verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Fritz Warnack, mit dem er in einer wichtigen Angelegenheit persönlich zu sprechen habe, und nickte herablassend, als sich das Mädchen freundlich beeilte, den Gewünschten herbei zu holen.
Mit höflichem aber nicht gerade unterthänigem Gruße trat Fritz Warnack aus einer Seitenthüre. Er trug noch immer die Spuren der Werkstatt im Antlitz; das Haar hing ihm ein wenig wüst um die Stirne; die linke Hand hielt er nach seiner Gewohnheit im Bausche der Lederschürze.
„Sie sind Herr Warnack?“
„Der bin ich,“ versetzte der Schlossermeister, noch immer artig, obschon ihn die etwas geschraubte Sprechweise des Hofbeamten heimlich verdroß. „Womit kann ich dem Herrn dienen?“
„Mein verehrter Herr Warnack,“ näselte Brüggstorm, „wenn Sie ein paar Minuten Zeit hätten, möchte ich eine diskrete Privatangelegenheit ganz unter vier Augen mit Ihnen erörtern … Paßt’s Ihnen jetzt?“
„Bitte, wollen Sie mit hinaufkommen!“
Der Schlossermeister schritt langsam voran. Brüggstorm folgte.
Als sie dann droben allein waren und der Baron sich mit erkünstelter Nachlässigkeit in den hochlehnigen Großvaterstuhl gesetzt hatte, während Fritz Warnack sich erwartungsvoll einen Korbsessel heranschob, da entstand nach den ersten gleichgültigen Redensarten eine beklommene Pause. Der Schlossermeister, der den Baron nicht kannte, witterte eine Schererei mit der Stadtbehörde, die ihm schon vor seiner Uebersiedlung mancherlei Schwierigkeit in den Weg gelegt hatte; Brüggstorm, sonst ein so altbewährter Meister der Phrase, suchte mit wachsender Unsicherheit nach dem geeigneten Ton, bis er dann endlich mit der nicht ganz zutreffenden Bemerkung herausplatzte: „Ich komme im Auftrag Seiner Durchlaucht, unseres allergnädigsten Fürsten.“
„Wahrhaftig?“ rief der andre erstaunt.
„Das heißt,“ fuhr der Baron fort und betrachtete wie zerstreut seine Fingerspitzen, „wenn ich mich hier der Wendung bediene ‚im Auftrag‘, so ist das gewissermaßen schon bildlich geredet. Ich hätte nicht sagen sollen ,im Auftrag’ sondern ,im Sinne’. Durchlaucht haben zunächst keine Kenntnis davon, daß ich hier bei Ihnen vorspreche. Dafern aber meine Verhandlung mit Ihnen zu dem gehofften Ergebnis führt, werde ich Seiner Durchlaucht die Sache erzählen, und Sie dürfen sich überzeugt halten: Durchlaucht werden von meiner Initiative und Ihrem einsichtsvollen Entgegenkommen dankbarst erbaut sein.“
„Da bin ich ja neugierig! Mit wem hab’ ich denn eigentlich die Ehre …?“
„Brüggstorm, Freiherr von Brüggstorm, fürstlicher Ceremonienmeister … Also die Sache ist die. Ich weiß nicht, ob Sie sich jemals mit Staatswissenschaften befaßt haben. So viel aber wird Ihnen wohl auch ohne theoretische Vorbildung klar sein: die Grundlage jeder geordneten Monarchie besteht in der unerschütterten Ehrfurcht der Unterthanen vor dem gekrönten Haupte.“
„Ja, aber wie hängt das mit mir zusammen?“
„Sehr einfach, mein Lieber! Sie wissen doch zweifellos, daß Sie infolge einer sonderbaren Naturlaune unserm allergnädigsten Fürsten ganz außerordentlich ähneln.“
„Muß wohl sein,“ lachte Fritz Warnack; „denn alle Nasen lang krieg’ ich’s zu hören … Und wenn ich so nach den Bildern schätze, die ich gesehen habe … Drüben zum Beispiel im Gastzimmer der ‚Bayrischen Krone‘, da hängt sein Oeldruck. Ueber sich selbst kann man ja schlecht urteilen; aber ich mein’ schon …“
„Die Aehnlichkeit ist geradezu phänomenal!“ rief Baron Brüggstorm nachdrücklich.
„Sehr schmeichelhaft,“ versetzte der Schlossermeister.
„Für Sie, ja, aber nicht für Seine Durchlaucht. Verzeihen Sie, lieber Warnack! Ich will Sie durchaus nicht kränken, und nichts liegt uns da droben am Hofe Arnos des Dritten ferner als eine thörichte Unterschätzung des Mittelstandes. Immerhin werden Sie einsehen … Sie sind und bleiben doch immer ein schlichter Handwerker, der ja gewiß alle Achtung verdient, aber trotz alledem … na, wie soll ich mich ausdrücken? Es hat offenbar etwas Verletzendes, wenn das leibhaftige Ebenbild Seiner Durchlaucht in Bluse und Schurzfell hinter dem Amboß steht oder für einen Fünfer Nägel verkauft … Bitte, lassen Sie mich jetzt ausreden, Herr Warnack! Als Privatmann könnte der Fürst auf diese Aehnlichkeit ruhig und kaltblütig herablächeln; als Souverän aber ist er sich und seiner erhabenen Stellung doch eine etwas veränderte Anschauungsweise schuldig. Ein Fürst steht über dem Volk. Und wie das Gesetz den Monarchen durch Androhung schwerster Strafen gegen Beleidigungen zu schützen sucht, die im gewöhnlichen Leben oft nur mit kleinen Geldsummen gebüßt werden, so ist auch im Punkte des Schicklichen überall da, wo der Fürst mit in Frage kommt, eine gesteigerte Strenge nötig. Kurz und gut: die Aehnlichkeit Seiner Durchlaucht mit einem Schlossermeister scheint mir unerträglich. Da muß also Abhilfe geschafft werden – um jeden Preis!“
„Ja, wie soll das gemacht werden?“ fragte der Schlosser stirnrunzelnd. „Ein lebendiger Mensch ist doch kein Paletot, den man so kurzer Hand umarbeitet!“
„Doch – in gewisser Beziehung! Wenn Sie sich entschließen möchten, Ihren Bart abzunehmen und künftig rasiert zu gehen, so würde ein Hauptmoment dieser fatalen Aehnlichkeit ausgemerzt sein.“
„Na, hören Sie mal! Fatale Aehnlichkeit! Sie sprechen ja gerade, als wär’ ich ein Raubmörder!“
„Wie gesagt, ich will Sie nicht kränken, lieber Herr Warnack. Aber Sie müssen begreifen –“
„Nichts begreif’ ich! Den Vollbart soll ich mir abnehmen? Ja, ich bitt’ Sie, den trag’ ich nun seit meinem zwanzigsten Jahr! Wie käm’ ich dazu, mich jetzt scheren zu lassen und auf einmal herum zu laufen wie ein geroppter Hahn? Meine Frau würde mich schön auslachen!“
„Durchlaucht würden sich ohne Zweifel erkenntlich zeigen … Sie zum Hofschlosser ernennen …“
„Zu viel Ehre! Aber mein Bart ist mir nicht feil. Da bin ich ebenso stolz drauf wie euresgleichen auf seinen Stammbaum.“
„Bedenken Sie wohl, was Sie hier von der Hand weisen! Ein erheblicher Teil der Aufträge, die man bis jetzt Ihrem Konkurrenten am Bohlberg zugewandt hat, würde dann künftig Ihrer Werkstatt anheim fallen.“
„Nee! Was hätt’ ich davon, wenn ich mir sagen müßte: Warnack, Du bist ein Flappch! Und das wär’ ich ja doch, wenn ich so ganz ohne vernünftigen Grund …“
„Der Wunsch Ihres Souveräns – ist das kein vernünftiger Grund?“
„Sie haben doch selbst gesagt, der Fürst weiß gar nichts davon, daß Sie hier zu mir kommen. Und auch so! Kann ich Ihrem Herrn Fürsten sonst mal gefällig sein, mit dem größten Vergnügen. Ich bin kein so grober Flegel, daß ich nicht vorkommenden Falls auf eine hochgestellte Person Rücksicht nähme. Noch dazu, wo man von dem Herrn Fürsten überall Gutes hört! Nur das Bartabscheren, das paßt mir nicht! Soll ich mich gleich in den ersten acht Tagen hier vor der ganzen Stadt lächerlich machen? Von mir selbst und meiner Luise ganz zu geschweigen! Nee, verehrtester Herr Baron! Da müßt’ ich für keine drei Groschen Ehre im Leib haben!“
Der Ceremonienmeister wiegte unmutig den Kopf.
„Ich erlaube mir, Sie darauf hinzuweisen, daß der Arm des Monarchen außerordentlich weit reicht. Wenn Sie auf diese Manier den Spröden und Widerhaarigen spielen, dürften sich Mittel und Wege finden, Ihnen den Aufenthalt hier in Gleiberg stark zu verleiden.“
„Was?“ rief der Schlosser beinahe zornig. „Sie wollen mir drohen? Na, nun bitt’ ich Sie aber! Ich bin ein ehrlicher, freier Mann, der sich vor niemand zu fürchten braucht. Wenn Sie mir so kommen, gut! Dann wollen wir doch mal sehen, ob’s noch ein Deutsches Reich giebt. Ich bin wie ich bin – und so bleib’ ich, und damit Basta! Glaubt sich der Fürst durch diese Aehnlichkeit wirklich so schwer geschädigt, nun, dann mag er doch einfach die Bartschererei an sich selbst vornehmen!“
„Oh, oh, oh!“
„Was ist da zu ohen? Ein freier Entschluß hat nichts Entehrendes. Ich aber soll schmählich gezwungen werden. Und das lass’ ich mir nun mal unter keiner Bedingung bieten.“
Der Ceremonienmeister erhob sich. „Das wäre also Ihr letztes Wort?“
„Jawohl, Herr Baron! Mein allerletztes!“
„Empörend!“ murmelte Brüggstorm durch die gekniffenen Lippen. „Noch einmal, bei allem, was Ihnen heilig ist: überlegen Sie sich’s!“
„Da ist gar nichts zu überlegen! Ich bin kein Zuchthäusler! Ich kann mir den Bart wachsen lassen, wie mir’s beliebt!“
Der Ceremonienmeister neigte ein wenig den Kopf und schritt dann bleich und schwer atmend der Thür zu.
„Empörend!“ wiederholte er noch einmal, als er ins Freie trat.
Etliche Wochen später tummelten sich die beiden Kinder Fritz Warnacks – Karl und Emilie – in der Nähe des Schloßteichs. Es
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0574.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)