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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0676.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

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Ein „Kirtag“ in Niederösterreich.

Von V. Chiavacci.0 Mit Illustrationen von W. Gause.

Ja, am Sunntag is der Kirtag,“ lautet eine Redewendung, die nicht nur in Niederösterreich, sondern auch in Wien häufig gebraucht wird, wenn jemand eine unbescheidene Forderung stellt, die man nicht gewähren will. „Bei dö Leut’ is jeden Tag Kirtag,“ sagt der Volksmund von jenen Menschen, die ein sorglos lustiges Leben führen, das mit ihren sonstigen Verhältnissen nicht in richtigem Einklang steht. „Wann die Katz’ aus’n Haus is, hab’n die Mäus’ Kirtag,“ lautet ein anderes Sprichwort. Der Kirchtag (Kirtag, Kirta’) ist also ein Freudenfest, das in seinem Namen alle Vorstellungen von Lustbarkeit, üppiger Lebensführung, sorglosem Daseinsgenuß vereinigt, das beliebteste und verbreitetste Volksfest, das mit größeren oder geringeren Abweichungen fast in allen katholischen Ländern gefeiert wird. In einigen Gegenden Niederösterreichs, namentlich im Viertel „Unterm Wienerwald“, wird bei diesem Volksfeste ein besonderer Pomp entfaltet.

Der Kirchtag gilt dem Kirchenpatron und wird in den verschiedenen Gemeinden an festgesetzten Tagen des Sommers oder des Herbstes begangen. In den Umgebungen von Wien gewinnt er an Mannigfaltigkeit und Reiz durch die Beteiligung der Wiener Sommerfrischler an dem ländlichen Vergnügen. Manche Gemeinden wissen ihre Kirchtage so glanzvoll und so unterhaltend zu gestalten, daß sie alljährlich eine große Zahl Wiener herauslocken zu Tanz und Lustbarkeiten aller Art. Die ländliche und städtische Jugend kennt auf dem Tanzboden keinen Standesunterschied und manche feine Dame, die auf den Elitebällen der Residenz als Ballkönigin glänzt, fühlt sich ganz behaglich unter der Führung eines helläugigen, munteren Burschen, der sie in seinem Arme federleicht und gewandt durch die fröhliche Menge walzt. Das erzeugt viel lautere Fröhlichkeit und ungezwungenen Verkehr, doch auch manch trübe Stunde und böse Eifersuchtsscenen bei den ländlichen Schönen sowohl als auch bei den zurückgesetzten Burschen. Freilich wird die Sache selten tragisch; denn es ist ja nicht jeden Tag „Kirtag“ und am anderen Tage erscheint den Teilnehmern das fremdartige Intermezzo wie eine im Nebel verduftende Fata Morgana, die noch eine Zeit lang die Phantasie beschäftigt, aber bald wieder im Einerlei des Alltagslebens untergeht.

Auf der Kegelbahn.

Diese Kirchtage in den Landgemeinden der Umgebung von Wien nahmen früher durch den Zuzug der Wiener Bevölkerung zum Teil bedeutende Dimensionen an. Einzelne davon waren Jahrzehnte hindurch geradezu Wiener Volksfeste. Zu diesen gehörte der „Brigitta-Kirchtag“, welcher alljährlich unter riesenhafter Beteiligung der Wiener in der Brigittenau, einem allerdings hart an der Gemarkung Wiens an der Donau gelegenen Orte, abgehalten wurde. Die älteren Wiener erzählen Wunder von diesem Monstrefeste mit seinem bunten Jahrmarktstreiben. Die jüngere Generation weiß davon nichts mehr; denn der Brigittakirchtag wurde schon in den fünfziger Jahren von der Behörde untersagt, weil es bei den großen Menschenansammlungen zu groben Excessen gekommen war. Ein gleiches Schicksal, wenn auch viel später, traf den „Mariabrunner Kirchtag“, der alljährlich am 8. September, am Feste Mariä Geburt, auf dem Hadersdorfer Berg bei Mariabrunn stattfand. Mariabrunn liegt ungefähr zwei Wegstunden von Wien entfernt nächst Weidlingau im anmutigen Wienthale. Schon am Vortage zogen ganze Wagenkolonnen vor die Mariahilfer Linie hinaus auf den Hadersdorfer Berg. Dort wurden Hütten, Zelte und Buschenschenken aufgeschlagen, aus rohem Holz gezimmerte Tische und Bänke hergestellt, und wenn der Morgen dämmerte, war längs des Waldessaumes eine ganze Stadt von Buden und Hütten emporgewachsen. Ebenfalls schon in der Morgendämmerung bewegten sich unübersehbare Kolonnen durch die westlichen Bezirke Wiens auf der Linzer Straße über Penzing, Baumgarten, Hütteldorf nach Mariabrunn, alles am Wege verzehrend und austrinkend wie ein Nomadenvolk auf der Wanderung – nur daß sie bar bezahlten, was sie verzehrten. Stieg die Sonne leuchtend und wärmend am wolkenlosen Himmel empor, so wuchs die Armee der ausziehenden Wiener nicht selten auf 60- bis 70 000 Menschen an.

Mit Kind und Kegel zogen sie aus, meist in größeren Trupps beisammen; denn die Hausgenossen schlossen sich einander an und der lang herbeigesehnte Tag in der schönen Gottesnatur löste dann manchem schüchternen Galan die Zunge zu einem Geständnis, das in der nüchternen Umgebung der Werkstatt oder der Familienstube nie dem Gehege seiner Lippen entschlüpft wäre. Der weitaus größte Teil zog zu Fuß hinaus, doch kamen die Wohlhabenderen auch in Fiakern gefahren, und die Lenker der damals so beliebten „Zeiselwagen“ pflegten ihre Menschenfracht mit unglaublicher Raumausnützung unterzubringen. Dank diesem Fremdenzuzug wimmelte es auf dem Hadersdorfer Berg von Menschen. Von weitem schon konnte man ein Brausen und Rauschen, ein Singen und Klingen vernehmen, das beim Näherkommen betäubend und sinnverwirrend wirkte. Ein singender Berg! In den Hunderten von Buschenschenken, Wirtschaften und Hütten waren ebensoviele Orchester, „Quartette“ und „Terzette“ untergebracht und aus dem Walde, tönte die Harmonika, das „picksüße Hölzel“ (Flöte) und die „Winsel“ (Geige). Diese sonderbare Symphonie wurde noch durch die

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0676.jpg&oldid=- (Version vom 4.5.2024)
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