verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
|
erst nachträglich entstanden, aber es ist interessant, wie die Phantasie der guten Ordensleute ihre eigene Sehnsucht nach einem milderen Klima hinter den Willen des kaiserlichen Schutzherrn zu verstecken weiß. „Kaiser Heinrich II.,“ heißt es dort, „versetzte das Kloster hierher an das Gestade des Rheins, an den Ort Staine genannt, damit hinfüro die Diener Gottes der gewünschten Bequemlichkeit eines besser gelegenen Ortes teilhaftig würden.“
Aber die frommen Brüder waren, wie uns die erwähnte Federzeichnung lehrt, keineswegs müßig hinter ihren Klostermauern. Hier wird eifrig mit Hacke und Spaten hantiert, auf daß
„Kräftig sproß im jungen Garten
Akelei und Ros’ und Quendel...“,
dort finden wir David von Winkelsheim in einsamer Klause in seine künstlerischen Studien vertieft, während andere Mönche der Musik, des Studiums der Klassiker oder edler Geselligkeit sich freuen. Denn auch die Freuden dieser Welt waren, wie aus der Zeit des letzten Abtes historisch nachgewiesen ist, durchaus nicht aus dem Kloster verbannt. Vom Ernst des Lebens wieder spricht der Trauerzug der Mönche, die den entschlafenen Bruder zur letzten Ruhe in den Kreuzgang geleiten.
Durch derartige Bilder in eine echte Klosterstimmung versetzt, suchen wir uns nun in den einzelnen Räumen mit ihrer interessanten Ausstattung heimisch zu machen. Treten wir zunächst in die „Kapelle des Abtes David“. Der Raum ist eng und fast düster, und ich weiß nicht, ob sich hier das Herz so leicht zu seinem Gott erheben ließ; aber es mag ja gerade dieses dämmerige Zwielicht frommer Mönchsbetrachtung gedeihlich gewesen sein. Unkünstlerisch ist es keineswegs, wird es doch in erster Linie hervorgerufen durch jenen Zweig künstlerischen Betriebes, der dem Mittelalter seine höchste Ausbildung und Blüte verdankt: durch die edle Kunst der Glasmalerei. Es haben sich nämlich in unserm Stein am Rhein, wo die Glasmalerei nachweisbar zuerst im Kloster aufgetreten ist, zahlreiche und oft ganz einzigartige Denkmäler dieser Kunst aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts erhalten; sie bilden für gewöhnlich die Hauptzierde der auf dem dortigen Rathause geborgenen Kunstschätze und wurden Herrn Professor Vetter zum Zwecke der Ausstellung zeitweilig überlassen. Hierbei soll die schöne schweizerische Sitte der Fenster- und Wappenschenkung nicht unerwähnt bleiben. Hatte nämlich so ein baulustiger Schweizermann des Mittelalters sich ein neues Heim gegründet, so verstand es sich ganz von selbst, daß ihm seine Freunde zu dessen Ausschmückung eine Reihe oft höchst wertvoller Glasgemälde zukommen ließen.
Das war eine Ehrengabe, die niemals ihren Reiz verlor. So ließ sich auch David von Winkelsheim, nachdem er in den Jahren 1515 und 1516 die Ausschmückung seines später zu besprechenden sog. „Gemälde- oder Festsaales“ vollendet hatte, nach jener schönen Sitte eine bedeutende Anzahl von gemalten Scheiben in sein Kloster stiften. Und erst als im Jahre 1542 in Steins schönster Blütezeit das Rathaus errichtet war, da gingen ihm von allen Seiten die herrlichsten Glasbilder als Geschenke zu! Basel, Bern, Zürich, Schaffhausen, ja fast jeder bedeutendere Ort des Schweizerlandes hat seinen Ehrenbeitrag geleistet. Diese Gemälde, zum größten Teile heute noch vorhanden, gingen fast ausnahmslos aus der Hand Karl von Aegeris, des größten schweizerischen Glasmalers des 16. Jahrhunderts, hervor; ihr Kunstwert ist ein sehr bedeutender und die Leuchtkraft ihrer Farben von mächtigem Zauber. Uebrigens wurde in alter wie in neuer Zeit auch in Stein selbst die Kunst der Glasmalerei von Einheimischen betrieben. In Abt Davids Kapelle nun, die mit allerlei mittelalterlichen und modernen Kirchengeräten, Chorstühlen, Lesepulten, Traglaternen etc. (meistens aus dem 15. Jahrhundert stammend) ausgestattet ist, finden sich vier solcher Glasgemälde. – Mit Gemälden und reichen Schnitzereien sind das Speisezimmer und das Hadwigzimmer reich geschmückt. Das letztere, offenbar für den jetzigen Besitzer eine erinnerungsreiche Stätte, trägt eine stolz klingende Friesinschrift des schwäbischen Dichters Fr. Th. Vischer:
„Fuß über Grüften, fest auf dem Festen,
Haupt in den Lüften: so ist’s am besten!“
Im oberen Stockwerke aber treten wir in das eigentliche rheinische Schatzkästlein Herrn Davids von Winkelsheim ein, den „Gemälde- oder Festsaal.“
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0658.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2024)