verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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das ganz anders gemacht. Wie, das wußte er freilich nicht. Aber ganz anders!
Mühsam rappelte er sich auf die Beine und brauchte eine halbe Stunde, bis er seiner starren Glieder wieder Herr wurde und die Kälte aus seinem Blut brachte. Ziellos stieg er bergan, immer bergan. Was er wollte, war ihm unklar – nur den Tag totschlagen, alles, nur nicht arbeiten! Aber da machte er eine sonderbare Erfahrung. Gestern hatte ihn die „Lüftigkeit“ gezwickt und gekitzelt – und jetzt quälte ihn eine ganz merkwürdige, ihm völlig neue Sehnsucht nach der Arbeit, nach Hammer und Amboß. Als er aus dem Wald auf die freien Almen kam, blieb er alle paar hundert Schritte stehen und blickte nach seiner Schmiede ins Thal hinunter. Und je ungestümer ihm das Herz pochte, desto deutlicher hatte er die Vorstellung der schönen klingenden Hammerschläge. Das zog und lockte! Aber um keinen Preis der Welt hätte er dieser Sehnsucht nachgegeben! Wie „die da drunten“ gelacht haben würde, wenn sie plötzlich aus der Schmiede herauf die Hammerschläge gehört hätte! Nein! Ein Lump sein, ein ärgerer noch als früher – das Versprechen wollte er unverbrüchlich halten! Und da war es ihm eine boshafte Freude, daß er jetzt auch seine Trompete los war – denn Musik machen, das war schließlich doch auch noch eine Arbeit, dazu eine Arbeit, mit der man unter Umständen den anderen Vergnügen macht! Er aber wollte nur eines noch: die Leute ärgern – und ganz besonders „die da drunten!“
Um Frühstück zu halten, setzte er sich in die Heidelbeerbüsche und speiste so reichlich von den überreifen Beeren, daß ihm Finger und Lippen schwarz wurden. Dabei studierte er, welche Streiche er in den nächsten Tagen ausführen wollte, um das ganze Dorf in Alarm zu bringen. Es fielen ihm ein paar Narreteien ein, so ausgesucht verrückt, daß er vor Vergnügen hell hinauslachte – aber merkwürdig, sein Lachen hatte etwas Gezwungenes.
Als er dann weiter bergan stieg, begann er mit kreischender Stimme zu singen. Doch ob er auch seine fidelsten Lieder auskramte – es wollte ihm nicht gelingen, sich in die richtige wurstige Lumpenlaune hineinzujodeln. Die Schuld trug wohl nur der abscheuliche Tag! Denn der echte Galgenvogelhumor pflegt sich nur einzustellen, wenn die Sonne scheint. Aber die spielte heute Verstecken mit dem Daxen-Schorschl. Alles um ihn her war kalt und grau, die Almen, das Gebirge, die Luft und das Gewölk, welches regungslos, wie ein endlos scheinendes Kellergewölbe, über Thal und Höhen lag.
Um sich warm zu machen, kletterte Schorschl über eine schier pfadlose Felswand hinauf, so hoch, daß er in die Wolken kam. Dann suchte er wieder den gefährlichsten Niederstieg – und dieses sinnlose Spiel trieb er den halben Tag so weiter. Endlich fiel ihm ein, daß heute Samstag wäre – da gab es auf den Abend lustige Gesellschaft im Wirtshaus drunten!
„Sakra! Paß auf! Da will ich wieder einmal aufhauen, daß der Tisch kracht!“ Und mit langen Sprüngen ging’s hinunter über Stock und Stein. Aber seltsam – es war doch seine Absicht gewesen, den geraden, nächsten Weg ins Wirtshaus zu suchen – und da entdeckte er plötzlich, daß er eine halbe Stunde umgegangen und ahnungslos zur Simmerau gekommen war.
Bevor er ganz zur Böschung kam, hielt er inne und duckte sich hinter das Heckengestrüpp. Von hier aus konnte er einen Teil des kleinen Hauses übersehen – und da musterte er mit spähenden Blicken die Mauern. Er wollte freilich mit „der da drunten“ all sein Leben lang nichts mehr zu schaffen haben – aber wenn er mit ihren Eltern und mit dem armen, bedrohten Häuschen Mitleid hatte, das war ja doch etwas anderes! So atmete er erleichtert auf, als er die Mauern unversehrt fand – Mathes hatte die Eisenschlaudern wohl nur anfertigen lassen, um sie im Fall einer Gefahr gleich bei der Hand zu haben!
Im Schutz des Gebüsches schlich er sich ein wenig näher, aber so scharf er auch die Ohren spitzte, er konnte nur die Stimmen der beiden Alten unterscheiden, welche für Schorschl unsichtbar unter der Böschung standen und die neu eingerammten Balken des Verhaues mit Ruten durchflochten.
Während Schorschl dem müd’ tröpfelnden Gespräch der zwei Alten lauschte, machte er immer größere Augen, denn Michel und Mutter Katherl sprachen just von ihm! Und die beiden Leutchen redeten nicht viel Gutes über den Daxen-Schorschl!
Um dieses zweifelhafte Lob nicht länger anhören zu müssen, richtete er sich auf, und lachend die Fäuste hinter den Rücken kreuzend, trat er dicht an den Rand der Böschung.
Die beiden Alten gewahrten ihn nicht gleich. Und Mutter Katherl behauptete soeben: „Ja, Michel, hast recht! So ein’ giebt’s doch nimmer in der ganzen Gegend um und um, so ein’ närrischen Lüftikus, wie der einer is!“
„Ja ja!“ nickte Michel. „Aber er soll seine verruckten Streich’ machen, wo er will, nur net bei mir da heroben! Uns soll er in Ruh’ lassen, ja! Und wenn ich ihm wieder einmal begegnen thu’, so will ich ihm dengerst ein ernstes Wörtl sagen! Dem!“
„So?“ rief Schorschl über die Böschung hinunter. „No also, sag’ mir’s halt! Schau her, da hast mich gleich!“
Mutter Katherl war erschrocken, und um ihren Mann zu besonnener Ruhe zu mahnen, stieß sie ihm gelinde mit dem Ellbogen in die Seite. Aber Michel schien eines derartigen Appells zum Frieden gar nicht zu bedürfen; er warf nur einen grollend vorwurfsvollen Blick zum Rand der Böschung hinauf und arbeitete schweigend weiter, als wäre „der da droben“ Luft für ihn.
Während Schorschl geduldig auf die ihm angekündigte Predigt zu warten schien, ließ er seine spähenden Augen über Hof und Garten huschen. Er sah wohl den Hackstock mit dem Beil, an das er eine neue Schneide geschmiedet hatte, und hörte den Mathes im Haus mit dem Hammer klopfen – aber von Vroni war nichts zu sehen und nichts zu hören. Und da konnte Schorschl die spöttische Frage nicht verschlucken: „No? Wo is denn euer liebs Katzerl?“
Die weiße Katze lag schnurrend auf der Hausbank, aber sie schien augenfällig der Meinung zu sein, daß diese Frage nicht an ihre Adresse gerichtet war. Die gleiche Meinung teilte wohl auch der alte Michel, denn mit bitterbösem Blick rief er zum Rand der Böschung hinauf: „So, Du! Sei lieber froh, daß d’ Vroni im Ort drunten is und net daheim! Die möcht’ Dir ein paar scharfe Wörtln sagen! Dir! Ja!“
„Geh’, Michel,“ flüsterte Mutter Katherl ihrem Mann in Sorge zu, „thu’ Dich net aufregen! So einer is’ ja gar net wert, daß sich ein ordentlicher Mensch seintwegen veralterieren thut! Sei stad, Michel! Laß ihn gehn! Den!“
Aber auch diese Mahnung war überflüssig. Denn seit der Daxen-Schorschl gehört hatte, daß Vroni drunten im Dorf wäre, schien er sich seiner Absicht, möglichst flink im Wirtshaus einzutreffen, plötzlich wieder zu erinnern. Mit wortlosem Gruß rückte er das Hütlein, trollte am Rand der Böschung entlang und kam in immer rascheren Lauf – natürlich, denn es ging ja bergab! Und solch ein abschüssiger Weg zieht in den Füßen!
Den nächtlichen Ruhestörer so ganz ohne Verweis zu entlassen – das schien sich aber nun doch mit Michels Groll und Gerechtigkeitsgefühl nicht zu vertragen. Drohend hob er das Rutenmesser und rief dem Ausreißer nach: „Gelt, Du! Wenn D’ wieder einmal die müden Leut’ aufschrecken willst aus’m Schlaf, so blas’ ein paar feinere Liedln, als wie heut’ nacht! Solchene Schelmenstückln is man net g’wöhnt bei uns da heroben!“
„Ja, is recht!“ rief Schorschl halb lachend und halb geärgert über die Schulter zurück. „’s nächste Mal blas’ ich halt: Ueb’ immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab!“
„Schau Dir nur so ein’ Unchrist an!“ schalt Mutter Katherl jetzt. „Der is heilig imstand und treibt sein G’spött mit so ein’ braven Lied!“
„Na na, Mutterl!“ klang Schorschl’s lachende Antwort zurück. „Bei mir is ausblasen jetzt! Höchstens blast mir noch der Wind durch d’ Joppenlöcher! Zu einer neuen Trumpeten bring’ ich’s nimmer … und die alte is hin! B’hüt Gott miteinander! Jetzt geht ein lüftig’s Lumpen an!“
Er war um die Scheune verschwunden, und mit den Händen in den Hosentaschen, das Hütchen im Genick, hopste er über die steilen, von Erdrissen durchklüfteten Bühel hinunter. Dazu sang er mit gezwungen hoher Stimme:
„Und ’s Lumpen is lustig,
Und ’s Lumpen is schön,
Und ein Lump, der laßt d’ Welt
Schön kugelrund gehn!
Und d’ Weltkugel dreht sich
Im Tag einmal um,
So ein schläfriger Schneckentrab
Wär mir schon z’ dumm!
Ein richtiger Loder,
Kreuz Teufel juheh,
Der dreht im Tag ’s Unterste
Zwanzgmal in d’ Höh’!“
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0566.jpg&oldid=- (Version vom 30.1.2024)