verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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„Nein, Schmidt, durchaus nicht; Sie müssen hier bleiben. Ich habe es mit dem Herrn Geheimrat schon abgemacht. Ziehen Sie nur schnell die Livree an, wir haben bald Visiten zu erwarten.“
Sie eilte nun in ihr Ankleidezimmer, und als sie eine halbe Stunde später in einfacher aber elegant sitzender schwarzer Seidenrobe in den Salon trat, fand sie Lisbeth schon vor, die gleichfalls in modischer und gefälliger Toilette war.
„Hast Du nach der Küche gesehen, Lisbeth? Hanne ist mit den Hasen beschäftigt, da bleibt ihr wenig Zeit für das Mittagessen.“
„Die Hasen? Sollten die nicht erst zu morgen sein?“
„Ja, aber nun wir Gäste haben, essen wir sie heute abend.“
„Gäste? Wer kommt denn?“
„Groß und Walden haben sich angemeldet.“
„Walden schon wieder? Was heißt das nur?“
Die Frau Geheimrätin zuckte die Achseln und lächelte. „Wir müssen hier doch wohl einen Magnet haben, der ihn anzieht.“
Lisbeth sah sie verständnislos an; in dem Augenblick trat die jüngere Schwester ins Zimmer, in dem weißen Kleide in der That noch schöner, noch pikanter und reizender als vorher. Lisbeth blickte sie zärtlich an, sah unwillkürlich zur Mutter hin und las in ihren Augen die Fortsetzung ihrer letzten Worte. „Um Gottes willen!“ rief sie erschreckt, aber die Frau Geheimrätin legte sehr energisch den Finger auf den Mund – „stillgeschwiegen“ las sie gleichzeitig in ihren Blicken.
Da trat der Diener ein, auf einem silbernen Teller mehrere Visitenkarten überreichend.
„Ich lasse bitten,“ sagte die Frau des Hauses – und leiser fügte sie hinzu: „benachrichtigen Sie hernach schnell den Herrn Geheimrat und den jungen Herrn.“
Eine kleine erwartungsvolle Pause, dann begrüßte man die Neuangekommenen. Der Oberst war ein älterer aber noch sehr stattlicher Herr, der immer in einem gewissen poltrigen Ton redete, seine Gattin viel jünger und, wie es schien, etwas verängstigt durch seine Art, und dann das Töchterchen, so klein und zierlich, so rosig, zart und blond, wie ein Rokokofigürchen anzusehen.
Man ging durch den Salon in den Saal, und die Frau Geheimrätin hatte die Freude, daß ihre Gäste sofort die herrlichen Räume bewunderten und Frau von Giersbach bei der Frage nach der hier von ihnen bezogenen Wohnung über den Vergleich einen leisen Seufzer ausstieß. –
Nun kam auch der Geheimrat – eine neue Begrüßung erfolgte, man setzte sich wieder, und kaum hatte ein Gespräch über die Sitten und Gewohnheiten der hiesigen Gesellschaftskreise begonnen, als etwas sehr geräuschvoll aber mit den gewandtesten und elegantesten Allüren ein junger Mann in den Saal trat.
„Mein Sohn Leo,“ sagte der Geheimrat, „Referendar bei der hiesigen Regierung,“ und über sein Gesicht flog, schwer unterdrückt, der Ausdruck väterlichen Stolzes.
Auch auf dem Antlitze jedes der drei Gäste las man den gleichen Gedanken: welch’ ein schöner Mensch! – und auf dem der Frau von Giersbach noch klarer ausgeprägt den: welch’ eine schöne Familie! – Unwillkürlich flogen ihre Blicke von einem zum anderen: die Mutter mochte wohl in ihrer Jugend ebenso ausgesehen haben wie diese entzückende Elfe, und dieses blonde, große, schlanke Mädchen war ja ganz des Vaters Ebenbild, während der Sohn mit dem schönen, dunkeln, feingeschnittenen Kopf der Mutter und mit der schlanken, hochragenden Gestalt dem Vater nachgeartet war. Er hatte, nachdem er sich im Kreise umgesehen, mit einer geradezu überraschenden Wendung seinen Stuhl neben Fräulein von Giersbach geschoben und plauderte nun so lebhaft mit ihr, daß der Herr Oberst ein Mal über das andere Mal verwundert seine Blicke dorthin richtete, wo man jedoch von diesem Zeichen der Mißbilligung gar keine Notiz zu nehmen schien.
Die Damen auf dem Sofa waren auch viel eingehender in ihrer Unterhaltung geworden, als dieses sonst bei der ersten Visite zu sein pflegt. Die Frau Oberst fragte, die Frau Geheimrätin gab Auskunft und verstand es sehr gut, so anspruchslos sie that, ihre Stellung und ihre Bedeutung in der Gesellschaft ins rechte Licht zu setzen. Doch während sie sehr ernsthaft über allerhand Verhältnisse „in unseren Kreisen“ sprach, verfolgte sie die ganze Zeit über der eine Gedanke: die macht Visite im Schleppkleide – ist das in Berlin jetzt üblich? und wie arrangiere ich dann danach meine Toilette?
Endlich brach man auf. Der Oberst schlug vor jeder der Damen sporenklirrend die Hacken zusammen und verneigte sich tief und tiefer. Frau von Giersbach reichte jedem freundlich die Hand und flüsterte der Frau des Hauses allerlei Schmeichelhaftes zu, und das kleine Fräulein Annie errötete immer und immer wieder, denn jetzt besann sie sich erst, daß sie über der fesselnden Unterhaltung, die der Sohn ihr bot, mit den Damen kein Wort gewechselt hatte. Sie versuchte es noch im letzten Augenblick auszugleichen, aber er wich nicht von ihrer Seite.
[„]Gnädiges Fräulein, der erste Tanz beim ersten Ball im ,Klub’, ich bitte inständig um die Zusage!“
Sie sah ihn ängstlich an und unsicher auf ihre Umgebung. „Ich weiß wirklich nicht –“
Der Herr Referendar war gar nicht unsicher. „Verehrter Herr Oberst, gnädigste Frau Sie werden doch dem ,Klub’ die Ehre erzeigen, den ersten Ball dort zu besuchen?“
Fräulein Annie, feuerrot im Gesicht, schaute zweifelnd auf den Vater und unendlich bittend die Mutter an.
„Nun, mein werter Herr Referendar, da möchte ich mir die Entscheidung doch noch vorbehalten.“
Jetzt mischte sich das geheimrätliche Ehepaar ins Gespräch und versicherte, das ginge doch gar nicht anders, man würde es zu sehr beklagen, bei der ersten Winterveranstaltung einer Gesellschaft, zu der sie alle gehörten, den Kommandeur des Kavallerieregiments zu vermissen, und sogar seine Gattin gewann den Mut, ihm zuzureden: „Wir haben doch nun eine erwachsene Tochter, Männchen, und müssen deren Jugend wohl einige Konzessionen machen.“
Kurz, nachdem er Einiges undeutlich gebrummt hatte, entschied er: „Wir wollen sehen – wollen sehen!“
Der Herr Referendar strahlte über seinen Sieg und verbeugte sich tief vor der kleinen Dame.
„Ich nehme dies als Ihre Zusage, gnädigstes Fräulein.“
Sie errötete und erblaßte und errötete noch einmal.
„Ich freue mich so sehr darauf, wenn es doch ein Walzer wäre –“ und hinaus war sie und schneller die Treppe hinunter, als Schmidt ihr folgen konnte, der dann aber doch vom Wagen aus noch einen ganz warmen Blick von ihr erhielt.
„Ist das einmal eine angenehme Familie!“ sagte die Frau Oberst zu ihrem Gatten, als sie davon rollten, „ich freue mich recht dieser Bekanntschaft. Wie schön alles da ist: die Menschen und die Räume und die Einrichtung.“
„Ja,“ bestätigte der Oberst, „es war alles sehr schön. Das Gebäude ist prächtig, da ist es leicht, solche imposante Dienstwohnung zu schaffen. – Ja, für solche Bauten ist immer Geld da. Unsereiner muß sich in Mietwohnungen herumstoßen.“
„Es sind gewiß sehr reiche Leute, diese Geheimrat Brückners,“ meinte Frau von Giersbach wieder, „was für eine prachtvolle Saloneinrichtung! Ueberhaupt macht alles solchen gediegenen, soliden Eindruck. Schon der alte Diener in der geschmackvollen Livree – wenn ich dagegen an unsere ewig anzulernenden Bauernburschen denke! Ja, die Civilbeamten haben es doch gut.“
„Ich bin auch sehr für Civil,“ mischte sich jetzt Fräulein Annie in die Unterhaltung.
„Was hast Du für Civil zu sein, Du Kick-in-die-Welt!“ polterte der Alte sie an, daß sie, über die eigene Dreistigkeit erschreckt, zusammenfuhr, während er amüsiert ihre Verlegenheit beobachtete.
Droben in den eben verlassenen Räumen gab es inzwischen einen kleinen Sturm. Mama Brückner ärgerte sich zu sehr über ihren Sohn, und da er pfeifend auf und ab schritt und gar nicht zu ahnen schien, wie sehr und womit er ihren Zorn gereizt hatte, brach sie endlich damit hervor: „Du könntest auch etwas Besseres thun, als Dich sofort bei dem Baby als Courmacher aufzuspielen,“ sagte sie, vor ihm stehen bleibend, da er sich nun in die Sofaecke geworfen hatte.
„Ein süßer, kleiner Fratz, nicht wahr, Mama? Es machte mir riesigen Spaß, wie sie bei jedem Wort erglühte – hernach, wie sie erst so ordentlich im Zuge war, genügte schon ein Blick, und das Blut stieg ihr bis unter die blonden Stirnlöckchen.“
„Du bist ein ganz frivoler Mensch mit Deinem ewigen Süßholzraspeln!“ schalt sie weiter. „Sieh Dir doch wenigstens die an, denen Du das anbietest. Mit diesem alten brummigen Oberst ist nicht zu spaßen, wir kommen noch in des Teufels Küche durch Deine Keckheit. Was sollte das nur wieder mit dem Tanz? Wenn das erst Grimms hören, Du verscherzest Dir noch alle Aussichten durch Deinen Leichtsinn.“
Der Herr Referendar lachte laut auf, und der Geheimrat, der in der anderen Sofaecke lehnte und schweigend den Reden seiner Frau zugehört hatte, verlor seine Gleichgültigkeit.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0631.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2024)