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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0580 a.jpg

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Die Gartenlaube.

Beilage zu No 34. 1896.

Das V. Deutsche Sängerbundesfest in Stuttgart. War das ein Jubel in der schwäbischen Hauptstadt, ein Singen und Klingen, ein Jauchzen und Frohlocken in den Festtagen vom 31. Juli bis 4. August von früh bis spät! Aus allen Landen, so weit die deutsche Zunge klingt, waren die Sänger zum fünften allgemeinen Bundesfeste herbeigeströmt, auch aus der Schweiz, aus England, Rußland, Polen, Rumänien und sogar aus dem fernen Amerika hatten sich Abordnungen deutscher Männergesangvereine frohgemut eingefunden. Zu Ehren ihrer Gäste hatte die anmutige Stuttgardia ein farbenfrohes Feiertagsgewand angelegt. Lustig flatterten die Fahnen im Winde; grüner Laubschmuck, vielfach mit Blumen durchsetzt, Wappenschilder, von Fähnchen flankiert, und vielerlei andere Ausschmückungen erfreuten das Auge und verkündeten die Festesstimmung der Stuttgarter Bevölkerung.

Festwagen „Schwäbisches Volkslied“.
Festwagen „Schwäbische Dichter“.

Mit dem Glockenschlng vier am Sonntag, den 2. August begann der Festzug bei heiterem Sonnenschein seinen Marsch durch die Straßen der Stadt nach dem Festplatz. Ein stattlicher Herold mit dem Reichsbanner und ein berittenes Musikcorps in der schmucken Tracht des 16. Jahrhunderts eröffnen das glänzende Schauspiel. Und nun folgen in schier endlosem Wechsel die Sängerbünde und Vereine. Hunderte im Sonnenlichte funkelnder Prachtbanner und Standarten, eine stattliche Anzahl Festwagen und Kostümgruppen und 18 Musikcorps geben dem Zuge reiche Belebung und leuchtende Farbe. Ohne Unterlaß jubelt das Publikum den vorüberziehenden Sängerscharen auf dem ganzen, 41/2 Kilometer langen Wege zu. Grüße und Kußhände fliegen aus deren Mitte zu den Fenstern und Balkonen hinauf, wehende Tücher grüßen herab, Blumen und Sträußchen werden den Sängern zugeworfen und eilig errafft, Hochrufe bald von den Sängern auf Stuttgart, bald von den Zuschauern auf diese oder jene Gruppe ausgebracht. Vor dem Residenzschlosse bringen die Sänger dem König, der mit seiner Familie von dem reich dekorierten Balkon aus zusieht, stürmische Huldigungen dar, die der Monarch sichtlich erfreut und freundlich dankend entgegennimmt.

Festwagen „Stuttgardia“.   Festwagen „Germania“.
Bilder vom Festzug des V. Deutschen Sängerbundesfestes in Stuttgart.
Nach dem Leben gezeichnet von W. Zweigle.

Von den Festwagen und kostümierten Gruppen, die in den Sängerzug eingestreut sind, erweckt zunächst der Festwagen der Stadt Stuttgart Staunen und Bewunderung. Vier prächtig geschirrte Rosse, auf deren Volldecken das Stadtwappen sich abhebt, ziehen den in reichem Barock ausgeführten, mit Früchtenfestons, persischen Teppichen und Blumen und Pflanzen geschmückten Prunkwagen. Auf hohem Sitze, den ein goldstrotzender Baldachin überdacht, thront die edle Gestalt der Stuttgardia. Genien, die Kunst und Wissenschaft, Industrie und Gewerbe darstellen, stehen an der Vorderseite des Wagens, zwischen beiden erhebt sich ein goldener Korb mit Rebenlaub und Trauben.

Von den übrigen Festwagen fesseln das Auge am meisten „Germania“, „Schwäbische Dichter“ und „Schwäbisches Volkslied“. In der Germanengruppe ist durch augenfällige Träger des Liedes die Entwickelung des deutschen Gesanges versinnbildlicht. Germanische Recken, bekleidet mit Tierfellen und das Haupt geschmückt mit Büffelhörnern, marschieren an der Spitze; ihnen zur Seite schreitet ein greiser Barde, an das Heldenlied erinnernd, das unsern Ahnen schon zur Zeit der Wanderzüge ein treuer Begleiter war. Reiter, Posaunenbläser und Feldtrompeter aus dem Mittelalter schließen sich an, dann erscheint der Wagen der Germania, von sechs Brabanter Schimmeln gezogen. Der Wagen hat die Form eines Schiffes. Im Vorraum steht ein geharnischter Bannerträger, das Bundesbanner fest in der Faust haltend; hoch oben auf dem Deck thront Germania in stolzer Schönheit und Hoheit. Gottfried von Neuffen, umgeben von Minnesängern, Rittern und Knappen, geleiten das stattliche Schiff. Reich mit Blumengewinden und Stoffbehängen ist der Festwagen „Schwäbische Dichter“ geziert, in dessen Mitte sich auf hohem Sockel die Kolossalbüste Schillers erhebt, umgeben von Uhland, Hauff, Kerner, Schwab und anderen schwäbischen Dichtern. Vorne sehen wir den stolz sich bäumenden Pegasus, rückwärts die Idealgestalt der Poesie mit Palmzweig und Leier in den Händen. Sinnig und schön gibt der Festwagen „Schwäbisches Volkslied“ eine Darstellung allbekannter schlichter Weisen wie „Am Brunnen vor dem Thore …“ und „Jetzt gang i ans Brünnele“. Auch eine Spinnstube – als getreue Pflegerin des Volksgesanges – ist in dieser Gruppe mit intimem Reize veranschaulicht. Die Stuttgarter Bierbrauer haben einen Wagen zu dem Festzug gestellt, der Gambrinus verherrlicht. Der Stuttgarter Winzerklub legt mit seinem Festwagen „Herbst“ nicht minder Ehre ein, und mit dem märchenhaft schönen Festwagen „Flora“ haben sich die Stuttgarter Gärtner an dem Festzug beteiligt. –

Wie über dem Festzuge, so schwebte auch über den Festkonzerten und Festbanketten ein guter Stern. Etwa 8000 Sänger erschienen auf dem Podium der imposanten Halle. Der Stückfolge des ersten Konzerts lag die Idee der Verherrlichung des deutschen Liedes zu Grunde, die zweite Hauptaufführung gestaltete sich durch Hervorkehrung des nationalen Gedankens zu einem Nachklang der Jubiläumsfeier des Deutschen Reiches. Beide Aufführungen boten unter der Leitung der bewährten Festdirigenten Kremser (Wien), Meyer-Olbersleben (Würzburg) und Förstler (Stuttgart) erlesene, zum Teil großartige Genüsse. Auch die Bankettabende brachten reichlich Gesangsleistungen, bei denen dem Hörer das Herz aufging. Einzelbünde und Einzelvereine von der Donau und vom Rhein, aus Baden und Bayern, Württemberg und Sachsen u. s. w wetteiferten in anmutenden Darbietungen.

Es war ein Fest, das sich seinen Vorgängern: den deutschen Sängerbundesfesten in Dresden, München, Hamburg und Wien würdig anreiht; ein Fest der deutschen Nation, bei dem Männer von allen Stämmen, von allen Stellungen, Meinungen und Parteiansichten beim Sänge des deutschen Liedes sich als deutsche Brüder, als Söhne des einen großen Vaterlandes erkennen.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 580a. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0580_a.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2024)
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