Bevölkerung Chinas wirklich 400 Millionen, so giebt es dort ungefähr 200 Millionen Evastöchter, also um 40 Millionen mehr

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0560.jpg&oldid=- (Version vom 21.10.2022)
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