verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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fördert den Mann oder sie hindert ihn, ein Anderes giebt’s nicht bei solchem engen Zusammenleben. Ich kann mir wohl das Zeugnis geben, daß ich das erstere gethan.“
„Unterschreibe ich,“ sagte der Geheimrat, der, ins Zimmer tretend, die letzten Worte gehört hatte. „Aber was habt ihr mir? Es klang fast wie eine Kammerdebatte!“
„Ach,“ meinte seine Frau, die offenbar nicht angenehm durch sein Dazwischentreten berührt war, „Lisbeth lehnte sich nur wieder einmal gegen gebotene Rücksichten auf.“
„Aber Mama, das that ich doch nicht!“ sagte diese und setzte, zu dem Vater gewendet, hinzu: „Ich meinte nur, da Mama doch solch’ eine musterhafte Hausfrau, so unermüdlich fleißig, so praktisch, so außerordentlich geschickt ist, warum wir dieser Eigenschaften nie vor anderen erwähnen dürfen?“
„Nun,“ sagte der Geheimrat mit einem leichten Lächeln, „wenn Du Deiner vortrefflichen Mutter große Vorzüge so gebührend zu schätzen weißt, dann ordne Dich auch ihrer besseren Erkenntnis unter und nimm an, daß es so richtig ist, wie sie es zu haben wünscht.“ Damit trat er ins Nebenzimmer.
Lisbeth seufzte leise, dann wandte sie sich an die Mutter:
„Es ist noch eine halbe Stunde, bis unsere Gäste kommen, und es ist alles besorgt, da möchte ich noch auf einen Augenblick fortgehen – es ist heute Tante Römers Geburtstag.“
Man sah es der Geheimrätin wohl an, daß ihr ein Verbot auf den Lippen schwebte, aber sie mochte finden, daß sie um des lieben Friedens willen schweigen müßte; so neigte sie stumm den Kopf, leichtfüßig eilte Lisbeth über den Vorplatz, die Treppe hinunter und zum Hause hinaus.
Neben dem an einem mit hübschen Parkanlagen geschmückten Platze gelegenen Gebäude der Provinzial-Steuerdirektion zog sich ein schmales Gäßchen hin, welches man zur Abkürzung des Weges nach der nächsten Straße benutzen konnte, und trotzdem es dunkel und wenig belebt war, lief Lisbeth, ihr Tuch fester um die Schultern ziehend, eilig hindurch und trat nach wenigen Minuten Gehens in ein großes, kahl und einfach aussehendes Haus, das an der Mittelfront die Bezeichnung „Volksschule“ trug.
Beim Oeffnen der Eingangspforte ertönte eine dünne, schrille Glocke, und auf dieses Signal wurde auch gleich von innen die Zimmerthür, die direkt auf den Hausflur führte, geöffnet und eine ältere, weißhaarige, freundliche Frau leuchtete mit einer hellbrennenden Lampe der Eintretenden entgegen.
„Ach, Lieschen, Du bist’s? Willkommen, Kind! Ich fürchtete schon, nach Deinem schriftlichen Gruße von heute morgen, daß ich Dein liebes Gesichtchen an diesem Tage nicht mehr sehen würde.“
„Nein, Tantchen, das ließe ich mir nicht nehmen, und wenn’s auch nur ein paar Minuten sein können.“
Sie traten ein und Lisbeth freute sich an der Blumenfülle, die zu Ehren dieses Festes auf Fensterbrett und Tischen Platz gefunden hatte und welche das hohe und geräumige, aber sonst aufs einfachste ausgestattete Zimmer sehr anmutig schmückte.
Wie heimatlich es ihr entgegen wehte – ihre schönsten Kindheitserinnerungen verbanden sich mit diesem Raum, und ein zarter Hauch, wie aus jenen sonnigen Tagen hinüber gerettet, lag für ihr Empfinden hier über allem.
Gertrud, die Pflegetochter des Volksschullehrers Römer, war schon ihre liebste Gefährtin gewesen, als sie beide noch kaum die Kunst des Gehens und Stehens gekannt. Drüben in dem großen Hause hatten ihre Eltern gewohnt. Die Frau Assessor war aber schon damals so viel mit Standesrücksichten beschäftigt gewesen, daß sie für ihr Töchterchen wenig Zeit übrig hatte und das kleine Lieschen herzlich gern der Frau Römer überließ, die sich für das früh verwaiste Kind ihrer Schwester auch keine liebere Gesellschaft wünschte. Ihr eigener Sohn, Arnold, der einige Jahre älter als die kleinen Mädchen war, hielt es erst mit seiner männlichen Würde für unvereinbar, deren Spiele mitzumachen, um dann doch von Jahr zu Jahr immer fester ihnen anzuhängen. Wie köstlich hatten die drei Kinder miteinander gespielt und wie bald war der Altersunterschied vergessen, als die Mädchen lesen gelernt und sie nun zusammen in Robinsons Abenteuern schwelgten, ja diese auf dem weiten Dachboden des Hauses in der großartigsten Weise in Scene setzten!
Später fiel ein Schatten für Lisbeth auf dieses Kinderglück; sie mußte sich die erst so bereitwillig gestatteten Besuche bei ihren Freunden allmählich erbetteln, dann erkämpfen. Die Frau Regierungsrat fand, daß der Umgang mit den Kindern des Volksschullehrers nicht passend für ihre Tochter sei, und die Frau Geheime Oberfinanzrätin gar hielt es für unmöglich, einen weiteren Zusammenhang zwischen jenem Hause und dem ihren zu dulden. Aber so nachgiebig und fügsam Lisbeth in allem anderen ihren Eltern gegenüber war, hier fand die kindliche Unterordnung ihre Grenze, und obwohl diesem Freundschaftsverhältnisse niemals eine Berechtigung zugestanden wurde, hielt die Mutter es schließlich doch für geraten, dasselbe um des häuslichen Friedens willen zu ignorieren, auch als Gertrud Arnolds glückliche Frau geworden und Lisbeth ihre liebste Vertraute geblieben war.
„Lege das Tuch ab, Lieschen, Du könntest Dich sonst auf dem Rückweg erkälten, und ich habe so viel auf dem Herzen, was Du mir tragen helfen mußt.“
„Das klingt ja ganz trübe, Tantchen!“
„Es sind auch Sorgen ins Haus gekommen, Kind, und Dir kann ich es ja sagen: es beängstigt mich ordentlich, daß das neue Lebensjahr so beginnt.“
Lisbeth sah sie erschreckt und fragend an.
„Ist denn Gertrud nicht hier? Ich glaubte sie doch bestimmt hier zu finden!“
„Die Kinder waren zu Tische bei uns, nun ging Arnold aufs Bureau und Gertrud auf ein Stündchen nach Hause, um sich ein wenig zu ruhen, und es ist mir auch lieb so, damit wir allein miteinander reden können.“
„Nun?“ fragte Lisbeth voll Erwartung.
„Nun – Arnold ist avanciert, und diese Nachricht brachte er mir als Geburtstagsgeschenk. Aber mit der Beförderung ist leider auch eine Versetzung verbunden. Er kommt an die Oberpostdirektion nach D., und wenn ich auch darauf gefaßt war, unsere Kinder nicht immer hier zu haben – jetzt gerade ist es doch gar zu ungelegen.“
Lisbeth war ganz erblaßt.
„Arnold versetzt? In welcher Eigenschaft denn?“ fragte sie mit leisem Beben in der Stimme.
„Er ist Revisionsbeamter geworden – zunächst Kassenkontrolleur, hat aber die Anwartschaft, in einem Jahre Postinspektor zu sein, und meint dann, in weiteren zwei Jahren als Rat angestellt zu werden. Es ist eine große Auszeichnung bei seiner Jugend, und Du kannst glauben, daß es mich sehr beglückt, ihn, der doch nur aus Rücksicht für uns das Studium aufgab, sein Leben nicht in subalterner Stellung hinbringen zu sehen. Ich würde natürlich gern unseren Verlust ruhig tragen und ihm das Scheiden nicht schwer machen – aber jetzt gerade, Lieschen! Gertrud erklärte sofort, sie ginge unter allen Umständen mit. Sie wollte lieber in einer Kammer wohnen, als sich von ihrem Manne trennen – und recht hat sie ja auch. Wir gehen dem Winter entgegen, kann sie jetzt nicht mit, so wird es Frühling, bis sie die Reise wagen könnte, und das hielte sie gar nicht aus.“
„Ja, das trifft freilich ungünstig zusammen,“ sagte Lisbeth nachdenklich. „Die Anstrengungen des Umzugs sind zu viel für Gertrud. Wie wird sich da abhelfen lassen?“
„Das ist mir ganz klar, Lieschen: ich muß auch mit, zunächst hier den Umzug, dann dort die Einrichtung besorgen, und dann mein Trudchen und ihr Baby pflegen, denn hoffentlich tritt mein Enkelchen nicht eher an, als bis wir alles zum Empfang bereit haben. Das ginge schon – aber hier – mein lieber Alter – wir sind seit dreißig Jahren nicht getrennt gewesen, wie wird er mich vermissen!“
„Nun, Tantchen, da springe ich alle Tage ein Stündchen heran und spreche ihm von Dir und seinen Kindern.“
„Gutes Kind, das ist Dir auch zugedacht. Du warst ja immer unsere liebe zweite Tochter – also tritt eben Dein altes Amt wieder an und sorge nur dafür, daß mein guter Mann nicht zu schwer unter der dreifachen Trennung leidet. Für sein leibliches Wohl sorgt ja unsere alte Dore.“
Lisbeth lächelte sie zärtlich an und schlang die Arme um ihre Schulter.
„Mein Mütterchen,“ sagte sie innig, „sei unbesorgt, ich werde ihn schon guter Dinge erhalten. Wir stehen ja auch vor Beginn der Wintersaison: an den meisten Abenden sind die Eltern mit Elfriede in Gesellschaft, und der Fünfundzwanzigjährigen mutet man es gar nicht mehr zu, die Soireen und sonstigen Tanzgelegenheiten alle mitzumachen. Da kann ich oft genug hier sein, dem Onkel seine Pfeife stopfen, ihm die Zeitung vorlesen und mit ihm von
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0650.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2024)