verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Schutzhaus Mandronhütte in der Adamellogruppe. Als vor dreißig Jahren der späterhin so berühmt gewordene Nordpolfahrer Julius v. Payer durch seine vorzüglichen Arbeiten über genauere Erforschung der Ortler- und Adamellogruppe (Petermanns Monatshefte) die Aufmerksamkeit der gebildeten Welt auf sich lenkte, gab er zu gleicher Zeit dem im Entstehen begriffenen Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereine den Hinweis auf ein reiches Feld für dessen uneigennützige Thätigkeit.
Bald entschlossen sich die Sektionen Prag und Leipzig dieses Vereins, gemeinschaftlich auf den Tabarettawänden des Ortlers ein Schutzhaus, „Die Payerhütte“, zu erbauen; nachdem jedoch die Prager Sektion erklärte, daß sie allein diesen Bau auszuführen gedenke, errichtete die Sektion Leipzig im Jahre 1878 auf der Mandronalpe inmitten der herrlichen Adamellogruppe, oberhalb des schönsten Gletschers der Ostalpen ihr erstes Schutzhaus und erschloß damit zugleich dieses bis dahin fast unbekannte Hochalpengebiet der Bergsteigerwelt. Dasselbe ist erst vor kurzem (vergl. Jahrg. 1895, S. 654) in Bild und Wort den Lesern der „Gartenlaube“ ausführlich geschildert worden.
Die Hütte, 2470 m über dem Meeresspiegel, nordöstlich von den Laghi di Mandrone gelegen, ist vollständig aus Stein (Tonalit) gebaut, hat 1 m starke Wände und kostete 14 239 Mark (Wegbau 2077 Mark).
Von dem malerischen Städtchen Pinzolo (Judicarien) gelangt man durch das schöne, so oft und mit Recht gepriesene Val di Genova znr Mandronhütte. Am Thaleingange, gleichsam als Waldespforte, liegt idyllisch auf hohem Felsvorsprunge das reizende Kirchlein San Stefano. Der Weg führt nun an dem Ufer der rauschenden Sarca zwischen Waldhängen an zahlreichen, im Sonnenlicht hell glitzernden Wasserfällen vorüber bis zum großen Wiesenplane vor der Casa Bolognini. Dort hemmt der Wanderer unwillkürlich seine Schritte, denn das Bild ihm gegenüber ist in seiner Großartigkeit von einer so packenden Gewalt, daß man es nicht genug bewundern kann. Gleichsam über den Wipfeln der Nadelhölzer, welche das reizend gelegene Tridentiner Schutzhaus umrahmen, neigt sich die prächtige Gletscherzunge der Vedretta del Mandrone, wild zerrissen, fast senkrecht herab, während zu ihrer Linken die rauhen und dunklen Wände des Felskolosses Lobbia bassa massig emporsteigen. Wölbt sich über diese Scenerie ein klares blaues Himmelszelt, so ist das Bild in seinem Farbenspiel das Vollendetste einer alpinen Landschaft. Nach genügender Rast steigt man den vorzüglichen Weg zur Mandronhütte bergan. Zu oben erwähntem Gletscher gesellt sich bald ein zweiter mächtiger Eisstrom, die von Süden in das Thal eindringende Vedretta della Lobbia.
Mehr und mehr überschauen wir die große Ausdehnung des Mandrongletschers, während die Lobbia bassa allmählich ihre imponierende Herrschaft verliert.
Je näher der Hütte, desto großartiger entfalten sich auch die Felspartien im Norden, bis man die gewaltige Tonalitkette, welche von der Presanella bis zur Cima lago scuro streicht und dann, nach Süden umbiegend, den Thalschluß des Val di Genova bildet, in ihrer ganzen Ausdehnung bewundern kann. Das Schutzhaus wird nach sechsstündiger Wanderung erreicht. Unser Bild giebt einen Teil des köstlichen Panoramas, welches man von der Hütte übersieht, prächtig wieder. Zur Linken sehen wir die Bergkette von der Punta del Orco bis zum Crozzon di Lares und Corno di Cavento, davor die Vedretta di Lares; in der Mitte erscheinen Lobbia bassa und alta, sowie der Dosson di Genova, unterhalb des Schutzhauses senkt sich der mächtig zerklüftete Mandrongletscher zu Thal und über dem Dache erblickt man in weiter Ferne das Corno bianco (Vorgipfel des Adamello), während ganz rechts der zum Corno di Bedole hinaufziehende Grat beginnt.
Alljährlich besuchen begeisterte Bergsteiger zahlreich dieses Asyl, um von dort denu Adamello und die Hingebenden Gipfel zu ersteigen. Bereits bis an den Rand des Mandrongletschers ist seitens der Sektion Leipzig der Weg fortgesetzt. Ein schwierig herzustellender Gebirgspfad zum Cercenpaß ist geplant, um auch die Ersteigung der herrlichen Presanella in das Bereich der von der Mandronhütte auszuführenden Hochtouren aufzunehmen, und ein neuer größerer Zubau zu derselben wird fernerhin wachsenden Ansprüchen gerecht werden.
Der Maler im Dorf. (Zu dem Bilde S. 553.) Es muß ein weit von der Eisenbahn entlegenes venetianisches oder umbrisches Dörfchen sein, wo eine im Hof aufgepflanzte Malerstaffelei noch einen solchen Zusammenlauf veranlassen kann. Dichtgedrängt umsteht sie die ganze Einwohnerschaft des alten räucherigen Hauses: der glückliche Vater Fleischermeister, der seine Kunden im Lädchen warten läßt, um zwischendurch einen Blick auf das werdende Konterfei seines Bambino zu werfen, die hübsche junge Mutter mit den älteren Kindern, der zahnlose Großvater, dessen Neugier, dem Maler zuzusehen, ihn das Gewicht des Gemüsekorbs auf seiner Schulter vergessen läßt, dann der Herr Kurat, die oberste Kunstautorität im Dörfchen, der hier vor versammelter Nachbarschaft wieder einmal sein Licht leuchten läßt und mit gewichtiger Miene ein übers andere Mal ruft: „Schön, sehr schön! Zum Sprechen ähnlich ist das kleine Herzchen!“ und jedesmal dem Künstler noch etwas näher auf den Leib rückt. Aber dieser läßt sich dadurch nicht aus der Fassung bringen: derlei gehört zum Handwerk und kommt nicht in Betracht gegen die mögliche schlechte Laune des Modells im kurzen Hemdchen. Noch gestern brüllte und schlug „das kleine Herzchen“ wie ein junger Teufel, heute aber ist es gut aufgelegt und lacht in den Armen seiner Marietta vergnügt den Mann an, der hinter der großen Tafel „Guck, guck!“ macht.
So steht zu hoffen, daß er sein Bild ungehindert vollenden möge, und wenn er auf der nächsten Ausstellung nicht die erste Medaille bekommt, so ist der kleine Peppino sicher nicht schuld daran, denn der hat dafür gethan, was er konnte, und die ganze Hauseinwohnerschaft nebst dem Herrn Kuraten kann’s bezeugen! Bn.
Heiteres Quartier. (Zu dem Bilde S. 561.) „Das Ganze Halt!“ schmettern die Signalhörner. Die Manöverschlacht ist heute unentschieden geblieben, und nach der Kritik des Höchstkommandierenden rücken die einzelnen Truppenteile in ihre Quartiere ab, froh, daß für diesen Tag die Strapazen vorüber. Im allgemeinen dürfen unsere Soldaten wohl überall zufrieden sein mit der Aufnahme, die man ihnen angedeihen läßt, aber wer es so gut trifft in seinem Quartier wie die beiden Jnfanteristen auf dem ansprechenden Bilde von Karl Müller, der darf freilich von Glück sagen. Gleich beim Eintritt ist ihnen der Besitzer des Gehöftes mit freundlichem Gruße und biederem Händedruck entgegengetreten, dem alsbald ein guter Bewillkommnungsschluck und alsdann ein kräftiges, wohlbereitetes Mahl folgte. Die ganze Aufnahme hat den beiden Soldaten gezeigt, daß sie willkommen sind und sich hier wie zu Hause betrachten dürfen. Auch das schmucke Töchterlein verkehrt mit ihnen so unbefangen und freundlich, als ob sie schon alte Bekannte wären. So herrscht denn allerseits das beste Einvernehmen, und die Zeit verrinnt den beiden Kriegern unter so angenehmen Quartierverhältnissen wie im Fluge. Allein „des Dienstes immer gleichgestellte Uhr“ bleibt auch im Manöver nicht stehen, und so heißt es denn, sich nicht zu spät für den abendlichen Appell rüsten. Schon ist der eine der beiden Soldaten auf unserem Bilde eifrig mit dem Putzen seines Gewehres beschäftigt, während im Vordergrunde der andere, der zu den Spielleuten gehört, sich mit dem Tornister zu schaffen macht.
Diesen Augenblick hat die immer zu lustigem Scherz aufgelegte Haustochter benutzt, sich seines Signalhorns zu bemächtigen. Aus Leibeskräften bläst sie hinein, so daß es „Stein’ erweichen, Menschen rasend machen kann“. Der auf der Truhe an der Wand sitzende und sein Pfeifchen schmauchende Alte hält sich mit der Linken das Ohr zu, der „Blasius“ protestiert lachend gegen diese Entweihung seines Instruments, aber das Mädchen läßt sich nicht stören. – Dies „heitere Quartier“ wird den beiden Marssöhnen sicherlich in angenehmer Erinnerung bleiben, und sie werden noch oft davon erzählen. E. M.
Inhalt: Der laufende Berg. Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer (9. Fortsetzung). S. 549. – Ist’s erlaubt? Bild. S. 549. – Der Maler im Dorf. Bild. S. 553. – Die friesischen „Schlickrutscher“. Von Schulte vom Brühl. S. 554. Mit Abbildungen S. 554, 555, 556 und 557. – Fräulein Nunnemann. Erzählung aus vergangenen Tagen. Von Eva Treu (Schluß). S. 557. – Leben, Trachten und Sitten der chinesischen Frauen. Von Ernst v. Hesse-Wartegg. I. S. 560. Mit Abblidungen S. 562 und 563. – Heiteres Quartier. Bild. S. 561. – Blätter und Blüten: Schutzhaus Mandronhütte in der Adamellogruppe. Von Oskar Schumann. Mit Abbildung. S. 564. – Der Maler im Dorf. S. 564. (Zu dem Bilde S. 553.) – Heiteres Quartier. S. 564. (Zu dem Bilde S. 561.)
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0564.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)