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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0654.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Der Entwurf zu dieser neuen Polfahrt ist dann, wie allgemein bekannt, nach jahrelanger sorgfältiger Vorbereitung 1893 zur Ausführung gekommen. Da hierbei ganz neue Wege mit dem glänzendsten Erfolge eingeschlagen wurden, so mag hier in rascher Uebersicht eine Skizze der bisherigen wichtigen und erfolgreichen Fahrten gegen den Pol gegeben werden. Man wird daraus ersehen, welche Fortschritte seit 300 Jahren gemacht sind und wie, namentlich in unserem Jahrhundert, wo der Nordpol selbst als Ziel aufgefaßt wurde, die aufeinander folgenden Expeditionen, wenn auch die Leiter manchmal geäußert haben, es könne niemand noch weiter als sie selbst gegen den Pol vordringen, dem einmal ins Auge gefaßten Ziele immer näher rückten. Nur ward noch niemals ein solcher Riesenschritt gegen Norden gethan wie durch Nansen.

Das 16. Jahrhundert kannte noch keine wissenschaftlichen Aufgaben für Seeleute, hier handelte es sich bei allen Unternehmungen um Handelszwecke; und die nordischen Meere wurden, ehe man den gewaltigen Fischreichtum dieser Gewässer kannte, nur als die notwendigen Wege nach produktenreichen Ländern betreten. Da man weder die nördlichen Küsten von Asien noch Amerika kannte, so hoffte man um Asien oder Amerika herum einen „praktikabeln“ Weg nach Jndien zu finden. So schlugen die Holländer den Nordostweg um Asien ein, während die Engländer die Nordwestpassage um Amerika wählten. Dabei drangen die Engländer Pet und Jackman zuerst 1580 ins Karische Meer ein und wagten sich ernstlich ins Treibeis hinein, aber ohne Erfolg. 1589 erreichte John Davis in der nach ihm benannten Straße westlich von Grönland die Polhöhe von 72° 42’ nördlicher Breite. Im Jahre 1594 rückte Willem Barendsz an der Westküste von Nowaja Semlja bis 78° n. Br. vor; aber auf Grabkreuzen an der Küste sah er, daß die russischen Fischer auf ihren zerbrechlichen Fahrzeugen beinahe schon ebensoweit ins Eismeer eingedrungen waren. Zwei Jahre später sah sich W. Barendsz genötigt, an jener Küste im sogenannten Eishafen zu überwintern. Es war die erste polare Ueberwinterung. Nur ein Teil der Mannschaft erreichte, nach Zurücklassung des Schiffes, die Heimat wieder.

Im selben Jahre fand Rijp die Bäreninsel (74° 30’) und Spitzbergen, und in diesen Gewässern drang Hudson 1607 am 13. Juli von Spitzbergen aus zum erstenmal über den 80. Parallelkreis vor, er kam mit seinem Schiffe bis 80° 23’ n. Br., während Baffin, den Spuren von John Davis folgend, 1616 am 4. Juli in der Baffinsbai nur bis 77° 30’ n. Br. kommen konnte. Weil man aber überall im hohen Norden das Meer versperrt, also keinen „praktikabeln“ Weg fand, so hörten für anderthalbhundert Jahre die weiteren Polarfahrten auf, doch blieben namentlich die Gewässer um Spitzbergen noch lange wegen des ergiebigen Fischfangs besucht.

Die erste Reise nach Norden, die wissenschaftliche Zwecke verfolgte, unternahm auf Befehl des Königs der englische Kapitän Phips, aber er kam nördlich von Spitzbergen am 28. Juni 1773 nicht viel weiter als Hudson, nämlich nur bis 80° 37’ n. Br.

Da man indessen hier doch noch am weitesten vorgedrungen war, aber, wie es schien, wegen einer unüberwindlichen Eismauer zu Schiffe höhere Breiten nicht gewinnen konnte, so tauchte nun in unserm Jahrhundert zum erstenmal der Gedanke auf, mit Schlitten weiter nordwärts vorzugehen. Diesen Plan führte der berühmte britische Polarfahrer Kapitän Parry 1827 aus; aber er that darin einen Mißgriff, daß er Rentiere als Zugtiere wählte, die sich auf dem rauhen Eise bald als völlig untauglich erwiesen, so daß die Menschen selbst die Schlitten ziehen mußten. Es trat aber dann noch ein bisher unbeachteter Faktor auf, der die Expedition zur Umkehr nötigte: die Wahrnehmung, daß die Eismassen, auf denen man nordwärts strebte, mit der Meeresströmung langsam nach Süden trieben. Es wurde dies aus sorgfältigen Breitenbestimmungen klar, denn man befand sich am 22. Juli unter 82° 43’, am 23. Juli unter 82° 45’ aber am 26. Juli wieder, trotz mehrtägiger Wanderung nach Norden, unter 82° 40’ n. Br., man war also gegen den Stand vom 23. Juli etwa 9 km zurückgetrieben. Man sah die Unmöglichkeit ein, den Pol zu erreichen, und kehrte um. Parry war aber doch 2 Breitengrade weiter als seine Vorgänger gekommen. Die nächsten Unternehmungen, die ursprünglich mit dem Aufsuchen der untergegangenen Franklin-Expedition zusammenhingen, schlugen wiederum den Weg durch die Baffinsbai ein. Auf der zweiten Nordfahrt Kanes gelangte dessen Begleiter Morton mit Hundeschlitten (erste Verwendung dieser Zugtiere) am 24. Juni 1854 bis zum Kap Constitution (801/2° n. Br.), ihm folgte 1861 Hayes und erreichte das Kap Lieber, unter 81° 25’ n. Br. Aber er fand so wild übereinander getürmtes Eis, daß er sich dahin äußerte, man könnte ebenso bequem über die Dächer Newyorks fahren. Trotzdem kam Hall mit seinem Schiffe „Polaris“ 1871 bis 81° 40’ n. Br. in denselben Gewässern und drang mit Schlitten bis 82° 16’ n. Br. vor. Es war also hier noch nicht die Polhöhe Parrys erreicht, aber man sah doch auch, daß die Eisverhältnisse sich nicht in allen Jahren gleichbleiben und daß ein noch weiteres Vordringen keineswegs ausgeschlossen sei. Schwierig mußte allerdings, da der Smithsund sich nach Norden immer mehr verengt, gerade hier die Fahrt erscheinen. Daher schlug die österreichische Expedition unter Payer und Weyprecht 1872 den Weg zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja ein, wo man auf eine günstige gegen NO gerichtete Meeresströmung vielleicht rechnen konnte. Aber am 21. August 1872 wurde das Schiff unter 76° 22’ n. Br. vom Eise besetzt und trieb nun in der Eismasse weiter. Es war die erste, aber unfreiwillige „Eistrift“. Nansen suchte sie später freiwillig. „Wir waren nun,“ schreibt Payer, „nicht mehr Entdecker, sondern unfreiwillige Passagiere des Eises.“ So trieb das Schiff langsam bis an die Südküste des neu entdeckten Franz Joseflandes und blieb unter 79° 38’ n. Br. festgebannt. Von hier aus unternahm Payer dann seit März 1874 Schlittenreisen nach Norden, wobei er die Ueberschreitung des 82. Grades nur der ausdauernden Kraft der treuen Hunde verdankte.

Da also diese Richtung der Nordfahrt sich als ungünstig erwies – man hatte das Schiff im Eise zurücklassen müssen – so schlug die nächste Expedition, die von England unter Kapitän Nares ausgesendet wurde, wieder die Route durch die Baffinsbai ein. Nares selbst überwinterte mit dem einen seiner beiden Schiffe hafenlos am Polarmeere unter 82° 25’ n. Br., und von hier aus unternahm Lieutenant Markham eine Schlittenreise, auf der er am 12. Mai 1876 die Polhöhe von 83° 20’ n. Br. erreichte. So war also nach 50jähriger Arbeit (seit Parry) auch der 83. Grad überschritten. Wenn auch dieser nördlichste Punkt, den Markham erreichte, nur 73 engl. Meilen in der Luftlinie von dem Schiffe entfernt war, so hatte er doch zwischen den Eisbergen und Hügeln des gefrorenen Meeres nordwärts 276 Meilen hinziehen und noch 245 Meilen zurücklegen müssen. Es ist das die beste Illustration für die Schwierigkeiten der Schlittenreisen. Und nun bedenke man, daß Nansen auf seiner letzten Reise, ohne Stützpunkt, 5 Monate lang, vom 14. März 1895 bis zum 6. August, wo er Franz Josefland erreichte, mit Schlitten sich seinen Weg gebahnt hat. Erst dann, als infolge der Eisverhältnisse jedes weitere Vorwärtskommen unmöglich war, wandte er sich zur Umkehr. –

Auf Kapitän Nares, der seine beiden Schiffe glücklich wieder heimführte, folgte dann in denselben Gewässern die unglückliche Greelysche Expedition, wobei Lockwood am 13. Mai 1882 in Nordgrönland auf einer Schlittenreise an der Küste hin die Polhöhe von 83° 24’ n. B. gewann.

Inzwischen waren aber auch schon wichtige Schritte in der Erforschung des sibirischen Eismeeres gethan.

Nordenskiöld und Palander umsegelten 1878 zum erstenmal die Nordseite Asiens und erreichten am 19. August die Nordspitze des Landes unter 77° 37’. Da aber das Schiff gezwungen war, nahe der Beringsstraße am Eismeer zu überwintern, so ging ihm, vom „Newyorker Herald“ ausgesendet, Kapitän de Long von der Beringsstraße her 1879 entgegen; jedoch östlich vom Wrangellslande wurde es im Eise besetzt und trieb nun nach Nordwesten bis zu der nördlichsten Insel von Neusibirien, wo es am 13. Juli 1881 unter 77° 15’ n. Br., vom Eise zerdrückt, unterging. Die Mannschaft suchte sich wohl über Neusibirien nach dem Delta der Lena zu retten, ging aber größtenteils zu Grunde, darunter auch de Long.

Schon im Sommer 1878 hatte auch der norwegische Kapitän Johansen das Meer östlich von Nowaja Semlja durchstreift und mitten zwischen der Nordspitze dieser Doppelinsel und der Nordspitze Asiens eine Insel entdeckt, der er den bezeichnenden Namen „Einsamkeit“ gab.

Jenes Meer, dem früher der Petersburger Akademiker Karl Ernst von Baer den ominösen Namen eines Eiskellers beigelegt hatte, war doch in manchen Jahren besser als sein Ruf und konnte von Fischern fern von der Küste besegelt werden.

So standen die polaren Angelegenheiten, als Nansen mit seinem Plane hervortrat, sich als Gefangener des Eises mit einem

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0654.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2023)
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